Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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XVIII.
Aristipp an Learchus.

Wiewohl ein Mann wie Filistus keiner Empfehlung an dich bedarf, so halte ich mich doch versichert, daß der Titel meines Freundes, den er von Cyrene mit sich nimmt, ihm in den Augen meines Learchs ein Recht zu einer desto gefälligern Aufnahme geben werde, da er auf seiner Rückreise nach Syrakus etliche Tage zu Korinth auszurasten gesonnen ist.

Was du, dem seine Verhältnisse bekannt sind, voraus gesehen hast, ist durch das endlich erfolgte Ableben des alten Dionysius eingetroffen. Es war eine der ersten Handlungen seines Nachfolgers, den so lange aus seinem Vaterlande verbannten Gemahl der Nichte seines Vaters zurück zu berufen, und ihn um so dringender zu Beschleunigung seiner Reise einzuladen, je unentbehrlicher ihm, wie er in seinem Schreiben sagt, die Gegenwart und Unterstützung eines so verdienstvollen und so nahe mit ihm verbundenen Mannes in seiner neuen Lage sey. Es wäre kein schlimmes Zeichen daß es dem jungen Dionysius, seiner sehr vernachlässigten Erziehung ungeachtet, nicht ganz an Anlage zu einem guten Fürsten fehle, wenn er die Nothwendigkeit, sich der Leitung eines weisen Rathgebers zu übergeben, wirklich so lebhaft fühlte, als er in seinem sehr wohl gesetzten Schreiben ausdrückt; es ist aber ziemlich klar, daß ihm ein anderer bey dieser Gelegenheit seinen Kopf und seine Hand geliehen hat. So viel sich aus einzelnen, wiewohl nicht immer zuverlässigen Nachrichten von diesem Sohn und Erben des so genannten Tyrannen muthmaßen läßt, scheint keine große Hoffnung zu seyn, daß er die unruhigen und schwer zu zügelnden Syrakusaner mit der unbeschränkten Regierung eines Einzigen gründlich aussöhnen werde. Nur allzu wahrscheinlich kann man sich zu ihm aller Ausschweifungen versehen, zu welchen ein feuriges Temperament einen im Frauengemach und unter Sklaven aufgewachsenen Jüngling hinzureißen pflegt, der sich aus dem stärksten Druck plötzlich auf den Königsstuhl erhoben, im Besitz eines von seinem Vorfahrer vierzig Jahre lang zusammen gehäuften Schatzes, und von Schmeichlern und Parasiten umschwärmt sieht, deren Interesse ist, unter der Larve einer grenzenlosen Anhänglichkeit an seine Person, seine unaufhörlich von ihnen gereitzten und befriedigten Leidenschaften zu Werkzeugen der ihrigen zu machen. Unter einem schwachen Fürsten regieren gewöhnlich die schlechtesten Menschen; und daß Dionysius, trotz seiner körperlichen Stärke ein sehr schwacher König seyn werde, davon sind bereits Vorbedeutungen genug vorhanden. Der einzige, den er scheut und der ihn, eine Zeitlang wenigstens, zurück halten wird, ist sein Oheim und Schwager Dion, bekanntlich ein schwärmerischer Verehrer Platons, der keine große Mühe gebraucht haben mag, ihn zu überzeugen, daß Syrakus nicht eher wohl regiert seyn werde, bis es einen Filosofen zum Regenten habe. Zum Unglück fehlt es diesem Dion, bey allem Schein von Weisheit und Tugend den er von sich wirft, gar sehr an allen Eigenschaften, wodurch man sich andern, zumahl einem jungen König der das Vergnügen und die Freude liebt, angenehm und liebenswürdig machen kann; und, was noch schlimmer ist, ich fürchte sehr, daß er selbst etwas mehr Tyrannenblut in den Adern hat, als seine Lobredner in der Akademie sich gern gestehen mögen. Wie dem auch sey, der junge Fürst befindet sich dermahlen zwischen dem strengen, Ehrfurcht gebietenden und scharf über den Grundsätzen der Platonischen Republik haltenden Dion, und dem schlauen, gewandten, allgefälligen Gesindel seines Hofes in einer zwang- und peinvollen Klemme. Diese sehen, daß er nicht Muth genug hat, das Joch, das ihm Jener über die jungen Hörner geworfen, abzuschütteln; und das dringende Bedürfniß, dem majestätischen Dion einen Mann von Gewicht entgegen zu stellen, ist es ganz allein, was sie genöthiget hat, mit vereinten Kräften auf die schleunigste Zurückberufung des Filistus anzufragen.

Daß dieß die wahre Lage der Sachen am Syrakusischen Hofe sey, habe ich aus den unvollständigen Nachrichten, die mir Filist von Zeit zu Zeit mittheilte, nach und nach heraus gebracht. Denn er selbst treibt, wie es scheint, die Freundschaft gegen keinen Sterblichen so weit, daß er sich ihm ganz offen und ohne alle Zurückhaltung entdecken sollte. Da er ein Mann von großer Weltkenntniß und Erfahrung ist, die Syrakusischen und Sicilischen Staatsverhältnisse vollkommen inne hat, dabey (worauf hier alles ankommt) eine sehr einnehmende Außenseite besitzt, und an Feinheit, Geschmeidigkeit und Besonnenheit es mit dem ausgelerntesten Hofmann aufnehmen kann: so ist nicht schwer voraus zu sehen was der Erfolg seyn müsse, und daß Dion bald genug den Rath erhalten werde, eine kleine Gesundheitsreise zu seinem ehrwürdigen Freund Plato vorzunehmen.

Übrigens scheint Filist darauf zu rechnen, daß Korinth, als die Mutterstadt von Syrakus, es seinem Staats- und Handels-Interesse gemäß finden werde, mit dem Thronfolger des alten Dionys in gutem Vernehmen zu bleiben. Auch zweifle ich nicht, daß er sich in dieser Rücksicht unter der Hand mit Nachdruck für den edeln Timofanes verwenden wird, welcher (wie ich höre) große Anstalten macht, sich mit guter Art der Alleinherrschaft über euch zu bemächtigen.

Auch an unserm Himmel, der während der letzten dreyßig Jahre so heiter war, steigen, seit dem Tode meines guten Bruders Aristagoras, bereits einige trübe Wolken auf, die uns mit Sturm und Ungewitter zu bedrohen scheinen. Sein ganzes thätiges Leben war der Wohlfahrt von Cyrene gewidmet; sein Tod wird uns, wie ich große Ursache habe zu befürchten, eben so nachtheilig seyn als sein Leben wohlthätig war. Er war, wiewohl seine Bescheidenheit und Klugheit es immer zu verbergen suchte, der wahre Urheber und die stärkste Stütze unsrer dermahligen Verfassung. Unglücklicher Weise ist noch keine Staatsverfassung erfunden worden, die durch sich selbst bestünde; und da sogar Platons Republik (seiner eigenen Versicherung nach) nur unter einer unmöglichen Bedingung von Dauer seyn könnte, von welchem andern Menschenwerk dürften wir uns mehr versprechen? Seit der Mann nicht mehr ist, der allein Ansehen und Weisheit genug besaß, dem Ehrgeitz des mächtigen Demokles und seiner Söhne das Gegengewicht zu halten, sehe ich einer Abspannung der Springfedern unsrer Staatsmaschine entgegen, wodurch sie nur zu bald ins Stocken gerathen wird. Wir werden in unsre alten Mißbräuche, Parteyen und Erschütterungen zurück fallen, und was sollte mir dann ein längerer Aufenthalt in Cyrene? Doch dieß, bester Learch, ist weder das einzige, noch das ärgste, was mir bevorsteht und das häusliche Glück, dessen ich seit meiner Verbindung mit der liebenswürdigen Schwester unsers Kleonidas genoß, auf immer zu zerstören droht. Möge mein guter Genius den Unfall noch lange von uns entfernt halten, dessen langsame Annäherung ich mir selbst vergebens zu verbergen suche! – Trifft er mich, so ist Athen und Korinth – doch weg mit dem unglückweissagenden Gedanken! Noch ist Hoffnung. Die Ärzte haben zu einer Luftveränderung, wovon sie uns die beste Wirkung versprechen, eine Reise nach Rhodus vorgeschlagen, welche ich mit Kleonen und unsrer Tochter Arete, von Kleonidas, Musarion und dem jungen Kallias, ihrem Sohne, begleitet, zu unternehmen im Begriff bin. Rufe Hygieien mit mir an, mein Freund, daß der Erfolg unsere Wünsche begünstige!

Ende des vierten Buchs.


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