Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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XLVII.
Kleonidas an Aristipp.

Wenn ich nicht schon lange wüßte, daß du ein weiserer Mann, oder wenigstens ein nicht so heißer Liebhaber des Schönen bist als ich, so würde mich dein Benehmen gegen den leidigen Zerrbildner Diagoras davon überzeugt haben; denn ich muß gestehen, mir wäre es unmöglich gewesen, beym Anblick seiner unartigen Machwerke Geduld zu behalten. Mag doch immerhin eine Art von Genie und Kunst dazu gehören, auch an lächerlichen Karikaturen nicht über eine gewisse Grenzlinie hinauszuschweifen, und das Bürleskhäßliche nicht bis zum Ekelhaften, das Überladene und Verzerrte nicht bis zur gänzlichen Unnatur zu treiben: aber was berechtigt diesen Menschen, mit dem Muthwillen eines trunkenen Barbaren in das Heiligste der Kunst einzufallen, und, einer grillenhaften Fantasie zu Liebe, die Ideale alles Schönen, Lieblichen und Erhabenen zu verunstalten und in schmutzig possierliche Mißgestalten zu verkehren, wozu er die Urbilder aus den Hefen der pöbelhaftesten Natur zusammen suchen mußte? Seine Götter und Göttinnen sind unstreitig die schlechteste Gesellschaft, die ein Mensch sich nur immer geben kann: aber mit welchem Recht erkühnt er sich, den Vater der Dichtkunst zu seinem Mitschuldigen zu machen? und wie kann er, ohne von seinem eigenen Gefühl Lügen gestraft zu werden, vorgeben: »seine Zerrbilder seyen den Homerischen Göttern angemessener als die erhabenen Darstellungen eines Alkamenes und Fidias?« – Es ist wahr, wie hoch Homer sich auch immer über sein Zeitalter hätte schwingen mögen, bis zur göttlichen Natur selbst vermocht' er sich und uns nie zu erheben. Er mußte, gern oder ungern, die Götter zu uns herabziehen; aber, da er nun einmahl genöthigt war, sie entweder ganz aus dem Spiele zu lassen oder bloß als eine Art menschenähnlicher Wesen aufzuführen; bestand da nicht die größte Kunst darin, sie, dessen was sie mit uns gemein haben ungeachtet, hoch genug über uns zu erheben, um einen stark in die Sinne fallenden und der Einbildung Ehrfurcht gebietenden Unterschied zu bewirken? Ich denke man kann in dieser Rücksicht mit dem, was er geleistet hat, zufrieden seyn. Seine Götter nähren sich z. B. wie wir, aber weniger aus Bedürfniß als zum Vergnügen, von Ambrosia und Nektar, die ihren Leib in Unsterblichkeit und ewiger Jugend erhalten. Sie haben Leidenschaften wie wir; aber auch diese sind nur erhöhte Äußerungen übermenschlicher Kräfte, oder Wirkungen des lebhaften Antheils, den sie an den Menschen nehmen. – Niemand wird zu läugnen begehren, daß dem Dichter der Ilias bey allem dem noch Spuren der Rohheit seines Zeitalters ankleben; indessen sollte, meines Bedünkens, auch der Umstand in Betrachtung kommen, daß, dem gemeinen Volksglauben nach, alle Heroen und Heroiden jener Zeit halbbürtige, mit Sterblichen erzeugte Götterkinder waren, und also der Abstand zwischen Göttern und Menschen bey weitem nicht so groß schien, daß es billig wäre, dem Dichter zum Vorwurf zu machen, wenn er sich hierin den Begriffen seiner Zeitgenossen fügte; zumahl da er das Menschenähnliche seiner Götter fast immer dermaßen zu veredeln weiß, daß in Stellen, wo sein Genius sich zum wirklichen Anschauen dieser himmlischen Naturen zu erheben scheint, selbst Pindars mächtiger Adlersflug sich nicht höher aufzuschwingen vermocht hat. Oder bedarf es etwa hiervon eines stärkern Beweises, als daß es ja eben der Homerische Götterkönig war, der den größten Bildner unsrer Zeit mit der hohen Idee begeisterte, die wir in seinem Jupiter Olympius so rein und kraftvoll dargestellt sehen, daß wir bey dessen Anblick, wie vom Schauder des gegenwärtigen Gottes ergriffen, die Augen niederzuschlagen genöthigt sind und den Boden unter uns erzittern zu fühlen glauben? – Gesetzt aber auch (was kein unbefangener Leser Homers zugeben wird) der Dichter hätte durch seine Art die Götter reden und handeln zu lassen dem leichtfertigen Diagoras zu seinen Zerrbildern Gelegenheit gegeben; mit welchem Grunde kann er es unsern größten Meistern übel nehmen, daß sie alle Nerven ihrer Fantasie angestrengt haben, sich vermittelst dessen, was an der menschlichen Natur das Schönste, Reinste und Vollkommenste ist, zu so hohen Idealen von Göttergestalten zu erheben, daß wir in ihren Werken, wie in theurgischen Erscheinungen, Götter zu sehen glauben, wiewohl wir im Grunde nur Menschen sehen? Ist es ihnen nicht vielmehr zum Verdienst anzurechnen, daß sie, in eben dem Augenblick da sie die Religion des Volkes durch die würdigsten Darstellungen, deren der gemeine Menschensinn fähig ist, reinigen, den Menschen zugleich anschaulich zu machen suchen, welcher Würde ihre eigene Natur fähig sey? Verzeihe mir, Lieber, daß ich mich in meinem gerechten Unwillen so lange bey einer Sache verweile, worüber wir, deiner anscheinenden Gleichgültigkeit ungeachtet, unmöglich verschiedener Meinung seyn können. Ich kann dir nicht ausdrücken, wie angenehm es mir ist, dich wieder mitten in der schönen Hellas zu wissen, in welcher ich noch immer durch die Erinnerung zur Hälfte lebe. Mir ist als ob du mir um so viel näher wärest; und auch Musarion, die Schöne und Gute, schmeichelt sich, ihre theilnehmende, wiewohl unsichtbare, Gegenwart dir und ihrer edeln Freundin bis in Ägina fühlbar zu machen.

Ende des zweyten Buchs.


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