Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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XXXIX.
Aristipp an Kleonidas.

Ich fürchte, lieber Kleonidas, wir andern Weisheitsliebhaber sind, mit aller unsrer Freyheit von popularen Vorurtheilen und Hirngespenstern, doch nur eine Art großthuiger Poltrons, die, sobald sie dem Feinde unter die Augen sehen sollen, so gut zittern als andere, welche ihre wenige Herzhaftigkeit ehrlich eingestehen. Ich habe seit kurzem eine sonderbare Erfahrung hiervon gemacht. Du weißt, daß ich die Erzählungen von Gespenstern, die sich zu gesetzten Stunden an gewissen Orten sehen lassen, und von Verstorbenen, die, gleichsam in den Schatten ihrer ehmahligen Gestalt eingehüllt, sich entweder von freyen Stücken zeigen, oder durch magische Mittel zu erscheinen genöthiget werden, immer für das, was sie sind, gehalten, und die Furcht vor allen diesen Ausgeburten eigner oder fremder Einbildung für eine der lächerlichsten Schwachheiten erklärt habe. Gleichwohl hab' ich mich selbst unvermutheter Weise über dieser ziemlich allgemeinen menschlichen Schwachheit ertappt, und finde mich jetzt durch eigene Erfahrung sehr geneigt duldsamer gegen andere zu seyn, da ich mich immer mehr überzeuge, daß kein Mensch so viel vor allen andern voraus hat, daß er sich vor irgend Etwas, wozu Wahn und Leidenschaft einen Menschen bringen können, völlig sicher halten darf. Höre also, was mir in der vorgestrigen Nacht begegnet ist.

Das Haus, das ich hier bewohne, liegt zwischen dem Hafen und der Stadt, mitten in einem ziemlich großen Garten, der auf der Ostseite die Aussicht ins Meer hat, und gegen Mittag in einen kleinen den Nymfen geheiligten Hain von Buschholz ausläuft, den ein langer Gang von hohen Cypressen in zwey gleiche Theile schneidet. Die Rhodier sind überhaupt an eine Lebensordnung gewöhnt, von welcher sie selten abweichen. Eine Stunde nach Sonnenuntergang ist in den Häusern und auf den Straßen alles still; denn mit der ersten Morgenröthe ist auch schon alles wieder munter; sogar die Frauen würden sichs zur Schande rechnen, von dem Sonnengotte (der hier vorzüglich verehrt wird) in den Armen des Schlafs überrascht zu werden. Wir Cyrener sind einer andern Lebensart gewohnt, und ich bringe daher in mondhellen Nächten, wenn schon alles weit um mich her im ersten Schlafe versunken ist, gewöhnlich noch ein paar Stunden allein in einem Gartensahle zu, der in Gestalt eines kleinen Tempels dem Cypressengange gegenüber steht, und von etlichen Reihen prächtiger Ahornbäume umschattet wird. Diese einsamen nächtlichen Stunden sind es, worin ich mich aus den Zerstreuungen des Tages in mich selbst zurück ziehe, und nach Pythagorischer Weise mir selbst Rechenschaft darüber ablege, was ich gethan oder verabsäumt, um was ich besser oder schlechter geworden, was ich gesehen, gehört oder gelesen habe, das des Nachdenkens und Aufbehaltens werth ist, und was ich morgen vorzunehmen oder zu besorgen gedenke; kurz, es sind, wenn ich so sagen kann, die Digestionsstunden meines Geistes, die mir zu meiner Lebensordnung so nothwendig sind, daß ich mir nur selten erlaube, ihnen eine andere Anwendung zu geben.

Ich weiß nicht wie es kam, daß gerade an diesem Abend die Erinnerung an Lais alle andern Gedanken in mir verdrängte. Ich hatte ungefähr acht Tage vorher einen Brief von ihr erhalten, worin sie mir ihre Trennung von Arasambes berichtete, und daß sie im Begriff sey nach Milet abzugehen. Welche seltsame Unruhe des Geistes, dachte ich, treibt sie aus einer beneidenswürdigen Lage heraus, um des eingebildeten Glücks einer unbeschränkten Freyheit zu genießen, die ihr am Ende vielleicht doch nur zur Fallgrube werden könnte! Sie vermochte alles über Arasambes; es stand in ihrer Macht ihn auf immer an sich zu fesseln; und mit welchem Muthwillen zerbricht sie ihren eigenen Zauberstab! Wie leichtsinnig treibt sie wieder in den Ocean des Lebens hinaus, ohne Plan und Zweck, wohin Zufall und Laune des Augenblicks sie führen werden! Was wird endlich das Schicksal dieses außerordentlichen Weibes seyn, in welchem die Natur alle Reitze ihres Geschlechts mit den glänzendsten Vorzügen des männlichen so sonderbar zusammen geschmelzt hat?

Der Karakter der schönen Lais war mir immer ein Räthsel gewesen, dessen Auflösung ich vergeblich gesucht hatte. Indem ich mich jetzt von neuem bemühte, alle die reitzenden Widersprüche, woraus er zusammen gesetzt ist, und in deren Verbindung gerade der Zauber ihrer unwiderstehlichen Liebenswürdigkeit liegt, unter Einen Begriff zu bringen, fiel mir plötzlich die große Ähnlichkeit auf, die ich zwischen ihr und dem außerordentlichsten Manne unsrer Zeit, dem ehmahligen großen Liebling des Sokrates, zu sehen glaubte. Sie ist, sagte ich zu mir selbst, unter den Frauen, was Alcibiades unter den Männern war. In beiden hat die Natur alle ihre Gaben mit üppiger Verschwendung aufgehäuft. Wohin Er kam, war er der erste und einzige; wo sie erscheint, wird sie immer die erste und einzige seyn. Er würde die Welt erobert haben, wenn er nicht so gewiß gewesen wäre, daß er es könne: Sie würde sich überall alle Herzen unterwerfen, wenn sie es nur der Mühe werth hielte. Ein allzu lebhaftes Selbstgefühl war die Quelle aller seiner Ausschweifungen, Fehler und falschen Schritte: eben dieß ist und wird immer die Quelle der ihrigen seyn. Wäre er zwanzig Jahre später in die Welt gekommen, und sie wären einander (wie nicht zu zweifeln ist) begegnet, sie würden sich vereiniget, und, wie Platons Doppelmenschen, unglaubliche Dinge gethan haben. Aber nur zu wahrscheinlich bereitet sie sich ein ähnliches Schicksal. Dieses innige Gefühl dessen was sie ist, und was sie seyn kann sobald sie will, würde sie wahrscheinlich antreiben irgend eine große Rolle zu spielen, wenn es nicht bey ihr, wie bey Alcibiades, mit der Indolenz eines kaltblütigen Temperaments verbunden wäre, die der Energie ihrer Einbildungskraft das Gegengewicht hält, und die Ursache ist, warum sie mit den größten Kräften nie etwas Großes unternehmen, oder, wenn sie es begonnen hätte, nie zu Stande bringen wird. Daher dieser übermüthige Leichtsinn, der sich über alles wegsetzen kann, sich aus allem ein Spiel macht, und, weil ihm nichts groß genug ist, nothwendig alles klein finden muß. Wär' es ihr zu Sardes eingefallen Königin zu werden, sie wäre nach Susa gegangen, und hätte den Artaxerxes zu ihrem Sklaven gemacht. Daß sie es nicht versucht hat, kommt bloß daher, weil sie zu fahrlässig dazu ist, und weil ihr Stolz Befriedigung genug in dem Gedanken findet, schon als Lais alles zu seyn was sie will. Mit einem andern Temperamente wäre sie vielleicht die ausgelassenste aller Hetären; aber ich fürchte, sie ist fähig, es aus bloßer Eitelkeit zu werden, wenn sie sichs jemahls in den Kopf setzen sollte, auch hierin unübertrefflich zu seyn.

Diese Betrachtungen machten mich unvermerkt wehmüthig; die bloße Möglichkeit, daß die liebenswürdigste ihres Geschlechts dereinst noch unglücklich seyn, und vielleicht sogar unter sich selbst herab sinken könnte, war mir peinlich, und ich verlor mich im Nachdenken, ob dieser weibliche Alcibiades nicht wenigstens in eine Art von Aspasia zu verwandeln seyn möchte – als ich auf einmahl eine hohe Gestalt in einem langen weißgrauen Gewande zwischen den Cypressen langsam gegen mich her schweben sah, in welcher ich beym ersten Anblick die Gestalt und den Anstand der Freundin zu sehen wähnte, welche mich schon eine Stunde lang in Gedanken beschäftigte. Ich gestehe dir, daß ich zusammen fuhr, aber nichts desto weniger, zwischen Grauen und Neugier was daraus werden würde, die Augen starr auf die wunderbare Erscheinung heftete. Noch schwebte die Gestalt immer vorwärts; aber in dem Augenblick, da sie eine vom einfallenden Mondlicht stark beleuchtete Stelle betrat, blieb sie ohne Bewegung stehen, und nun war es unmöglich zu zweifeln, daß ich die Gestalt der Lais vor mir sehe. Aber wie sollte sie selbst auf einmahl hierher gekommen seyn? Da es unläugbar ihre Gestalt war, was konnt' es anders seyn als eine Erscheinung, die mir sagen sollte, daß sie selbst nicht mehr lebe; es sey nun, daß Arasambes sie in einem Anfall von Eifersucht ermordet, oder daß sie auf der Rückreise nach Griechenland Schiffbruch gelitten, oder sonst durch einen Zufall das Leben verloren hatte. Diese Gedanken blitzten so schnell in meiner Seele auf, daß meiner Filosofie nicht Zeit genug blieb, sie in Untersuchung zu nehmen; und ich bekenne dir unverhohlen, daß mir ungefähr eben so zu Muthe war, wie einem jeden seyn mag, der einen abgeschiedenen Geist zu sehen glaubt. Ich wollte von meinem Ruhebettchen aufstehen, aber meine Füße waren mit Bley ausgegossen, und meine Arme ohne Kraft; so daß ein ziemliches Weilchen verging, bis ich wieder einige Gewalt über meinen Körper erhielt. Die Gestalt stand noch immer unbeweglich, und ich konnte deutlich sehen, daß sie einen zärtlich ernsten Blick auf mich heftete. Die immer zunehmende Gewißheit, daß es der Schatten meiner Freundin sey, brachte nun mein stockendes Blut wieder in Bewegung; mir ward warm ums Herz, und eine unaufhaltsame Gewalt riß mich zu dem geliebten Schatten hin. Mit weit ausgebreiteten Armen flog ich auf sie zu, aber die Ausrufung, »bist du es, liebste Lais?« blieb mir am Gaumen kleben. Doch im nehmlichen Augenblick, da ich mit ausgespannten Armen auf sie zueilte, öffnete sie auch die ihrigen, und einen Augenblick darauf fühlte ich, mit unaussprechlichem Entzücken, daß ein warmer elastischer Körper meine Arme füllte, daß ihr Busen an dem meinigen überwallte, kurz, daß das vermeinte Gespenst – Lais selbst war. Die Seligkeit dieses Augenblicks fühlst du, indem du dich an meine Stelle denkst, viel besser, als wenn ich das Unbeschreibliche zu beschreiben versuchen wollte. Alles, was ich davon sagen kann, ist, daß es der längste und kürzeste meines Lebens war; denn er könnte eine Stunde gedauert haben, und hätte mir doch nur ein Augenblick gedäucht. Mir war, als ob ich mit ihr zusammen wachsen müßte, um mich ihres Daseyns recht gewiß zu machen.

Lais gestand mir, daß sie sich ein eigenes Vergnügen daraus gemacht habe, meine Filosofie sowohl als meine Freundschaft auf diese Probe zu setzen, und mich die Gunst eines so unerwarteten Besuchs mit einer kleinen Angst erkaufen zu lassen, die den Werth derselben erhöhen würde. Es freut mich, setzte sie hinzu, daß ich meine Absicht, dir den Genuß eines noch unbekannten Wonnegefühls zu gewähren, so glücklich erreicht habe: und ich hoffe du wirst dich desto leichter in die Nothwendigkeit fügen, dich eben so unvermuthet wieder von mir zu trennen als du mich gesehen hast; denn in einer Stunde muß ich wieder am Bord seyn. Ich komme gerades Weges von Sardes; meine vorgegebene Reise nach Milet sollte dir bloß verbergen, was ich damahls schon beschlossen hatte. Der nehmliche Eilbote, der dir meinen Brief überbrachte, hatte den Auftrag, mir ein eignes Schiff zu miethen, welches mich so bald als möglich zu den Poseidonien nach Ägina bringen soll. Alles ist zur Abfahrt bereit, der Wind ist günstig, und die Seeleute sind, wie du weißt, hartherzige Leute.

Du zweifelst wohl nicht, Kleonidas, daß mir diese Nachricht etwas unerwartet kam; ich hatte mir wenigstens auf etliche Tage Hoffnung gemacht. Aber du kennst auch das unwiderstehliche Gemisch von Anmuth und Majestät, womit diese Zauberin ihre Willenserklärungen als unwiderrufliche Beschlüsse des Schicksals anzukündigen pflegt. Es fand nicht nur weder Einwendung noch Bitte gegen diese Verfügung Statt, sondern dein armer Freund mußte sich auch bequemen, diese ganze kostbare Stunde über in dem langen Cypressengang mit ihr auf und ab zu schlendern, und sich einen kurzen Auszug ihrer Geschichte, seitdem wir uns nicht gesehen hatten, erzählen zu lassen, die ein paar Stunden später unendlich unterhaltend gewesen wäre, aber jetzt mit einer Zerstreuung angehört wurde, von welcher er sich nicht völlig Meister machen konnte. Sie schien es endlich gewahr zu werden. Denn als sich ihre am Ausgang des Wäldchens zurück gelassenen Leute von ferne sehen ließen, und ihr ein Zeichen gaben, sagte sie lächelnd: ich fühle daß ich deine Schuldnerin bin, lieber Aristipp, und ich würde dir den Antrag thun, mich auf der Stelle nach Ägina zu begleiten, wenn ich nicht besorgen müßte, daß es Aufsehen erregen und deinen Sokratischen Freunden eine sehr erwünschte Gelegenheit geben möchte, dir einen Nahmen in Griechenland zu machen. Ich selbst mache mir, wie du weißt, nichts aus dem was die Leute von mir sagen: aber ich hätte sehr Unrecht, wenn ich glaubte daß eine solche Gleichgültigkeit auch dir gezieme. Sich fremden Meinungen gänzlich aufzuopfern wäre thöricht: aber die meisten Menschen sind eine so neidische und hämische Art von Thieren, daß wir es ihnen um unsrer eignen Ruhe willen zu verbergen suchen müssen, wenn wir glücklicher sind als sie.

Ich bin überzeugt, Kleonidas, daß alles dieß ihr Ernst war, und so antwortete ich ihr wie es diese Überzeugung forderte. Es wäre unartig gewesen ihr merken zu lassen, daß ich sie, auch ohne Rücksicht auf das Urtheil der Welt, nicht nach Ägina begleitet haben würde. Indessen hatte ich keiner Verstellung nöthig, um ihr zu zeigen, daß es mich nicht wenig koste, mich ihrem Gutdünken zu unterwerfen. Denn freylich hätte ich mir aus dem Spott und den Vorwürfen der Sokratiker eben so wenig gemacht als sie, wenn ich bloß meiner Neigung, wie Sie ihren Launen, folgen wollte. Das Vergnügen, die ihrige durch diesen seltsamen Besuch befriedigt zu haben, machte sie so aufgeräumt, daß es ihr gelang mich zuletzt auf eben denselben Ton zu stimmen. Was für eine Aufnahme meinst du daß die Wittwe des Arasambes sich von den Korinthiern versprechen dürfe? fragte sie mit der unschuldig leichtfertigen Miene, die ihr so wohl ansteht, und setzte, ohne meine Antwort zu erwarten, hinzu: ich habe ein unfehlbares Mittel mich bey ihnen in Ansehen zu setzen; denn ich muß dir sagen, daß ich sehr reich von den Ufern des goldnen Paktols zurückkomme. – Du hast ein noch unfehlbareres, sagte ich; aber – Ich verstehe dich, fiel sie mir lachend ins Wort, und was dein aber betrifft, so begreifst du leicht, daß der zweyjährige Aufenthalt zu Sardes mich nicht demüthiger gemacht hat als ich vorher war. Ich rathe niemanden meinetwegen nach Korinth zu reisen. Du kennst meine Liebe zur Freyheit, meinen Haß gegen euer übermüthiges Geschlecht, und das Vergnügen, das ich gleichwohl daran finde, mit Männern umzugehen, und sie für die Augenlust, die ich ihnen wider Willen mache, nach allen Regeln der Kunst zu peinigen. Dabey wird es wohl bleiben. – Ich wünschte, liebe Lais, sagte ich, daß es nicht dabey bliebe. Möchtest du doch das Glück das deiner Musarion zu Theil geworden ist (das einzige das du noch nicht kennst) nicht muthwillig von dir stoßen, wenn es dir sich anböte! – »Hab' ich es nicht schon mit Arasambes versucht? Es geht nicht, lieber Aristipp! Wer vermag etwas gegen die allmächtige Natur? Die Glückseligkeit ist immer eben dieselbe; nur in den Mitteln und in der Art zu genießen, liegt die Verschiedenheit. Ich fühle mich, so wie ich bin, glücklich: was kannst du mehr verlangen, mein Freund?« – Sie sagte dieß mit einer so reitzenden Unbefangenheit, daß es Thorheit gewesen wäre ihr eine ernste Antwort darauf zu geben. Unsre letzte Umarmung war nicht ganz so warm, und dauerte nicht halb so lange als die erste. Wirklich würde mirs schwer geworden seyn, ihr länger zu verbergen, wie schmerzlich es mir war, in allem was sie sagte und that, den weiblichen Alcibiades immer deutlicher zu erkennen. – Aber hatte ich Recht, der schönen Lais übel zu nehmen, daß sie Lais war? Und sollte nicht fehlgeschlagene Erwartung (wiewohl ich es mir auf der Stelle nicht gestehen wollte) die wahre Ursache der übelverhehlten Lauigkeit gewesen seyn, womit ich mich, zu bald für eine Freundschaft wie die unsrige, ihren schönen Armen entwand? Daß sie es nur zu gut merkte, bewies sie mir, im Augenblick des Scheidens, durch einen Kuß, von jenen nektarischen, die Sie allein küssen kann, und welche auch du, wenn ich nicht irre, bey einer gewissen Gelegenheit kennen gelernt hast. Brauchte es mehr, um die dünne Eisrinde plötzlich zu schmelzen, womit sie das Herz des treuesten ihrer Freunde umzogen gefühlt hatte? Aber ehe ich wieder zur Besinnung kommen konnte war sie meinen Augen so schnell entschwunden, daß ich alles wieder für eine bloße Erscheinung hätte halten können, wenn der magische Kuß nicht noch eine ganze Stunde auf meinen Lippen fort gebrannt hätte.

Nun, lieber Kleonidas, wie gefällt dir meine Gespenstergeschichte? Gewiß ist sie keine von den schlechtesten, die du in deinem Leben gehört hast. Aber was wirst du von deinem Aristipp denken, der bey dieser Gelegenheit schwach genug war, die schöne Lais erst für ein Gespenst anzusehen, und sie dann wieder von sich zu lassen, als ob sie es wirklich gewesen wäre? Lache immerhin über mich, Kleonidas; ich mache eine so alberne Figur in meinen eigenen Augen, daß ich keine Schonung von Dir verlangen kann.


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