Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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I.
Lais an Aristipp.

Die ungewöhnliche Schönheit dieses Frühjahres hat mich schon in den ersten Tagen der Blüthenzeit nach Ägina gelockt; oder vielmehr die kleine Musarion ließ mir keine Ruhe, sobald sie die erste Schwalbe zwitschern hörte. Du solltest nur um der Nachtigallen willen eher nach Ägina gehen, sagte sie alle Morgen und Abende; gewiß sie singen nirgend so schön als in unserm Lustwäldchen zu Ägina.

Du mußt wissen, Aristipp, daß Musarion meinem alten Patron, vor ungefähr sechzehn Jahren, von einer schönen Thrazischen Sklavin geboren, und auf seinem Gute zu Ägina bis an seinen Tod erzogen wurde. Er selbst entdeckte mir dieß kurz vor seinem Ende, indem er das Schicksal des jungen Mädchens gänzlich in meine Hände stellte. Du zweifelst nicht daß ich ihr sogleich die Freyheit gab; und da ich nicht alt genug bin ihre Mutter vorzustellen, gehe ich mit ihr, wie du gesehen hast, wie mit einer jüngern Schwester um.

Die Sehnsucht des guten Kindes nach Ägina ward nach und nach so lebhaft, daß ich ihrem Andringen nicht länger widerstehen konnte. Wir sind also wieder hier in deinem Lieblingssitz, und unsre Nachtigallen greifen sich so gewaltig an, daß man sie bis in Athen hören muß; denn sie haben bereits den begeisterten Kleombrotus im Gefolge seines edeln Freundes zu uns herüber gesungen. Eurybates hat (wie dir bekannt ist) auch eine Nachtigall, oder vielmehr eine Sirene, zu Ägina, deren Zaubergesang ihm so gefährlich zu werden droht, daß ich mich ziemlich versucht fühle, den armen Menschen aus purem Mitleiden dem Verderben zu entreißen, das sie ihm zubereitet. In ganzem Ernst, Freund Aristipp! Eurybates dauert mich, und wer weiß wie weit ich die Großmuth zu treiben fähig wäre, wenn ich nicht – rathe selbst wen? – in wenig Wochen zu Ägina erwartete, dessen gute Meinung von mir ich nicht gern verscherzen möchte, und der eine so heroische Aufopferung meiner selbst – bloß um einen Abkömmling des Kodrus im Besitz seines schönen Landguts zu erhalten – vielleicht nicht verdienstlich genug finden dürfte, sie für ein würdiges Gegenstück der peinlichen Tugendübungen anzusehen, die er sich selbst ganzer drey Monate lang zu Syrakus auferlegt haben soll.

Ohne Scherz, lieber Aristipp, auch deine Freundin, sich schmeichelnd, daß sie immer noch die einzige ist, sehnt sich dich bald wieder zu sehen; und wenn sie dir gleich eine Treue, die ihr nichts kostet, nicht hoch anzurechnen gedenkt, so gesteht sie doch, daß sie dirs schwerlich verzeihen könnte, wenn du deine filosofischen Kampfübungen auf ihre Rechnung länger fortsetzen, und anstatt zu den Nachtigallen in Ägina zurückzueilen, etwa noch eine kleine Reise zu den unbescholtnen Äthiopiern machen wolltest. Ich habe dir eine Neuigkeit mitzutheilen, die nicht sehr geschickt ist, deine Meinung von den Athenern zu verbessern. Sokrates, unter allen beschuhten und unbeschuhten Achaiern unstreitig der beste, soll (wie die Rede geht) von drey redseligen Buben, dem Gerber und Volksredner Anytus, dem Rhetor Lykon, und einem gewissen Dichterling, wenn ich nicht irre Melitus genannt, angeklagt worden seyn, »daß er neue Götter in Athen einführen wolle, und die jungen Leute verderbe!« Jedermann findet diese Anklage gar zu ungereimt, und ich habe noch niemand gesehen, der ernsthaft davon hätte sprechen können, oder im geringsten für unsern alten Freund in Sorgen stände, wiewohl der Kläger auf keine geringere als die Todesstrafe anträgt. Ungeachtet ich die Sache eben so ansehe, so gestehe ich doch, ich traue den Athenern nur halb, und verlasse mich mehr auf die Anzahl und den Eifer seiner Freunde, als auf die Güte seiner Sache und die Gerechtigkeit der Heliasten oder Areopagiten. Hoffentlich wird der Sturm schon glücklich vorüber seyn, ehe du dich von Cyrene los machen kannst. Denn so eben versichert mich einer meiner Athenischen Bekannten, der die Stadt erst diesen Morgen verlassen hat, der berühmte Lysias arbeite an einer ganz vortrefflichen Schutzrede für unsern ehrwürdigen Freund, und die allgemeine Stimmung sey dem Beklagten so günstig, daß es ihm nur ein gutes Wort an seine Richter kosten werde, um lauter weiße Steine zu erhalten. In der That sind seine Ankläger so gar schlechte Menschen, und die Klagpunkte passen so übel auf Sokrates, daß Aristofanes selbst, wie ich höre, sich darüber ärgert, daß solche verächtliche Sykofanten aus seinem schon vier und zwanzigjährigen Spaß Ernst machen wollen, und sich schlechterdings weigert, an ihrer Verschwörung Theil zu nehmen. Du kannst also, denke ich, deines alten Chirons wegen außer aller Sorge seyn.


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