Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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XXIV.
Aristipp an Lais.

Vor allen Dingen, schöne Halbgöttin, laß dir ein kleines Abenteuer erzählen, das mir dieser Tage aufstieß, da ich den ganzen Morgen damit zugebracht hatte, die Berge um Mytilene zu durchstreichen. Du weißt, denke ich, daß die Kräuterkunde seit einiger Zeit meine Lieblingsbeschäftigung ist, als eine Art Studien, wozu ein wandernder Weltbürger, wie ich, aller Orten Stoff findet, und wovon er gelegenheitlich allerley nützlichen Gebrauch machen kann. Ich hatte mich ziemlich weit ins Gebirge hinein verirrt; die Sonne wurde drückend und mein Gaumen sehr trocken, als ich endlich am Fuß eines Felsens, an welchem eine Herde Ziegen herumkletterte, unter einem hohen Nußbaum eine Hütte, und vor der Thür der Hütte ein junges Weib erblickte, die im Schatten sitzend Wolle spann. Ich bat sie um ein wenig Wasser meinen Durst zu löschen, und sie eilte mir einen Topf voll frischer Milch zu hohlen, und bot mir ihn freundlich hin, weigerte sich aber, beynahe beleidigt, da ich ihr ein paar Drachmen in die Hand drückte, etwas anzunehmen, weil es (sagte sie) nicht Sitte in Lesbos sey, sich für solche kleine Liebesdienste bezahlen zu lassen. – Werde nicht ungehalten, liebe Laiska! Mein Abenteuer war freylich des Erzählens nicht werth; aber es ist gerade, als ob ich dir meine Geschichte mit meiner gefälligen Wirthin zu Mytilene erzählt hätte. Leider ist hier keine Gelegenheit, mir aus der Treue, über die du spottest, ein Verdienst bey dir zu machen. Es ist etwas, das einem jeden echten Sokratiker, ja dem Meister selbst, alle Tage begegnen könnte. Schwerlich giebt es eine anspruchlosere Tochter der Natur als die gute Leukonoe. Was sie zu geben hat, ist in ihren eigenen Augen etwas so unbedeutendes, daß sie sich schämen würde, einen größern Werth darauf zu legen, als meine Ziegenhirtin auf ihren Topf mit Milch. Meine Treue bleibt dir also auf rühmlichere Gelegenheiten vorbehalten; auch wollt' ich wetten, du bist von der Unmöglichkeit meiner Untreue so völlig überzeugt, daß es lächerlich wäre, wenn ich jemahls damit groß gegen dich thun wollte. Es giebt nur Eine Lais, die alle Arten von Reitzen in sich vereiniget, und auf alle mögliche Weise liebenswürdig ist. Über wen wollte sie eifersüchtig seyn? Das ist eine Leidenschaft, die sie ihren Liebhabern überläßt. Aber wehe dem, der nicht gleich bey ihrem ersten Anblick seine Partie darüber nimmt! Ich weiß wohl, du wirst die stolze Ruhe, womit ich dich in der Welt herumschwärmen sehe, mit dem verhaßten Nahmen Kaltsinn belegen; aber ich hülle mich in meine Unschuld. Denn ich bleibe dabey, der ruhige Liebhaber ist der einzige zuverlässige Liebhaber. Bey allem dem ist es nicht einmahl wahr, daß ich so ruhig bey deiner Reise nach Athen bin als ich vorgebe: Nicht, weil du gerade so viel Anbeter dort zurück lassen wirst, als Männer, die dich gesehen haben; und wer wird dich nicht sehen wollen? Die ganze Welt soll vor dir knieen, das ist es ja eben was ich will! Was ich befürchte ist bloß, daß du gerade den Einzigen, dessen Eroberung dir schmeicheln würde, nicht erobern wirst. Denn daß du sie bereits gemacht hättest, ist doch wohl nur Scherz. Arme Laiska! Ich fühl' es schon in allen Nerven, wie es dich kränken würde, vergebens nach Athen gereist zu seyn! Aber ich fürchte! ich fürchte! Diesen Kopf zu verrücken, würde der Göttin selbst, deren sichtbare Statthalterin du bist, nicht möglicher seyn als dir. Ich werde deinen nächsten Brief mit Zittern erbrechen, und kann ihn doch kaum erwarten.


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