Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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XXXV.
Lais an Aristipp.

Du, der so vielerley weiß und Neugier für alles hat, solltest du nicht etwa ein Mittel für die Art von Langweile wissen, welche (wie mir ein Sohn des Hippokrates sagt) aus allzugroßem Überfluß an Kurzweil' entspringen soll?

Du hast dich vor einiger Zeit nach meinem Wohlbefinden erkundigst. O mein Freund, ich bin so glücklich, so entsetzlich glücklich, daß ich es vor lauter Glückseligkeit nicht lange mehr ausdauern werde. Gnade mir Adrasteia! Sagt man nicht, es gebe Leute, die sich weit leichter in großes Unglück als in großes Glück zu finden wissen? Ich muß wohl eine von diesen widersinnischen Personen seyn. Dieser Arasambes, zum Beyspiel, ist unleugbar viel zu vornehm, zu reich, zu schön, zu gefällig, zu aufmerksam und zu dienstfertig für deine arme Lais; und woher, um aller Grazien willen, sollte sie die ungeheure Menge von Liebe nehmen, die sie nöthig hätte um die seinige zu erwiedern? Ich merke wohl, daß er mir mit guter Art zu verstehen geben will, ich brauche es nur zu machen wie er: als da ist, mir beynahe die Augen aus dem Kopfe zu gucken, um in den seinigen zu erspähen, was er vielleicht morgen wünschen werde; oder, wenn ich irgend eine leichte Spur vom Schatten eines Wölkchens auf seiner breiten Stirn gewahr werde, gleich in eine tödtliche Unruhe zu fallen, und Himmel und Erde in Bewegung zu setzen, um die Ursache des großen Unglücks zu entdecken, und das Mittel dagegen auf der Stelle herbey zu schaffen. Ich übertreibe nichts, Aristipp; dieß ist seine Manier zu lieben, und es liegt nicht an ihm, wenn ich nicht das glücklichste Wesen unter der Sonne bin, so unbeschreiblich beschwerlich und ängstlich ist seine Aufmerksamkeit und sein Verlangen, mich zur seligsten aller Sterblichen zu machen. Denn wie sollt' er je zu viel für diejenige thun können, die ihn schon durch ein zufriednes Lächeln, schon durch einen Blick, der ihm sagt, daß sie seine Aufmerksamkeit bemerkt, mitten unter die Götter versetzen kann? Du erinnerst dich vielleicht noch, daß mir Anfangs ein wenig bange war, er möchte wohl einige Anlage zur Eifersucht haben; aber von der Art Eifersucht, womit der arme Mensch geplagt ist, ließ ich mir wenig träumen. Er ist nicht etwa darüber eifersüchtig, daß ich nicht zärtlich genug gegen ihn bin, oder vielleicht einen andern lieber haben könnte als ihn: er ist es über sich selbst, weil er immer zu wenig zu thun glaubt, und immer einen Arasambes im Kopfe stecken hat, der noch viel mehr thun möchte und könnte. Auch geht sein Eifer mir gefällig zu seyn, und mir keinen möglichen Wunsch übrig zu lassen, bis zum Unglaublichen. Hat er nicht neulich zwanzig schöne Hyrkanische Pferde zu Tode reiten lassen, um einen gewissen Fisch, mit einem barbarischen Nahmen den ich wieder vergessen habe, herbeyzuschaffen, von welchem jemand über der Tafel erzählt hatte, er habe wechselsweise gold- und purpurfarbne Schuppen, und würde nirgends als im Ausfluß des Fasis gefangen? Ich Unglückliche lasse mir in der Unschuld meines Herzens das Wort entfahren, diese Fische müßten in einem Gartenteiche nicht übel aussehen. Augenblicklich springt mein Arasambes auf, ist wie ein Blitz aus dem Sahl verschwunden, und in weniger als einer halben Stunde höre ich das Trampeln einer ganzen Schwadron Reiter, die den Befehl haben, Tag und Nacht zu rennen, um etliche Fäßchen voll dieser Fische, sie möchten kosten was sie wollten, vom östlichen Ende des Euxins herbey zu hohlen. Du kannst nicht glauben, wie ich mich in Acht nehmen muß, daß solche Dinge nicht alle Tage begegnen. Und nun vollends den Zwang, den ich mir anthun muß, wenn ich nicht in meinen eignen Augen die undankbarste Person von der Welt scheinen will, ihm über dergleichen ausschweifende Beweise seiner sublimen Leidenschaft eine Freude zu zeigen, die ich nicht fühle! Ich sage dir, wenn das noch lange so währen sollte, ich behielte keinen ehrlichen Blutstropfen im Leibe!

O mein Aristipp! was für glückliche Zeiten waren das, wo wir in der Rosenlaube zu Ägina, dem Altar der Freundschaft gegenüber, beysammen saßen, und mit freyer unbefangener Seele über tausend Dinge filosofierten, die uns im Grunde wenig kümmerten, und wenn uns nichts mehr einfallen wollte, die Lücke mit Scherzen und Tändeln ausfüllten, und ohne uns das Wie? und Warum? und Wie viel oder Wie wenig? anfechten zu lassen, einander gerade so glücklich machten, als jedes zu seyn wünschte und fähig war! – Welch eine große Wahrheit sagt Sofokles in seiner Antigone:

»Wär' auch dein ganzes Haus mit Reichthum angefüllt,
Und lebtest du in königlichem Prunke,
Fehlt Frohsinn dir dabey, so gäb' ich nicht
Den Schatten eines Rauchs um alles das!« –

Wahr! wahr! Und wußt' ich es nicht vorher? Wozu hatte ich nöthig, mich durch eigene Erfahrung davon zu versichern? – Freylich, ich war eine Thörin! Aber die kürzesten Thorheiten sind die besten. Muthe mir also nicht zu, daß ich es hier länger aushalte. Nein, Trauter! meine Entschließung ist genommen, und daß ich nicht gleich auf der Stelle davon laufe, hängt bloß an einer einzigen Schwierigkeit. Du weißt, ich mag alles gern mit guter Art thun. Arasambes hat nichts als Gutes um mich verdient. Er selbst muß unsre Trennung wünschen, muß mir noch Dank dafür wissen, wenn ich meiner Wege gehe. Dieß auf eine feine und ungezwungene Art herbeyzuführen, ist, so wie die Sachen jetzt stehen, keine leichte Aufgabe. Ich habe zwar ein ganz artiges Plänchen in meinem Kopfe; nur das Mittel zur Ausführung liegt noch im Schooße der Götter. Aber, wie gesagt, meine Geduld reicht nicht mehr weit; und wenn der Zufall, der bey allen menschlichen Dingen doch immer das Beste thun muß, sich meiner nicht bald annimmt, so stehe ich dir nicht dafür, daß ich nicht, in einem Anstoß von guter Laune, dem edeln Arasambes den Antrag mache, nach Leukadia mit mir zu reisen, und Hand in Hand den berüchtigten Sprung mit mir zu wagen, der uns beide, ihn von seiner nie befriedigten Liebe, mich von der Last sie zu dulden und nicht erwiedern zu können, auf Einmahl befreyen würde.


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