Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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SIE. Nur heraus mit dem Worte! – Für eine Hetäre passieren? Vermuthlich. Aber warum sollt' ich mich über das Vorurtheil, das auf diesem Nahmen liegt, nicht hinwegsetzen? Jeder Stand in der Gesellschaft hat gewisse Vorurtheile gegen sich. Unsre ehrbaren Matronen passieren, im Durchschnitt genommen, für Gänse und Elstern, oder, falls sie Verstand genug dazu haben, für Heuchlerinnen, die Tag und Nacht auf nichts als Ränke sinnen, wie sie ihre Männer hintergehen, und die Vortheile des Hetärenstandes mit der Achtung, die dem Frauenstande gebührt, zugleich nutznießen wollen; und wenn man die Komödiendichter hört, so ist noch die Frage, ob eine Person von Geist und feinem Gefühl nicht mehr Ehre davon habe, eine so seltne Hetäre wie Aspasia oder Thargelia zu seyn als eine Matrone, wie unter jedem Hundert, nach der gemeinen Meinung, wenigstens drey Fünftel sind. Hier oder nirgends tritt der Fall ein, mein Freund, wo ich sehr Unrecht hätte, meine Entschließung von der Meinung anderer Leute abhängen zu lassen. Ich liebe den Umgang mit Mannspersonen, aber als Männer sind sie mir gleichgültig. Ich kenne sie, denke ich, bereits genug, um die Stärke und den Umfang der Macht zu berechnen, die ich mir ohne Unbescheidenheit über sie zutrauen darf. Ich weiß was sie bey mir suchen; und da es bloß von mir abhängt, sie durch so viele Umwege als mir beliebt im Labyrinth der Hoffnung herum zu führen, so verlaß dich darauf, daß keiner mehr finden soll, als ich ihn finden lassen will; und das wird für die meisten wenig genug seyn. Kurz, du sollst sehen, Aristipp, wie bald die allgemeine Sage unter den Griechen gehen wird, es sey leichter die Tugend der züchtigsten aller Matronen in Athen zu Falle zu bringen, als einer von denen zu seyn, zu deren Gunsten die Hetäre Lais (weil sie doch Hetäre heißen soll) sich das Recht Ausnahmen zu machen vorbehält.

Sie sagte dieß mit einem so reitzenden Ausdruck von Selbstbewußtseyn und Muthwillen, daß es mir beynahe unmöglich war, nicht auf der Stelle die Probe zu machen, ob ich vielleicht unter diese Ausnahmen gehören könnte: aber die Furcht, durch ein zu rasches Wagestück mein Spiel auf immer zu verderben, zog mich noch stark genug zurück, daß ich Meister von mir selber blieb. Solltest du, sagte ich, indem ich eine ihrer Lilienhände, die in diesem Augenblick auf ihrem Schooße lag, etwas wärmer als der bloßen Freundschaft zukommt, mit der meinigen drückte, solltest du wirklich hartherzig genug seyn, ein so grausames Spiel mit uns Armen zu treiben, als du dir jetzt einzubilden Belieben trägst? – Hartherzig? – versetzte sie mit spottendem Lächeln, ihre Hand schnell unter der meinigen wegziehend, indem sie sich eben so schnell von der Bank, wo wir saßen, aufschwang und wie eine Göttin vor mir stand; zum Beweise, daß ich es wenigstens nicht für dich bin, laß dir ein für allemahl rathen, Freund Aristipp, keine Kunstgriffe bey mir zu versuchen. Unser Verhältniß ist von einer sehr zarten Art; ich erlaube dir den Augenblick zu belauschen, aber hüte dich, ihm zuvorzukommen! Beynahe sollt' ich denken, schöne Lais, (erwiederte ich) du seyst bey dem weisen Sokrates in die Schule gegangen – »Wie so?« – Weil die Lehre oder Warnung, die du mir so eben giebst, die nehmliche ist, die ich ihn einst einer jungen Hetäre zu Athen geben hörte. – »Du scherzest, Aristipp; wie käm' ein Mann wie Sokrates dazu, sich mit dem Unterricht einer Hetäre abzugeben?« – Du kennest ihn noch wenig, schöne Lais, wie ich sehe. Kein Sterblicher ist freyer von Vorurtheilen als er, und das Geschäft seines Lebens ist, allen Arten von Personen, unbegehrt und ohne auf ihren Dank zu rechnen, Unterricht und guten Rath zu geben. Er lehrt einen Gerber besseres Leder machen, einen Tänzer gefälliger tanzen, einen Mahler geistreicher mahlen, einen Hipparchen seine Reiter und Pferde besser abrichten: warum sollte er nicht auch eine unerfahrne aber schöne und lehrbegierige junge Hetäre zur Virtuosin in ihrer Kunst zu machen suchen? – »Du erregst meine Neugier; wolltest du mir wohl das Vergnügen machen, mir alles zu erzählen, was du von dieser sonderbaren Begebenheit noch im Gedächtniß hast?« – Sehr gern; ich erinnere mich noch eines jeden Wortes, wiewohl es schon über Jahr und Tag ist, daß sie sich zugetragen hat. Einer von den unsrigen, Kleombrotus von Ambrazien, ein junger Schwärmer, wenn je einer war, erzählte uns, er habe so eben durch einen glücklichen Zufall Gelegenheit gehabt, das schönste Mädchen in Athen zu sehen, und zwar, wie nicht jedermann sie zu sehen bekomme; denn sie sitze eben einem Mahler als Modell. Da er nicht aufhören konnte, von der Schönheit dieser jungen Person als einer unaussprechlichen Sache zu reden, sagte Sokrates endlich lächelnd: wenn das ist, so könntest du uns den ganzen Tag davon sprechen, ohne daß wir ein Wort mehr wüßten als zuvor; denn von einer unaussprechlichen Sache einen Begriff durchs Ohr zu bekommen, ist unmöglich. Da wäre also, sagte dein naseweiser Freund Aristipp, kein andres Mittel uns zu überzeugen, daß Kleombrotus nicht zu viel gesagt habe, wiewohl er eigentlich Nichts gesagt hat, als daß wir selbst hingingen und mit eignen Augen sähen. So gehen wir denn, sagte Sokrates. Kleombrotus führte uns also alle, so viel unser gerade um den Meister waren, nach der Wohnung der schönen Theodota, mit welcher er durch seinen Freund, den Mahler, schon bekannt war; wir wurden gefällig empfangen, stellten uns in bescheidener Entfernung um den Künstler her, und sahen – was zu sehen war. – War das Mädchen wirklich so schön? unterbrach mich Lais im Ton der vollkommensten Gleichgültigkeit – In der That, antwortete ich in eben dem Ton, schön genug, daß sie mit allen Ehren die Stelle einer von deinen drey Grazien einnehmen könnte. Schmeichler! sagte sie, indem sie mir einen leichten Schlag auf die Schulter gab; ich unterbreche dich nicht wieder.

Als der Mahler aufgehört, und die schöne Theodota sich in ein Nebengemach begeben hatte, um ihren Anzug wieder in die gewöhnliche Ordnung bringen zu lassen, warf Sokrates, in einem ihm ganz eigenen unnachahmlichen Mittelton zwischen Scherz und Ernst, die Frage auf: Ob wir, die Zuschauer, der schönen Theodota für die Erlaubniß ihre Schönheiten in einen so genauen Augenschein zu nehmen, oder Theodota nicht vielmehr uns für die Beschauung Dank schuldig sey? und entschied sie, nach Maßgabe des ihr oder ihnen wahrscheinlich daraus zuwachsenden Vortheils oder Nachtheils, zu Gunsten der Zuschauer. Inmittelst hatte er, seiner Gewohnheit nach, mit seinen weit hervorragenden scharf blickenden Augen das Innere des ganzen Hauswesens ausgekundschaftet; und als Theodota wieder sichtbar ward, machte er ihr sein Kompliment über den reichen und glänzenden Fuß, auf welchem alles bey ihr eingerichtet sey. Das Alles, setzte er hinzu, muß dich viel Geld kosten, und ein so großer Aufwand setzt ein großes Vermögen voraus. Du hast ohne Zweifel ein schönes Landgut? – Keine Erdscholle, antwortete Theodota etwas schnippisch. – »Also vermuthlich ein Haus, das dir ansehnliche Renten abwirft?« – Auch das nicht, erwiederte sie, indem sie ein paar große Augen an den Mann machte, der einer Unbekannten so sonderbare Fragen vorlegte, und ihr dennoch, seines schlechten Aufzugs ungeachtet, Ehrfurcht und Zutrauen einzuflößen schien. – »Aha! Nun versteh ich; du bist Eigenthümerin einer großen Fabrik, worin eine Menge geschickter Arbeiter Geld für dich verdienen?« – Ich? ich besitze nichts dergleichen. – »Wovon kannst du denn einen solchen Aufwand machen?« – Die Freygebigkeit meiner guten Freunde, erwiederte sie erröthend, und hielt inne – »Gute Freunde? Das gesteh ich! Da hast du allerdings ein großes Besitzthum. Ein Rudel Freunde ist freylich ein ganz andrer Reichthum als eine Herde Rinder, Schafe und Ziegen! Aber wie fängst du es an, schöne Theodota, daß du so gute Freunde bekommst? Läßt du es auf den Zufall ankommen, ob sich so ein Freund, wie eine Fliege, von ungefähr an dich setzt, oder gebrauchst du etwas Kunst dazu?« – Ich verstehe dich nicht; wie käme ich zu einer solchen Kunst? »Wenigstens so leicht als eine Spinne. Du weißt doch wie sie es machen, um sich ihren Unterhalt zu verschaffen? Sie weben eine Art feiner Netze; die Mücken verfangen sich darin, und dienen ihnen zur Speise.« – Ich soll also auch so ein Netz weben, meinst du? – »Warum nicht? Du wirst dir doch nicht einbilden, daß ein so köstliches Wildbret, als gute Freunde sind, dir so ohne alle List und Mühe, mir nichts dir nichts, in die Küche laufen werde? Siehst du nicht, wie mancherley Anstalten die Jäger machen, um nur einen schlechten Hasen zu erhaschen? Weil der Hase immer bey Nacht auf die Weide geht, schaffen sie sich Hunde an, die bey Nacht jagen; und weil er ihnen bey Tage entlaufen würde, halten sie sich Spürhunde, die, wenn er von der Atzung in sein Lager zurück geht, seiner Fährte folgen und ihn dort zu fangen wissen. Weil er so schnellfüßig ist, daß er ihnen im Freyen gar bald aus den Augen kommt, haben sie Windspiele bey der Hand, die ihn im Laufen fangen; und da er ihnen auch so vielleicht noch entrinnen könnte, stellen sie überall, wohin er seinen Lauf nehmen könnte, Jagdnetze auf, worein er sich verwickeln muß.« – Das alles mag zur Hasenjagd sehr dienlich seyn, sagte Theodota mit einem kleinen spöttischen Naserümpfen; nur sehe ich nicht, welches von diesen Mitteln mir dienen könnte um Freunde zu erjagen. – »Was meinst du, Theodota, wenn du dir statt eines Spürhundes jemand anschaffen könntest, der die Gabe hätte dir die reichen Dilettanten auszuriechen und in deine Netze zu jagen?« – In meine Netze? Was für Netze hätte ich denn? – »Das fragst du, schöne Theodota? Eines wenigstens gewiß, das auf alle Fälle schon weit reicht, und von der Natur selbst gar zierlich gestrickt wurde; und wie kannst du vergessen, daß du in diesem schönen Leibe eine Seele hast, die dich lehren könnte, wie du die Augen brauchen mußt, um die Männer durch deine Blicke zu bezaubern; was du reden mußt, um sie aufgeräumt und fröhlich zu machen; wie du den, der dich ernstlich liebt, durch die Anmuth deines Betragens fest halten, und den Lüstling, der nur in deinen Reitzen schwelgen will, abschrecken und entfernen sollst. Und hast du nicht auch ein Gemüth, das dich an deinem Freunde Antheil nehmen macht? Das dich antreibt die zärtlichste Sorgfalt an ihn zu verschwenden wenn er krank ist; ihm die lebhafteste Theilnehmung zu zeigen, wenn er irgend etwas rühmliches gethan hat, und mit ganzer Seele an ihm zu hangen, wenn er dir Beweise giebt, daß auch er es recht herzlich mit dir meine? Ich zweifle nicht, du kannst mehr als nur liebkosen, du kannst auch lieben; und du machst dir ein Geschäft daraus, die Gewalt, die du über die Gemüther deiner Freunde hast, dazu anzuwenden, sie zu den edelsten und besten Menschen zu machen.« – Ich versichre dich, (sagte Theodota, indem sie den Mund mehr als nöthig war aufthat, um uns zwey Reihen der schönsten Perlenzähne zu weisen) von dem allen ist mir nie etwas in den Sinn gekommen. – »Das ist mir leid für dich; denn es ist nichts weniger als gleichgültig, ob man den Menschen gehörig und seiner Natur gemäß behandelt oder nicht. Mit Gewalt wirst du wahrlich keinen Freund weder bekommen noch behalten; das ist ein Wild, das sich nicht anders fangen und an die Krippe gewöhnen läßt, als daß man ihm wohl begegnet und Vergnügen macht. Das erste also, worauf du zu sehen hast, ist, daß du von deinen Liebhabern nichts verlangest als was sie dir leicht und mit dem wenigsten Aufwand gewähren können; das zweyte, daß du ihnen in eben dieser Art keine Gefälligkeit schuldig bleibest. Dieß ist ein unfehlbares Mittel, zu machen, daß sie dich immer lieber gewinnen, dich desto länger lieben und desto freygebiger gegen dich sind. Du weißt, warum es ihnen eigentlich bey dir zu thun ist; und es ist wohl nicht deine Meinung, die Tyrannin mit ihnen zu spielen. Das, wovor du dich hüten mußt, ist also bloß, vor lauter Gefälligkeit, dem Guten nicht zu viel zu thun. Du siehest, daß die leckerhaftesten Gerichte dem, der keine Lust zum Essen hat, nicht schmecken wollen, und dem Satten sogar Ekel erwecken: kannst du hingegen deinem Gaste Hunger machen, so wird ihm auch gemeine Kost willkommen seyn.« – Was müßt' ich denn thun, (sagte Theodota mit der schaafmäßigsten Miene in einem der schönsten Gesichter) um denen, die mich besuchen, Hunger zu machen? – »Vor allen Dingen dich wohl in Acht nehmen, ihnen wenn sie satt sind nichts weiter vorzusetzen, geschweige sie noch gar nöthigen zu wollen. Lässest du ihnen Zeit, so wird der Appetit von selbst wiederkommen; wenn du aber siehest, daß dieß der Fall ist, so übereile dich ja nicht; locke sie durch die artigsten Manieren, die feinsten Liebkosungen: sey lebhaft, reitzend, sogar muthwillig; aber entschlüpfe ihnen immer wieder, wenn sie dich zu haben meinen, und ergieb dich nicht eher, bis du gewiß bist, daß sie den höchsten Werth auf deine Gefälligkeit legen.« – Diese Lehre schien der jungen Person einzuleuchten. Wenn nur du, sagte sie und lächelte den alten Herrn so holdselig an als ihr möglich war, wenn nur du mir Freunde jagen helfen wolltest? – »Warum nicht, wenn du mich dazu bereden kannst?« – Das möchte ich wohl gern, wenn du mir nur sagen wolltest, wie ich es machen muß. – »Das ist deine Sache; du mußt eine Seite ausfindig machen, wo du mir beykommen kannst.« – So besuche mich nur recht fleißig, lieber Sokrates! – Ich habe nur nicht viel übrige Zeit, meine gute Theodota, erwiederte Sokrates, der des Scherzens mit der albernen Puppe überdrüßig zu werden anfing; meine häuslichen und öffentlichen Geschäfte lassen mir wenig müßige Augenblicke. Auch habe ich eine hübsche Anzahl guter Freundinnen, die mich Tag und Nacht nicht von sich lassen wollen, weil ich sie gar wirksame Liebestränke und Zauberlieder lehre.« – Ey, was du sagst! Verstehst du dich auch auf solche Dinge, Sokrates? – »Wie sollt' ich nicht? Meinst du, der Apollodor und der Antisthenes hier gehen mir um nichts und wieder nichts nie von der Seite? Oder Cebes und Simmias kommen ohne ihre guten Ursachen bloß meinetwegen bis von Theben hergelaufen? Du begreifst doch, daß so was nicht ohne Hexerey und Liebestränke und Zauberschnüre möglich ist.« – So sey so gut und leihe mir eine solche Schnur, damit ich sie gleich auf dich werfen kann. – »Ich will aber nicht zu dir gezogen seyn, sagte Sokrates lächelnd, du sollst zu mir kommen. – Von Herzen gern, wenn du mich nur annehmen willst. – »Das will ich wohl, es wäre denn, daß eben eine bey mir wäre die ich lieber habe.« – Hier endigte sich dieser in seiner Art einzige Sokratische Dialog;Die Erzählung, welche Aristipp seiner Freundin von dem Besuch des Sokrates bey der schönen Theodota macht, stimmt in allem Wesentlichen genau mit der Xenofontischen im eilften Kapitel des dritten Buchs der Memorabilien überein; wenigstens ist der Unterschied nicht größer als er gewöhnlich zu seyn pflegt, wenn eben dieselbe Begebenheit von zwey verschiedenen Augenzeugen erzählt wird. wir empfahlen uns und gingen lachend unsres Weges. Schade, sagte Lais, daß so viel Witz und Laune an so ein Attisches Hühnchen verschwendet wurde! Ich hätte mir nie vorgestellt, daß es eine so erzeinfältige Hetäre in einer Stadt wie Athen geben könnte. – Das macht, sie ist eine geborne Athenerin, eines ehrsamen Bürgers Tochter, so wohl erzogen wie du vorhin sagtest, daß die Griechischen Töchter beynah alle erzogen würden, und bloß durch Armuth und Hang zum Müßiggang und zur Üppigkeit verleitet, sich in eine Profession zu werfen, worin sie, ungeachtet aller Mühe, die sich Sokrates selbst mit ihr gegeben, schwerlich jemahls eine Virtuosin zu werden die Miene hat.

Aber weißt du, sagte Lais, daß ich ganz verliebt in deinen Sokrates bin, und große Lust habe, dich nach Athen zu begleiten und seine Schülerin zu werden? – Beym Anubis! fuhr ich etwas unbesonnen heraus, ich traue dir Muthwillen genug zu, einen solchen Einfall, wenn er dich anwandelt, auszuführen. Niemand kann eine größere Meinung von deiner Zaubermacht haben als ich; ich glaube daß dir – alles mögliche möglich ist; und doch wollte ich dir nicht rathen, diese Probe an dem kaltblütigsten Acht und Sechziger, den vermuthlich der Erdboden trägt, zu machen, – falls es dich etwa verdrießen könnte, wenn sie fehl schlüge. – Reitze mich nicht, Aristipp! versetzte sie; wer weiß wie weit ich es, trotz seiner acht und sechzig Jahre und seiner Kaltblütigkeit, mit Hülfe seiner eigenen Theorie, bey ihm bringen könnte?

Ich schmeichle mir, Freund Kleonidas, durch die großmüthige Vertraulichkeit, womit ich dich an meinem neuen Verhältniß und der schönen Lais Theil nehmen lasse, einigen Dank von dir zu verdienen; und in dieser gerechten Voraussetzung könnt' ich mich leicht zu der angenehmen Arbeit entschließen, eine Art von Tagebuch über alles Merkwürdige, was während meines Aufenthalts in Ägina vermuthlich noch begegnen wird, für dich zu halten. Freylich werd' ich wenig Zeit zum Schreiben haben, und große Arbeitsamkeit ist leider! auch keine meiner glänzendsten Tugenden. Ich will mich also zu nichts anheischig gemacht haben. Ich überlasse mich, wie du weißt, am liebsten den Eingebungen des Augenblicks, und so thue ich oft mehr als ich mir selbst zugetraut hatte.

Mein Wirth Eurybates, der sonst mit Sokratischen Tugenden eben nicht schwer beladen ist, besitzt wenigstens Eine, und gerade die, wodurch er sich jetzt am meisten um mich verdient machen kann, in einem hohen Grade; und das ist die edle Tugend, seinen Freunden nicht durch übermäßige Dienstgeflissenheit lästig zu seyn, und sie ihrer Wege gehen zu lassen, wenn er merkt, daß ihnen ein Gefallen damit geschieht. Ich gestehe, daß mir Anfangs ein wenig bange war, ich möchte ihn bey der schönen Lais in meinem Wege finden. Aber nichts weniger! Man sieht ihn nie in ihrem Hause als wenn sie große Gesellschaft hat, und auch dann ist er eine ziemlich seltene Erscheinung, und oft schon wieder verschwunden, ehe man seine Gegenwart recht gewahr wurde. Auch zeigt er nicht die geringste Neugier, von meinem Verhältniß gegen sie mehr zu wissen als andere. Kurz, es ist etwas ganz Exemplarisches, wie wenig wir einander mit unsrer Freundschaft beschwerlich sind. – Ohne Zweifel wundert dich eine solche Gleichgültigkeit gegen eine Nachbarin, wie es keine andere in der Welt giebt? Es ging mir wie dir; ich erkundigte mich unter der Hand ein wenig nach seinem Thun und Lassen, und es entdeckte sich, als ein neues Beyspiel der Unlauterkeit aller menschlichen Tugenden, daß – mein Freund Eurybates bis über die Ohren in Liebe zu einer – Dame in Ägina, der Frau eines dasigen Rathsherren, befangen ist, die ihn so künstlich bey der Nase herumzuführen weiß, daß er sich ihr für das Opfer ihrer Tugend zu grenzenloser Erkenntlichkeit verbunden glaubt, während die gleißnerische Spitzbübin einen geheimen Plan mit ihrem ehrenvesten und wohlweisen Gemahl angelegt hat, ihm ihre besagte Tugend so theuer zu verkaufen, daß er sich für das, was sie ihn kostet, das schönste Haus, die schönsten Gemählde und Statuen, die schönsten Pferde und Hunde, und ein Halbdutzend der schönsten Tänzerinnen und Flötenspielerinnen im ganzen Achaja hätte anschaffen können; wiewohl noch viel fehlt, daß sie die schönste Frau auch nur in Ägina wäre. So spielt »der Götter und der Menschen Herrscher Amor« einem Abkömmling des großen Kodrus mit, mein Freund!


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