Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XXXVIII.
An Learchus zu Korinth.

Der gute Genius deines gastfreundlichen Hauses, edler Heraklide, hat mich glücklich zu Korinths schönster Tochter, der Beherrscherin der reichsten Insel der Welt, herüber geführt. Du kennst Athen und Syrakus, und dir darf ich also wohl gestehen, was ich auf dem großen Marktplatz zu Athen kaum zu denken wagen dürfte: daß Syrakus die stolze Minervenstadt an Größe, Bauart, Volksmenge und Mitteln die Prachtliebe und Üppigkeit ihrer Bürger zu befriedigen, weit hinter sich zurück läßt. Von den Einwohnern urtheilen zu können, bin ich noch zu kurze Zeit hier; aber weniger wäre schon genug, um zu sehen, daß sie den Athenern auch an Lebhaftigkeit, Feuer, Wankelmuth, Leichtsinn und raschen Sprüngen von einem Äußersten zum andern, den Vorzug streitig machen könnten. Es begreift sich, daß ein solches Volk (wie mir ein schon lange unter ihnen wohnender Tarentiner sagte) weder mit noch ohne Freiheit leben kann. Seit der Zeit, da sie von deinem Stammgenossen Archias zum zweyten Mahle gegründet wurde, (also seit mehr als dreyhundert Jahren) macht ein rastloses Hin- und Herschaukeln von Oligarchie zu Demokratie, und von Demokratie zur Herrschaft eines Einzigen, den summarischen Inhalt ihrer Geschichte aus; und wiewohl so viele Versuche sie belehrt haben sollten, daß sie sich bey der oligarchischen Regierung nie so übel als bey der demokratischen und bey der monarchischen (selbst eines Hieron und Dionysius) immer besser als bey der oligarchischen befanden; so ist doch der unglückliche Hang zur Demokratie ein so tief eingewurzeltes Übel bey diesem Volke, daß alles, was sie seit der Vertreibung der Geloniden von innerlichen Unruhen und Umwälzungen erlitten haben, sie nicht von der Begierde heilen kann, bey dem geringsten Anschein eines glücklichen Erfolgs das heilsame Joch wieder abzuschütteln, welches ihnen Dionysius mit eben so viel Gewandtheit als Stärke auf den Nacken gelegt hat. Es sind nun zehn Jahre verflossen, seitdem dieser sogenannte Tyrann sich der Alleinherrschaft in Syrakus bemächtigt hat. Daß er dieß nicht konnte, ohne einen großen Theil der mächtigsten und reichsten Familien, die ihm hartnäckig und wüthend widerstanden, zu unterdrücken, war Natur der Sache: aber niemand zweifelt, daß ihm selbst nichts erwünschter wäre, als wenn ihm die Syrakusaner erlauben wollten, das Andenken der ersten Jahre seiner eigenmächtigen Regierung auszulöschen, und die Fortsetzung derselben für sie und für ganz Sicilien so glücklich und wohlthätig zu machen, als es einst die Regierung des noch jetzt gepriesenen Gelon war. Niemand würde mehr dabey gewinnen als sie selbst. Denn es ist leicht vorher zu sehen, daß ohne ein gemeinschaftliches Oberhaupt, welches alle Städte Siciliens dazu vermögen kann, ihre Stärke gegen den gemeinschaftlichen Feind, die Karthager, zu vereinigen, unfehlbar eine nach der andern dem schrecklichen Schicksal von Agrigent unterliegen werde; und gewiß würde es schwer seyn, im ganzen Sicilien einen Mann zu finden, der in allen Eigenschaften und Talenten, die zu einem im Krieg und im Frieden großen Fürsten erfordert werden, sich mit Dionysius messen könnte. Aber der Syrakusaner ist eitel und stolz; er will sich (wie der Athener) von niemand befehlen lassen, dem er nicht selbst die Erlaubniß dazu gegeben hat, der ihm nicht über alles Rechenschaft ablegen muß, und den er nicht wieder absetzen und vernichten kann, so bald es ihm beliebt. Der Gedanke, von einem ihrer Mitbürger eigenmächtig beherrscht zu werden, macht sie blind und gefühllos gegen alle Vortheile, die dem Ganzen durch die Regierung des Dionysius zuwachsen könnten, wenn er nicht von Zeit zu Zeit durch die Versuche der ehmahligen Demagogen, sein Joch wieder abzuschütteln, verhindert würde, seinen eignen Weg ruhig fort zu gehen; und da jene eben so wenig Lust zu haben scheinen, ihre Versuche aufzugeben, als er die Regierung niederzulegen, so ist wahrscheinlich genug, daß sie Mittel finden werden, aus einem vortrefflichen Fürsten, den das Schicksal den Sicilianern geben wollte, durch ihre eigene Thorheit einen argwöhnischen, strengen und vielleicht grausamen Tyrannen zu machen.

Ich hörte vor kurzem in einer Gesellschaft angesehener Personen dem Dionysius (über welchen man hier sehr frey urtheilt) ein großes Verbrechen daraus machen, daß er sich nicht gescheuet hätte öffentlich zu sagen: »die Suveränität gewähre ihm nie einen so vollen Genuß, als wenn er was er wolle sogleich ausführen könne.«Auch Plutarch legt dieses Wort dem Dionysius in den Mund: Και το του̃ Διονζσιου αληθες εστι. Εφη γαρ απολαυειν μαλιστα τη̃ς αρχη̃ς, οταν ταχεως α βουλεται ποιη̃. (ΠΡΟΣ ΗΓΕΜ. ΑΠΑΙΔ. p. 368. Opp. Moral. edit. Xylandri.) Aus dem Vorhergehenden und Nachfolgenden ist mir klar, daß der gute Plutarch (dem es bloß darum zu thun war, bey dieser Gelegenheit eine, wiewohl sehr alltägliche, moralische Lehre anzubringen) die Meinung des Dionysius eben so unrichtig gefaßt habe als die Syrakusischen Herren, mit welchen Aristipp hier diskutiert. Der natürlichste Sinn dieses Fürstenworts, oder vielmehr der einzige, den es ohne Verdrehung und Deutelung darbietet, scheint derjenige zu seyn, welchen Aristipp darin gesehen hat. So, meinten sie, könne nur ein Tyrann sprechen, dem nichts heilig sey, und der sich an kein Gesetz gebunden halte. Mir schien diese Rede einer mildern Deutung nicht nur fähig zu seyn, sondern sie sogar zu fordern. Der Wunsch alles was man will ausführen zu können, sagte ich, setzt so wenig einen bösen Willen voraus, daß er vielmehr Guten und Bösen, Thoren und Verständigen gemein ist; und vielleicht ist das größte Leiden guter Menschen, daß sie nur selten können was sie wollen. Mich dünkt aber, fuhr ich fort, Dionysius habe bey diesem Worte noch besonders einen der wesentlichsten Vorzüge der Monarchie vor der Volkssuveränität vor Augen gehabt. Die Schleunigkeit der Ausführung dessen, was als nothwendig beschlossen wurde, ist in allen Fällen nützlich. Oft hangt die Erhaltung des ganzen Staats, oder doch die Verhütung eines großen Schadens davon ab, daß eine genommene Maßregel pünktlich und auf der Stelle vollzogen werde. Dieß ist nur da zu bewerkstelligen, wo der Wille des Regenten in keinem andern Willen Hindernisse findet, sondern im Gegentheil jedermann sich beeiferte die Ausführung dessen, was der oberste Befehlshaber will, befördern zu helfen. In Republiken ist dieß selten der Fall; denn nichts ist unerhörter, als daß ein Freystaat nicht in Parteyen getheilt sey, die einander mit dem unverdrossensten Eifer entgegen wirken. Besonders ist in der Demokratie der Wille des Suveräns nicht nur an sich launisch und veränderlich, sondern er wird noch durch die vielerley Sinne der vielen Köpfe, die ihn bearbeiten, so stark hin- und hergerüttelt, so oft aufgehalten, unschlüssig gemacht und in Widerspruch mit sich selbst gesetzt, daß meistens die Zeit der Ausführung schon vorüber ist, bevor man in der Volksversammlung zu einem Beschluß kommen konnte. Ist dieser endlich gefaßt, so gehen nun die Hindernisse der Vollziehung an. Keiner der Demagogen, die einander die Regierung des sich selbst zu regieren unvermögenden Suveräns streitig machen, gönnt einem andern als sich selbst die Ehre und die Belohnungen einer gelungenen Unternehmung. Jeder, der entweder einer andern Meinung war, oder bey dem Beschlossenen seine Rechnung nicht findet, bietet alle seine Kräfte auf, die Ausführung zu hintertreiben, oder mißlingen zu machen; von allen Seiten nichts als Schwierigkeiten, Fußangeln und Fallgruben; nirgends eine sichre Rechnung auf den guten Willen, den Gehorsam, den Eifer und die Wachsamkeit der Untergeordneten, wovon doch am Ende alles abhängt. Dafür geht es denn auch in den Republiken, zumahl in denen, wo das Volk zugleich sein eigner Suverän und Unterthan ist, gewöhnlich und wenige seltne Fälle ausgenommen, so zu – wie der allgemeine Augenschein zeigt. Von jeher blieb einem Volke, um fürs erste immer selbst recht zu wissen was es wolle, und es dann wirklich ausgeführt zu sehen, kein anderes Mittel, als seine höchste Gewalt einem Einzigen zu übertragen, und ihm eben dadurch unbeschränkte Vollmacht zu geben, alles zu thun, was er zu Vollziehung des allgemeinen Willens, oder (was eben dasselbe ist) zu Erzielung der Sicherheit und Wohlfahrt des Staats, für nothwendig und dienlich erkennen würde. Ich konnte leicht merken, daß ich mich der Gesellschaft durch diese Rede nicht sonderlich empfohlen hatte. Da es aber den meisten bekannt war, daß ich ein Ausländer sey, der sich nur kurze Zeit zu Syrakus aufzuhalten gedenke, und bey dem sogenannten Tyrannen nichts zu suchen habe, ließ ich mich durch das Vorurtheil, das einige vielleicht gegen mich fassen mochten, nicht abschrecken, meine Meinung über die Gegenstände, die der Verfolg des Gesprächs herbeyführte, so freymüthig zu sagen, als es sich in einer Gesellschaft ziemte, die aus lauter erklärten Freunden der Freyheit zu bestehen schien. Einer von den lebhaftesten hatte sich den Ausdruck entwischen lassen: man müßte zum Sklaven geboren seyn, um die Herrschaft eines Einzigen, der sich mit Gewalt eingedrungen, geduldig zu ertragen. – Aber wie, sagte ich, wenn ihr selbst ihm die Herrschaft, um euerer eigenen Sicherheit und Ruhe willen, von freyen Stücken auftrüget? Es wäre wenigstens so viel damit gewonnen, daß ihr nicht nöthig hättet, einen Fürsten, unter dessen Regierung der Staat augenscheinlich immer blühender, mächtiger und reicher wird, mit dem verhaßten Nahmen eines Tyrannen zu belegen. – Wie? versetzte jener hitzig; der müßte ein dreyfacher Sklave seyn, der sich freywillig einen Herren geben wollte! – Ich sehe wohl, erwiederte ich mit großer Gelassenheit, warum du dich so eifrig gegen meinen Vorschlag erklärst. Aber es giebt Mittel gegen alles. Man könnte ihn ja durch eine Grundverfassung, einen von ihm unabhängigen Senat, oder (wie die Spartaner) durch Aufseher einschränken, und sich dadurch gegen jeden Mißbrauch der höchsten Gewalt sicher stellen? – Ein Volk, sagte mein feuervollen Gegner, das nicht im Stande ist, ohne einen Herren zu leben, wird eben so wenig vermögend seyn, seiner Macht Grenzen zu setzen, oder sie in denjenigen zurück zu halten, die er sich vielleicht Anfangs aus Politik gefallen zu lassen scheinen wird. – Und was wird das schlimmste seyn, das daraus erfolgen möchte? fragte ich, vielleicht mit einer etwas Attischen Miene, die ich mir (wie ich besorge) unter den Cekropiden unvermerkt angewöhnt habe. – Welche Frage! rief mein Gegenkämpfer halb entrüstet; ist denn irgend etwas Böses und Schändliches, irgend eine ungerechte, gottlose, ungeheure That, die ein Mensch, der alles kann was er will, nicht zu begehen fähig wäre? – »Fähig wäre? das geb' ich zu; aber daß er ein so unsinniger Thor seyn wird, alles Böse wirklich zu thun, dessen er fähig ist, Böses ohne alle Noth oder Herausforderung, bloß um das Vergnügen zu haben Böses zu thun; daran zweifle ich sehr. Einen Wahnsinnigen, ein reißendes Thier, oder einen unter Verbrechen und Schandthaten grau gewordenen Bösewicht, wollen wir freylich nicht zum Hirten des Volks bestellen.« Bey einem Menschen, der alles kann (versetzte jener etwas kälter, weil er sich im Vortheil zu sehen glaubte) bedarf es nur einer einzigen Leidenschaft, die ihn überwältigt, um ihn, wenn er vorher auch ein Mensch wie andere war, zu allem was du sagtest, zu einem Wahnsinnigen, zu einem Tieger, zu einem Bösewicht, der vor keinem Verbrechen erschrickt, zu machen. – Ich bin in die Enge getrieben, erwiederte ich; du hättest die großen Vorzüge der Demokratie vor der Alleinherrschaft in kein stärkeres Licht setzen können. Um vor allen Gefahren dieser Art sicher zu seyn, giebt es also wohl kein besseres Mittel, als daß ein Volk sich selbst regiere? Niemand ist dazu geschickter, und nichts war wohl von jeher unerhörter, als daß eine suveräne Volksversammlung etwas unbesonnenes oder ungerechtes beschlossen, oder die Macht, alles zu können was sie will, zu Befriedigung irgend einer häßlichen Leidenschaft mißbraucht, und sich treuloser, räuberischer und grausamer Handlungen schuldig gemacht hätte. – Ein allgemeines Gelächter schien meinen Gegner in eine unangenehme Lage zu setzen, und ich sah, daß es hohe Zeit sey, einen ernsthaftern Ton anzustimmen. Verzeih, sagte ich zu ihm, wenn ich zur Unzeit gescherzt habe. Ich wollte weiter nichts damit sagen, als daß unumschränkte Gewalt immer mit Gefahr des Mißbrauchs verbunden ist, sie mag nun in den Händen eines Einzigen, oder eines Senats, oder eines ganzen Volkes seyn. Alles kommt am Ende auf den Verstand und die sittliche Beschaffenheit des Regierers, vieles auf Zeit und Umstände, Stimmung, Laune und Einfluß des Augenblicks an. Einschränkungen helfen wenig oder nichts. Eine höchste Gewalt muß in jedem Staate seyn, und die höchste Gewalt läßt sich nicht einschränken; denn dieß könnte doch nur durch eine noch höhere geschehen, und in diesem Falle wäre diese, nicht jene, die höchste. Die Möglichkeit ihres Mißbrauchs bleibt also ein unvermeidliches Übel, weil sie ihren Grund in einem unheilbaren Gebrechen der Menschheit hat. Aber es ist immer zu vermuthen, daß ein einzelner Regent die Macht, alles zu thun was er will, weniger, seltner und leidlicher mißbrauchen werde, als ein so vielköpfiges Ungeheuer von mehrern Tausenden, an Verstand, Erziehung, Einsicht, Erfahrenheit, Vermögen u. s. w. so sehr ungleichen und von den verschiedensten Triebfedern in Bewegung gesetzten Menschen ist; und wenn auch beide keinen edlern Zweck und Antrieb haben als Eigennutz und Selbstbefriedigung, so ist es doch ungleich wahrscheinlicher, daß der Einzige die Nothwendigkeit einsehe, daß er seine Macht, um sie ruhig und mit Ruhm zu genießen, zur Wohlfahrt des Staats anwenden müsse, als daß ein ganzes Volk nicht beynahe immer gegen sein wahres Interesse handle, so oft das Privatinteresse der Personen, denen es sich gern oder ungern anvertrauen muß, mit dem seinigen in Widerspruch steht.


 << zurück weiter >>