Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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LAIS. Ich habe dir seltsame Dinge zu entdecken, Learch. Du hast richtig vermuthet; Dorylas ist nicht, wofür er sich von dem Sklavenhändler ausgeben ließ. – Hier hielt sie inne, als ob sie erwarte daß ich ihr weiter fort helfen sollte.

ICH. Und wie machte sich diese Entdeckung?

LAIS. Höre nur, wie es damit zuging. Ich hatte ihn an einem Morgen auf mein Zimmer rufen lassen, um mir, während meine Mädchen sich mit meinem Kopfputz und Anzug beschäftigten, Xenofons Gastmahl vorzulesen. Er las ziemlich schlecht, aber, wie mich dünkte, weniger aus Ungeschicklichkeit, als weil er sich nicht bezwingen konnte, statt auf sein Buch zu sehen, alle Augenblicke nach mir hinzuschielen, wiewohl dafür gesorgt war, ihm alle Versuchungen zu einer solchen Zerstreuung so viel möglich zu entziehen. Aber seine Ohren schienen eben so scharf zu hören als seine Blicke einzudringen, und die leiseste Bewegung irgend einer Falte an meinem Gewand erregte seine Aufmerksamkeit. Dieß brachte mir deine Zweifel wieder in den Sinn, und ich beschloß, mich ohne Verzug ins Klare zu setzen. Ich ließ ihn unversehens zu mir in den kleinen Sahl am Ende des Gartens hohlen, und befahl ihm sich mir gegen über zu setzen. Er gehorchte, erhob sich aber sogleich wieder als ob er sich plötzlich besonnen hätte, und blieb, die Arme über die Brust geschränkt, mit gesenktem Haupte vor mir stehen. Höre auf eine übel gelernte Rolle zu spielen, sagte ich; du bist nicht wofür du dich ausgegeben hast. – Er schien bestürzt. Wie kann meine Gebieterin glauben, stotterte er und hielt inne. – Die Rede ist nicht von dem was ich glaube, sondern was ich sehe. Noch einmahl, wer bist du? Und wie kommst du dazu, dich durch eine so unbesonnene List in mein Haus einzustehlen? – Ich weiß nicht, ob meine Augen die Härte und den strengen Ton meiner Worte Lügen straften; genug, er warf sich mir zu Füßen, umfaßte meine Kniee, und bat mit Thränen in den Augen, ihm einen jugendlichen, beynahe unfreywilligen Frevel zu verzeihen, den er allzuschwer büßen müßte, wenn ich ihn mit meiner Ungnade bestrafen wollte. – Wer bist du also, wenn du nicht Dorylas bist, sagte ich in einem mildern Ton, indem ich ihm befahl aufzustehen, und den Platz zu nehmen, den ich ihm gewiesen hatte. Und nun erfolgte ein umständliches Bekenntniß, woraus ich zu vernehmen hatte: daß er der jüngste von sechs Brüdern aus einer edeln Thessalischen Familie sey; während meines Aufenthalts zu Larissa sey er außer Landes gewesen, habe aber bey seiner Zurückkunft ganz Thessalien meines Ruhmes so voll gefunden, daß er dem Verlangen mich selbst zu sehen nicht habe widerstehen können. Er habe sich also, von einem einzigen Diener begleitet, zu Pferde auf den Weg gemacht, sey aber in einem Hohlwege des Berges Cithäron von Räubern überfallen worden, die ihn, nachdem sein Diener in seiner Vertheidigung das Leben verloren, beraubt und ausgezogen hätten. Da er nun in dem Aufzug eines Bettlers keinen Zutritt zu mir habe hoffen können, sey er auf den verzweifelten Entschluß gekommen, sich einem Thespischen Sklavenhändler unter der Bedingung anzubieten, daß er ihn unverzüglich nach Korinth führen und an die schöne Lais verkaufen sollte. Meine Absicht war (fuhr er fort) sobald ich in deine Gegenwart gekommen seyn würde, mich Dir zu entdecken; aber es erfolgte was ich hätte vorher sehen sollen: dein erster Anblick machte mich auf ewig zu deinem Sklaven, wenn du mich auch nicht gekauft hättest; und der Gedanke, dir als wirklicher Sklave anzugehören, in deinem Hause zu leben und des Glücks dich anzuschauen vielleicht täglich gewürdiget zu werden, wirkte mit einem so unwiderstehlichen Reitz auf mein Gemüth, daß es mir schlechterdings unmöglich war meinen ersten Vorsatz auszuführen. Ich fühle nur zu sehr wie strafbar ich bin – und unterwerfe mich jeder Züchtigung die du mir auferlegen willst; nur die Verbannung aus deinen Augen würde eine unendliche Mahl grausamere Strafe seyn, als wenn du mir mit eigener Hand den Tod gäbest. – Ich sagte ihm: wie er hoffen könne, nach einem solchen Geständniß nur einen Tag länger in meinem Hause geduldet zu werden? – Das hoffe ich allerdings von deiner Großmuth, versetzte er in einem mehr zuversichtlichen als bittenden Ton. Ich bitte nur so lange darum, bis die Unterstützung, die ich von meiner Familie bereits begehrt habe, angelangt seyn wird. Ich bin gewiß daß meine Brüder mich nicht verlassen werden. Warum solltest du mir auf so kurze Zeit deinen Schutz versagen? Mein Geständniß hab' ich nur dir gethan. In deinem Hause bin ich ein von dir erkaufter Sklave; deine Hausgenossen wissen nichts anders; und wofern du auch die Güte hättest mich täglich um dich zu dulden, so würde – So würde, fiel ich ihm in die Rede, da er das folgende Wort nicht gleich finden zu können schien, so würde jedermann es sehr natürlich finden, meinst du? Du hegest eine sehr bescheidene Meinung von dir selbst. – Die schlechteste, erwiederte er, wenn ich das Unglück habe, der göttlichen Lais zu mißfallen; die größte, wofern mir die Grazien hold genug wären, ihr gütige Gesinnungen für mich einzugeben. – Was hätte ich nun mit diesem Menschen anfangen sollen, Learch?

ICH. Verlangst du im Ernst es zu wissen?

LAIS. Deine Meinung wenigstens.

ICH. Es ist nicht unmöglich, daß dir der junge Dorylas oder Pausanias nichts von sich gesagt hat, was er im Nothfall nicht beweisen könnte; aber, aufrichtig zu reden, er sieht mir einem ziemlich gefährlichen Abenteurer ähnlich.

LAIS. Gefährlich? Mir gefährlich, Learch?

ICH. Wahr ists, wenn die schöne Lais nicht berechtigt wäre, sich über die Schwachheiten ihres Geschlechts erhaben zu glauben, welche andere dürfte es? Und doch, wäre sie auch der Göttin der Weisheit eben so ähnlich, als sie es der Göttin der Schönheit ist, so –

LAIS. Ich erlasse dir den Nachsatz, lieber Learch! Die ganze Gefahr, wenn ja Gefahr seyn sollte, bestände dann doch nur darin, daß mir Pausanias gefallen, daß ich ihn wohl gar lieben könnte; und wo wäre da das große Unglück?

ICH. Darüber kannst du in der That allein entscheiden. Verzeih, wenn mich die wohlmeinende Freundschaft unbescheiden gemacht hat.

LAIS. Das wirst du nie seyn, Learch – Aber deine Meinung, was ich hätte thun sollen, bist du mir noch schuldig.

ICH. Wenn du, z. B. dem schönen Dorylas, weil du doch schon zwey oder drey sehr gute Vorleserinnen hast, die Freyheit und die drey tausend Drachmen, die er dich kostet, geschenkt, und ihm beym Abschied noch eine Hand voll Dariken zur Wegzehrung mitgegeben hättest: so hätte er damit wohl behalten nach Hause kommen können, und jedermann würde gesagt haben, du hättest eine sehr großmüthige That gethan.

LAIS. Aber du scheinst zu vergessen, Learch, daß hier nicht die Rede davon seyn kann, was jedermann davon denken und sagen würde; denn außer meinen Leuten weiß niemand von der Sache, und niemand hat sich auch um das Innere meines Hauswesens zu bekümmern. Über die Urtheile der Korinthier bin ich ohnehin schon lange weg, wie du weißt.

ICH. Allerdings! Ich hätte sagen sollen: du würdest, wenn du so mit dem vorgeblichen Pausanias verfahren wärest, sicher auf den Beyfall deines eigenen Herzens haben rechnen können.

LAIS. Das wäre denn doch vielleicht noch die Frage. Übrigens kann ich dir zu deiner Beruhigung melden, daß Pausanias im Begriff ist, mein Haus zu verlassen.

ICH. Er geht wieder von Korinth ab?

LAIS. Das nicht; er bezieht nur eine eigene Wohnung; denn er gedenkt sich noch einige Zeit hier aufzuhalten.

ICH. Die Unterstützung von seiner Familie ist also glücklich angelangt? –

Ich besorge, Aristipp, ich sagte dieß in einem ironischen Tone; denn die arme Lais verfärbte sich, schien verlegen, und hatte Mühe ein paar Thränen, die ihr in die Augen schossen, zurückzuhalten. Sie mußte sich etwas bewußt seyn, das ihren Stolz demüthigte, und sie fürchtete vermuthlich, daß ich sie errathen hätte. Ich sah daß es hohe Zeit sey, einer Unterredung, welche beiden Theilen peinlich zu werden anfing, ein Ende zu machen. Mir ist lieb, (sagte ich mit der unbefangensten Miene, und im gutmüthigsten Tone der mir möglich war) daß ich mich, wie es scheint, in meiner Meinung von diesem jungen Menschen geirrt habe; und in der That hätte ich besser gethan, mich auf den feinen Ahnungssinn, der deinem Geschlecht eigen ist, zu verlassen, und dem Sokratischen Glauben, daß ein schöner Leib für eine schöne Seele bürge, mehr Gehör zu geben, als meinem Argwohn. Da der junge Pausanias sich hier zu verweilen gedenkt, so wird es mir nicht an Gelegenheit fehlen, besser mit ihm bekannt zu werden, und ich will nicht zweifeln, er werde sich der Nachsicht, die du mit seiner jugendlichen Unbesonnenheit getragen hast, durch seine Aufführung würdig zu zeigen suchen.

»Wir sind (erwiederte sie mit einem erzwungenen Lächeln) ich weiß nicht recht wie, in einen ernsthaftern Ton gerathen als die Sache zuläßt, und du kannst mir nicht übel nehmen, guter Learch, wenn ich dich bitte, die allzu ängstlichen Besorgnisse, worin ich dich meinetwegen sehe, auf den Fall zu sparen, wo etwa ein Mädchen von sechzehn Jahren vor Schaden gewarnt zu werden nöthig hat.«

Und hiermit endigte sich die letzte vertrauliche Unterredung, die ich mit der schönen Lais zu pflegen Gelegenheit gehabt habe. Wir schieden zwar, dem Ansehen nach, als gute Freunde von einander; aber ich habe sie, von diesem Tag an, immer seltner und nie wieder allein gesehen.

Inzwischen erfuhr ich von ihrer Vertrauten. Lais habe, wenige Tage nach ihrer ersten Unterredung mit dem vorgeblichen Dorylas, diesen unter seinem wahren Nahmen für frey erklärt, und zugleich in ihrem Hause bekannt werden lassen, daß er aus einem der vornehmsten Thessalischen Geschlechter stamme, von welchem sie, während ihres Aufenthalts in diesem Lande, mit so vielen Verbindlichkeiten überhäuft worden sey, daß sie nicht umhin könne, sich derselben bey dieser Gelegenheit zu entledigen. Seit dieser Zeit komme Pausanias (die Morgenstunden des Putztisches ausgenommen) den ganzen Tag nicht von ihrer Seite, speise mit ihr, und sey bereits allen, mit welchen sie noch in einiger Verbindung steht, von ihr vorgestellt worden. Sie gebe vor, ihn schon zu Larissa gekannt und mit seinen Verwandten in freundschaftlichen Verhältnissen gestanden zu haben; woraus sich dann von selbst erkläre, warum Pausanias, nach dem Unfall der ihn auf dem Cithäron betroffen, seine Zuflucht zu ihr genommen habe. Übrigens werde der junge Thessalier unvermerkt immer lebhafter, freyer und zuversichtlicher, und entfalte tagtäglich irgend ein neues Talent; denn er sey ein großer Reiter, Springer, Tänzer, Jäger, Vogelsteller, Fischer, und Lustigmacher oben drein, und Lais scheine von der Gewandtheit und Artigkeit, die er bey allen diesen Übungen zeige, und überhaupt von seiner ganzen Person so bezaubert zu seyn, daß sie sich zusehends erheitere und verjünge, ja wohl gar (ohne sichs vermuthlich bewußt zu seyn) nicht selten, wiewohl immer mit aller ihr eigenen Grazie, in die naive Fröhlichkeit eines Mädchens von sechzehn zurückfalle. Bey allem dem scheine sie ihren jungen Freund, der ganz öffentlich den feurigsten und hoffnungsvollsten Liebhaber mit ihr spiele, so kurz als möglich zu halten, und jede Gelegenheit mit ihm allein zu seyn, oder von ihm überrascht zu werden, aufs sorgfältigste zu vermeiden; und daher habe Sie auch geeilt, ihm ohne Aufschub ein eigenes schönes Haus, in der Nähe des ihrigen, aussuchen, miethen und prächtig einrichten zu lassen. Daß alles auf Kosten ihrer Gebieterin gehe, daran sey kein Zweifel; denn man wisse bereits zuverlässig, daß seine Familie von keiner Bedeutung in Thessalien sey, und daß er sein kleines Erbtheil schon zu Athen, wo er sich zuletzt aufgehalten, mit Rennpferden, Banketten und Hetären, bis auf den letzten Heller aufgezehrt habe.

Dieß, lieber Aristipp, ist alles (und für einen so warmen Freund der schönen Lais schon zu viel) was ich dir bis jetzt von diesem neuen Abenteuer berichten kann. Ich überlasse dir selbst was davon zu denken ist. Immer ist es seltsam genug, daß diese allgewaltige Männerbeherrscherin, welche, während sie zwanzig Jahre lang alle Welt bezauberte, ihrer selbst immer mächtig blieb, eine so lange behauptete Freyheit noch in ihrem vierzigsten an einen jungen Thessalischen Glücksritter verlieren soll, der unter allen, die jemahls Anspruch an sie machten, gerade der unwürdigste ist, und (wie ich sehr besorge) nicht sowohl nach ihrem Herzen als nach ihrem Geldkasten trachtet. Sollte sich nicht sogar, wer nie an Etwas Dämonisches geglaubt hat, von einem solchen Beyspiele genöthigt fühlen, zu glauben daß es unholde schadenfrohe Dämonen gebe, die uns zwingen auf den Köpfen zu tanzen und wider Willen tausend Thorheiten zu begehen, bloß um sich selbst Stoff zum Lachen zu verschaffen? – Es wäre denn, daß Xenofons zweyerley Seelen in einer und eben derselben Person hinlänglich wären, uns solche widersinnische Erscheinungen begreiflich zu machen. Doch was kann es uns nützen, die Ursache eines Übels zu wissen, dem nicht zu helfen ist? Die unwürdige Leidenschaft, worin sich unsre arme Freundin verfangen hat, ist, wie ich fürchte, ein Übel dieser Art; – wiewohl ich dich damit nicht abgeschreckt haben will einen Versuch zu machen, da du billig mehr über sie vermögen solltest als ich. Auf alle Fälle werde ich nicht ermangeln, dir vom weitern Verlauf dieses sonderbaren Liebeshandels mit der ersten Gelegenheit Nachricht zu geben.


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