Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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Ich habe mich etwas länger bey der Karakteristik dieses bis jetzt in seiner Art einzigen Sterblichen aufgehalten, damit dir begreiflicher werde, wie es zuging, daß Antipater an ihm und er hinwieder an Antipater in kurzer Zeit so viel Geschmack finden konnte, daß jetzt keine Dekade vergeht, ohne daß sie einen Gang bald in den Hafen, bald auf den Hymettus oder Pentelikus, oder eine Schwimmpartie nach den kleinen Inseln Psyttalia und Atalanta, auch wohl bis nach Salamine, zusammen machen. Es giebt einen komischen Anblick, unsern jungen Landsmann, nach Cyrenischer Weise stattlich gekleidet, mit dem zottigen Barfüßer in seinem groben Tribonion, das ihm kaum über die Kniee reicht, und seine ganze Draperie ausmacht, durch die Gassen und Hallen von Athen schlendern zu sehen, wo tausend gaffende Augen und klaffende Mäuler auf sie gerichtet sind, und oft ziemlich laut über das ungleichartige Paar scherzen, ohne daß Antipater die mindeste Kunde davon nimmt. Sein häufiger Umgang mit Diogenes hat ihn auch mit dem alten Antisthenes in Bekanntschaft gesetzt, an dessen trivialen Menschenverstand er unendlich mehr Gefallen bezeigt, als an den sofistischen Spitzfindigkeiten, womit Plato seine Zuhörer so gern – zum Besten hat. Schließe nicht etwa hieraus, daß ich deinen jungen Freund gegen den letztern böslicher Weise eingenommen habe. Die Sache machte sich von selbst. Denn zum Unglück mußte sichs fügen, daß Plato, da der gute Antipater zum ersten Mahl in seine Schule kam, eben in der Vorlesung und Erklärung seines Parmenides begriffen war, worin er diesen Eleatischen Sofisten seinen berühmten Grundsatz, Alles ist Eins, und Eins ist Alles durch eine neunfache Reihe Argumentazionen von der allersubtilsten Subtilität durchführen läßt. Der arme Antipater, dem so etwas nie gereicht worden war, horchte mit Augen, Mund und Ohren, und wäre beynahe erstickt, weil er, aus Furcht daß ihm ein Wort entgehen möchte, den Athem so lange bis er nicht mehr konnte an sich hielt. Da er aber in einer ganzen Stunde mit übernatürlicher Aufmerksamkeit und Anstrengung allem, was er gehört hatte, weder Sinn noch Geschmack abgewinnen konnte, und anstatt weiser als zuvor geworden zu seyn, nichts als einen wüsten Kopf, worin sich alles mit ihm im Wirbel herumdrehte, davon trug, lief er, ohne den Schluß abzuwarten, zum Sahl hinaus, und schwur bey allen zwölf himmlischen Göttern, seinen Fuß nie wieder über die Schwelle des Mannes zu setzen, welcher wißbegierigen Jünglingen solche Possen für Weisheit verkaufe. Da irrest du dich, Antipater, sagte ich: er giebt sie umsonst. – Desto schlimmer für seine Zuhörer, versetzte der junge Mensch; denn wenn er auch nur den Werth einer Drachme darauf legte, so würde er sich schämen, Spreu für Körner zu verkaufen. Ich muß eilends nach der nächsten Palästra laufen, um das tolle Zeug wieder aus dem Leibe zu schwitzen. – Das magst du immerhin, sagte ich: indessen hättest du doch in dieser einzigen Stunde, die du für verloren hältst, viel gewonnen, wenn du dir merktest, was sie dich gelehrt hat.

»Und was wäre das?« –

Daß es Dinge giebt, von denen ein vernünftiger Mensch nicht mehr wissen wollen muß, als jedermann davon weiß. Daß z. B. Etwas nicht – Nichts, und Eins nicht – zwey ist, sind Wahrheiten, woran niemand zweifelt: aber Plato wollte auch begreiflich machen, wie und warum es so sey, und verwickelte darüber sich selbst und seine Zuhörer in so undenkbaren Sofistereyen und Widersprüchen, daß du am Ende ungewiß wurdest, ob du selbst Etwas oder Nichts seyest.

»Das ist eben, was mich toll machte. Höre nur an. – Viele können nicht seyn, wenn nicht Eins ist; denn viele sind weiter nichts als Eins vielmahl genommen. Nun kann aber Eins nicht Eins seyn; denn ein anders ist seyn, ein anders, Eins. Sobald also Eins existierte, so wär' es nothwendig mehr als Eins, nehmlich das Eins an sich selbst, und das existierende Eins; Eins wäre also Zwey, da aber zwey nicht Eins seyn kann, weil es dann nicht zwey wäre, so giebt es weder Eins noch zwey, folglich auch nicht viele, folglich gar Nichts. – Ist es erlaubt, solch unsinniges Zeug für Filosofie zu geben, wenn man's auch umsonst giebt?

Nimm es, wie gesagt, beym rechten Ende, so wird es dich klug machen. Wer weiß ob Plato mit seinem Parmenides etwas anders wollte?

»Wenn das sein Zweck war, so danke ich für das Mittel! Was würde man von einem Menschen sagen, der ein paar Dutzend arme Kinder stundenlang mit Versuchen auf dem Kopfe zu gehen quälte, bloß um sie zu überzeugen, daß sie nicht auf dem Kopfe gehen müßten?« –

Was konnt' ich dem jungen Manne antworten, Kleonidas?

Da ich doch Einmahl auf diesem Kapitel bin, so habe die Geduld, über mein Verhältniß zu Plato, worüber meine Freunde sich, wie ich merke, ziemlich unnöthige Sorgen machen, mein letztes Wort anzuhören.

Niemand kann geneigter seyn als ich, diesem großen Antagonisten und Nebenbuhler der Protagoras, Gorgias, Prodikus, Hippias, und wie sie weiter heißen, in allem, was an ihm und seinen Werken als vortrefflich zu loben ist, die vollständigste Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Ob ich aber wirklich so gerecht gegen ihn seyn kann, als ich zu seyn wünsche, zweifle ich selbst. Wir sind zu verschiedene Naturen und sympathisieren zu wenig, um einander rein aufzufassen. Daher ist mir auch seine Meinung von mir sehr gleichgültig; vielleicht noch mehr als ihm die Meinige. Er kann mir weder schaden noch nützen; denn ich werde nie weder sein Nebenbuhler noch sein Fackelträger seyn. Der Weg, den ich gehe, liegt so weit von dem seinigen, daß wir schwerlich jemahls in Zusammenstoß gerathen können. Ruhm scheint alles zu seyn was er sucht; ich suche nichts, als so gut durch die Welt zu kommen wie mir möglich ist, und wenn ich berühmt werden sollte, müßte dem Ruhm nur die Laune anwandeln, mich zu suchen; ich suche ihn gewißlich nie. Wie könnten wir also, Plato und Ich, uns je im Wege stehen? Kurz, ich sehe so wenig Ursache, warum Ich ihn lieben oder beneiden, als warum Er mich hassen oder verachten sollte; warum sollten wir uns also nicht bey unsrer bisherigen Gewohnheit erhalten können, ich von Ihm öffentlich immer mit der Achtung, die man großen Talenten schuldig ist, er von Mir – gar nicht mehr zu reden? – Indessen werd' ich mir doch gefallen lassen müssen, von den strengem Sokratikern überhaupt – zumahl seitdem Xenofon in seinen Erinnerungen an Sokrates den Ton hierin angegeben hat – aus ihrer Gemeine ausgeschlossen, oder, da sie mich doch nicht ganz verwerfen können, wenigstens für einen unächten Sohn des Vaters, zu dem wir uns alle bekennen, erklärt zu werden. Sie machen mir, wie ich höre, mit vieler Bitterkeit zum Vorwurf, daß ich die keusche Filosofie des Sokrates auf eine zweyfache Weise zur Hetäre herabwürdige.- erstens, indem ich zu ihrem ersten Grundsatz mache, »die Wollust sey das höchste Gut des Menschen;« und zweytens, weil ich sie für baares Geld verkaufe. Über den ersten Vorwurf, der sich vermuthlich mehr auf meine von der ihrigen ziemlich stark abstechende Art zu leben, als auf die lächerliche Beschuldigung, daß ich die Wollust zum Princip meiner Filosofie mache, gründet, bedarf ich wohl keiner Rechtfertigung bey dir: über den zweyten hingegen glaube ich dir einige Erläuterung schuldig zu seyn, und trage zu diesem Ende kein Bedenken, dir den ganzen Hergang, der den Anlaß dazu gegeben, umständlich zu erzählen.

Die Entschließung, deren ich ehemahls gegen dich erwähnte, einen Theil meiner Muße Jünglingen, die sich nach Sokratischer Weise zu mir halten wollten, zu widmen, fand, als ich sie eine Zeitlang in Ausübung gebracht hatte, vielen Beyfall. Meine Art zu filosofieren schien mehrern, welche sich den Sokrates selbst öfters gehört zu haben erinnerten, der Sokratischen Deutlichkeit, Popularität und Anwendbarkeit im Leben ohne Vergleichung näher zu kommen als die Platonische, und ein gutes Theil mehr von der Sokratischen Genialität und Anmuth zu haben, als die herbe einseitige Manier des Antisthenes. Indessen waren doch diejenigen, die sich am meisten an mich andrängten, größtentheils Fremde, die nur wenige Wochen oder Monate in Athen verweilen konnten oder wollten. Eine Anzahl dieser letzten verabredete sich mit einander, mich zu bitten, daß ich ihnen in so kurzer Zeit als möglich einen vollständigen Unterricht in der Filosofie des Sokrates ertheilen möchte, die seit seinem Tode in ein Ansehen und eine Nachfrage gekommen ist, so sie niemahls, während er selbst noch lebte, gehabt hat. Diese Leute mochten gehört haben, daß Prodikus und andere berühmte Sofisten sich für ihre Vorlesungen ziemlich theuer hätten bezahlen lassen; oder glaubten vielleicht, was man umsonst weggebe, müsse wenig werth seyn; oder hielten es auch wohl für unbillig, einem Manne, den keine Noth dazu treibt, zuzumuthen, daß er Athem aufwende, andere gescheidter und besser zu machen, ohne sich selbst besser dadurch zu befinden: genug, sie beschlossen, es gänzlich in meine Willkühr zu stellen, was für einen Preis ich auf meine Gefälligkeit setzen wollte, und genehmigten zum Voraus jede Bedingung, die ich ihnen machen würde. An einem schönen Morgen erschienen ihrer nicht weniger als dreyßig, um mir durch einen aus ihrem Mittel diesen Antrag zu thun. Ich suchte Anfangs die Sache in Scherz zu verwandeln, aber es war den Leuten bittrer Ernst. Ich wies sie an Plato, Äschines, Antisthenes, Stilpon, Simmias, u. s. w. aber sie hätten nun einmahl das Zutrauen zu mir, sagten sie. Weil ich wirklich ungern an die Sache ging, hoffte ich sie endlich dadurch abzuschrecken, wenn ich einen sehr hohen Preis auf meine Waare setzte. Ich erklärte mich also zuletzt: ich getraute mir allerdings ihnen alles, was ich in drey Jahren von Sokrates gelernt hätte, in eben so viel Dekaden vollständig mitzutheilen: aber ich könnte ihnen nicht verhalten, daß es jedem von ihnen wenigstens so hoch zu stehen kommen würde, als wenn er seinen Freunden ein prächtiges Gastmahl gäbe; denn die zwölf Diskurse, in welche ich die ganze Filosofie des Sokrates zusammen zu fassen gedächte, würden den Mann nicht weniger als zwölf Dariken kosten. Dafür sollte jeder zugleich eine Abschrift dieser Diskurse erhalten, jedoch unter der ausdrücklichen Bedingung, sie entweder gänzlich für sich zu behalten, oder nicht mehr, als ein einziges Exemplar um den Preis, den es ihn selbst gekostet, und unter der nehmlichen Bedingung, irgend einer andern Person zukommen zu lassen. Was ich verlange (setzte ich hinzu) ist viel oder wenig, je nachdem ihr das, was ihr dafür bekommt, anwenden werdet. Als bloße Spekulazionssache gäbe ich selbst für die Filosofie des Sokrates, wie für jede andere, keine taube Nuß; in Ausübung gebracht, ist sie mehr als alles Gold des großen Königs werth. Überlegt also wohl was ihr thut, damit es euch nie gereue, euere Dariken nicht auf eine angenehmere Art verloren zu haben. – Mir däuchte als ob mehr als Einer von den Jüngern bey dieser Verwarnung eine etwas nachdenkliche Miene mache: aber da vermuthlich keiner für schlechter angesehen seyn wollte als der andere, so wurde mein Antrag einhellig mit großer Freude angenommen. Kurz, die dreyßig Fremden, größtentheils Böotier, Arkadier, Lokrier und Chalcidier (drey oder vier Abderiten nicht zu vergessen) legten drey hundert und sechzig blanke Dariken in einem Beutel von Cyrenischem vergoldetem Leder zu meinen Füßen, und erhielten dafür was ich ihnen versprochen hatte.

Du siehst also, lieber Kleonidas, daß der Vorwurf, den mir die Sokratiker machen, daß ich die Weisheit unsers Meisters um Geld verkaufe, nicht ungegründet ist: ob auch gerecht, ist eine andere Frage, die ich deinem eigenen Urtheil anheim stelle. Ich meines Orts, betrachte einen Gelehrten überhaupt – und warum denn nicht auch den, der von der Kunst zu denken, zu reden, und zu leben Profession macht? – wie jeden andern Virtuosen, in welcher Kunst es sey; und ich sehe nicht, warum ich, wenn es mir beliebt, und die Käufer sich mir von freyen Stücken anbieten, ja sogar aufdringen, für meine filosofischen Diskurse nicht eben so gut Geld nehmen sollte, als Pindar für seine Siegeslieder, Damon für seine Musik, ein Arzt für seine Kuren, ein Mahler für seine Gemählde, Aristofanes für seine Komödien, oder Isokrates für seinen Unterricht in der Filosofie der Beredsamkeit, wie er seine Rhetorik zu nennen pflegt. Nehmen doch die Bürger von Athen für die Ausübung ihrer Suveränität ohne Bedenken – ihr Triobolon! Daß die Hetären von ihren guten Freunden Geld nehmen, fand sogar Sokrates billig; und wenn ihre Profession schändlich ist, was kann hieraus zum Nachtheil derer, die eine edlere treiben, gefolgert werden? Wie dem auch sey, seit dieser Begebenheit hat mir mehr als Ein Athener angelegen, seinem Sohn in allem, was ein Kalos Kagathos (wie man jetzt zu sagen pflegt) besonders ein künftiger Staatsmann und Demagog zu wissen nöthig habe, Unterricht zu ertheilen; und um nicht mit Zumuthungen dieser Art zu sehr belästiget zu werden, habe ich ein für allemahl fünf hundert Drachmen zu meinem festgesetzten Preise gemacht. Ein einziger, und zwar einer der reichsten Männer in ganz Attika, der mir (vermuthlich ohne recht zu wissen was er that) seinen einzigen Sohn übergeben wollte, fand den Preis zu hoch; dafür, meinte der Ehrenmann, könne er sich ja einen tüchtigen Sklaven kaufen. Das thue doch ja, sagte Antipater, der dabey stand, lautlachend, so hast du ihrer zwey, ohne daß es dich einen Heller mehr kostet. Dieß Wort lief sehr bald in ganz Athen herum, und wurde von vielen auf meine Rechnung gesetzt; aber Jedem das Seine! Du siehst daß Antipater nicht vergeblich so viel um den Spötter Diogenes ist.

Aus deinen Nachrichten von dem dermahligen Zustand unsrer Vaterstadt sehe ich, daß ein Mann, der unter glücklichen Menschen glücklich leben will, er sey auch zu Hause wo er wolle, nach Cyrene ziehen muß. Und ich – bin ein geborner Cyrener, habe alles was mir das liebste ist in Cyrene, und lebe zu Athen! – Nur noch ein Jahr, Kleonidas, ein einziges Jahr längstens, trage Nachsicht mit meiner Thorheit – wenn ich mich wieder von diesem verführerischen Athen scheide, so ists auf immer!


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