Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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III.
Lais an Aristipp.

Sollte wohl mein alter Freund Aristipp im Ernst zweifeln können, ob ich noch eben dieselbe für ihn sey? Ich will es nicht glauben; denn was würde mir ein solcher Zweifel anders sagen, als er selbst sey nicht mehr eben derselbe für mich?

Da die Natur mir, ich weiß nicht wie viel oder wie wenig, dadurch versagte, daß sie mich der tragikomischen Leidenschaft, die man Liebe nennt, unempfänglich gemacht hat, so ist sie dagegen so gerecht, oder so gütig gewesen, mich desto reichlicher mit allen Eigenschaften und Tugenden auszustatten, die zu einer warmen, wenig eigennützigen, aber desto beharrlichern Freundschaft erfordert werden. Überdieß hat die meinige, ohne den geringsten Zusatz von den Unarten und Quälereyen der Liebe, so viel von ihren Annehmlichkeiten, daß ich glaube, man sollte sich damit behelfen können, ohne daß man sich darum eben viel auf seine Genügsamkeit einzubilden hätte.

Deine dermahlige Einrichtung und Lebensweise zu Athen hat meinen ganzen Beyfall, und besonders wünsche ich dir zu deiner guten Wirthschaft Glück. Noch fehlt viel, daß ich mich hierin mit dir messen dürfte; denn die Summe, womit du einen ganzen Monat auszukommen gedenkst, reicht in einer Haushaltung wie die meinige öfters kaum zwey Tage. Du wirst über meine leichtsinnige Gleichgültigkeit gegen die Folgen eines solchen Aufwandes erschrecken: ich muß dir also zum Troste sagen, daß ich vorsichtiger bin, als du mir zugetraut hättest, und durch Vermittlung meines Freundes Eufranor (dessen älterer Bruder in einem großen Handelsverkehr mit Cypern, Ägypten und den Küsten des Arabischen Meerbusens steht) Mittel und Wege gefunden habe, ein sehr beträchtliches Kapital so vortheilhaft geltend zu machen, daß eine doppelt so große Ausgabe als meine gewöhnliche ist meine Freunde nicht beunruhigen darf. Laß dich also, wenn du sehen wirst, daß es noch ziemlich auf Persischen Fuß bey mir zugeht, durch keine sorglichen Gedanken im frohen Genuß des Gegenwärtigen stören; und wofern du über kurz oder lang in den Fall kommen solltest, deiner rühmlichen Frugalität noch engere Grenzen zu setzen, so bediene dich ungescheut der Rechte der Freundschaft, und schöpfe aus der Kasse deiner Laiska wie aus deiner eigenen. Wir müßten es beide sehr arg treiben, wenn wir so leicht auf den Boden kommen sollten. Die Nothfilosofie des Cynosarges wäre ja wohl in einem solchen Fall eine Art von Zuflucht. Aber (nichts von mir selbst zu sagen) wie groß auch meine Meinung von der Gewandtheit ist, womit du dich in alle Launen des Glücks zu schicken weißt, so zweifle ich doch sehr, daß du es jemahls so weit in der Kunst zu darben, bringen würdest, deine ganze Habe mit so vieler Genialität und Grazie in einem leichten Quersack auf der Schulter zu tragen, wie der junge Cyniker, dessen negativen Reichthum du bey drey hundert Drachmen monatlich so beneidenswürdig findest.

Du bist, wie ich sehe, mit einem außerordentlich feinen Spürsinn für unser Geschlecht begabt, daß du den schönen Jüngling von Sicyon, den wir so gut verzaubert zu haben meinten, nur mit einem Blick zu berühren brauchtest, um ihn in seine natürliche Gestalt zurückzunöthigen. Er ist in der That eben dieselbe leibhafte Lasthenia, von welcher ich dir einst sagte, sie sey auf gutem Wege, mir einen schönen, wiewohl sehr glatten und schlüpfrigen Ahl, der sich in meinen Reitzen verfangen hatte, undankbarer und hinterlistiger Weise vor dem Munde wegzufischen. Aber freylich war die Eroberung eines Neffen des göttlichen Plato eine zu glänzende Versuchung für die Eitelkeit einer sechzehnjährigen Schwärmerin; und was hättest du von mir denken müssen, wenn ich fähig gewesen wäre, sie ihr zu erschweren? zumahl da der Fisch von selbst so gierig auf die goldne Fliege zufuhr. Wie dem aber seyn mochte, genug ich konnte oder wollte nicht verhindern, daß sich unvermerkt ein zärtliches Verständniß zwischen ihnen entspann, das mir desto mehr Kurzweile machte, je sorgfältiger die Kindsköpfe es vor mir zu verheimlichen suchten. Als er Korinth wieder verließ, glaubten beide ihr Spiel beym Abschied recht fein zu spielen: aber dafür richtete nun die Leidenschaft des Mädchens für die Platonische Filosofie einen desto größern Unfug in ihrem Köpfchen an. Speusipp schickte ihr fleißig alles was er von seines Oheims Werken habhaft werden konnte, und sie besaß schon eine geheime Abschrift vom Symposion, bevor andere die geringste Ahnung von seinem Daseyn hatten. Das ganz davon entzückte Mädchen konnte sich nicht halten, es mir unter dem Siegel der heiligsten Verschwiegenheit mitzutheilen, zeigte mir aber bald, daß es nicht ohne eigennützige Absicht geschehen war. Kurz, von einer dreyfachen Zaubermacht – der Muse des göttlichen Plato, der erotischen Filosofie der Seherin Diotima, und ihrer eigenen geheimen Neigung zu dem glücklichen Speusippus gänzlich überwältigt, erklärte sie mir endlich in einer schönen Mondnacht, daß sie nicht länger leben könne, wenn ich ihr nicht zu dem Glücke verhelfe, den herrlichen Mann selbst zu sehen, zu hören und zu seinen Füßen zu sitzen, von dessen Lippen die Musen diese Nektarflüsse himmlischer Weisheit strömen ließen. – Was war da zu thun? Ich konnte doch nicht so felsenherzig seyn, dem armen Kinde die Befriedigung eines so unschuldigen Verlangens zu versagen? Oder hätte ich sie dafür bestrafen sollen, daß sie mich über den wahren Gegenstand ihrer Leidenschaft zu täuschen suchte? Vielleicht täuschte sie sich noch selbst; oder, wo nicht, wie konnte ich ihr aus dem jungfräulichen Gefühl, das sie zurückhielt, ein Verbrechen machen? Und in jedem Falle, wär' es nicht unedel von mir gewesen, wenn ich die Abhänglichkeit von mir, in welche ein freygebornes Mädchen zufälliger Weise gerathen war, hätte mißbrauchen wollen, ihr das Geheimniß ihres Herzens wider ihren Willen abzudrängen? – Ganz aufrichtig zu reden, mochte mein natürlicher Hang zu einer gewissen dramatischen Knotenknüpferey, und die Neugier, was aus diesem kleinen Abenteuer werden könnte, wohl auch etwas, und vielleicht das meiste beytragen, jenen theoretischen Beweggründen mehr Gewicht zu geben, als sie sonst gehabt hätten. Mit Einem Wort, ich ließ mich gewinnen, und machte mir sogar ein Geschäft daraus, sie in der ungewohnten Knabenrolle (denn als Mädchen konnte sie doch den Zutritt in die Akademie nicht zu erhalten hoffen) zu unterrichten und mit allem auszustaffieren, was sie haben mußte, um den Sohn eines Sicyonischen Bildhauers so natürlich als möglich vorzustellen; und als alles das in seiner Ordnung war, ließ ich sie von einem vertrauten alten Diener, der die Rolle ihres bisherigen Pädagogen spielte, sicher an Ort und Stelle bringen. Wie gut die kleine Schelmerey von Statten ging, hast du selbst gesehen.

Glücklicher Weise hatte uns die Natur treulich vorgearbeitet. Denn Lasthenia besitzt wirklich mehr die Gesichtsbildung eines schönen Knaben, als eines Mädchens; der Ton ihrer Stimme ist tief, wiewohl sanft und wohlklingend; dabey ist sie, verhältnismäßig, ziemlich stark von Muskeln und Knochen, etwas breit von Schultern und schmahl von Hüften, und hat nicht viel mehr Busen als ein frischer wohlgenährter Jüngling ihres Alters zu haben pflegt; so daß sie, im Nothfall (mit Vorbehalt einer ganz kleinen Bedeckung) auf der Palästra selbst für einen Jüngling gelten könnte. Wir haben aber dafür gesorgt, daß sie von dieser Seite nicht angefochten werden darf: denn sie ist mit einer Vorschrift von ihrem ehmahligen Arzte versehen, worin ihr wegen Schwäche ihrer Brust alle heftigere Leibesübungen, eine mäßige Bewegung zu Pferde ausgenommen, scharf verboten sind. Du siehst daß nichts vergessen worden ist, der Akademie eine so gelehrige Schülerin, und dem wackern Speusipp eine so schöne Gelegenheit sich in der Platonischen Liebe zu üben, so lange zu erhalten, als beide verständig genug seyn werden, sich ihr Spiel nicht selbst zu verderben. In diesem Stücke traue ich dem Mädchen nur halb; denn sie hat, bey allen ihren vorbesagten guten Anlagen, einen ungeheuern Hang zur Zärtlichkeit; und ein so feuerfangendes Wesen, wie Speusipp zu seyn scheint, könnte wohl in einer unbewachten Stunde die Sokratische Lehre von der Gefährlichkeit eines Kusses leichter vergessen als in Ausübung bringen. Daß sie überaus leicht erröthet, wird ihr, anstatt Verdacht zu erwecken, vielmehr den Ruf eines sittsamen wohlerzogenen Jünglings zuziehen; daß sie aber vor deinem spähenden Falkenblick die Augen so jungfräulich sinken ließ, kam wohl daher, weil sie vermuthete, ich werde dir von ihr geschrieben haben, und du betrachtest sie so aufmerksam, weil du sie zu erkennen glaubest. Übrigens zweifle ich nicht, daß der Umgang mit diesem anziehenden Paar Platonischer Verliebten dein Leben in Athen nicht wenig verschönern helfen werde: nur dürfte dazu nöthig seyn, mit dem Oheim auf einem leidlichen Fuß zu stehen; was dir, meines Erachtens, so schwer nicht werden sollte, wenn du über dich gewinnen könntest, von ihm und seinen Dialogen öffentlich mit einer gewissen Achtung zu sprechen; freylich in einem Tone, den man nicht für Ironie halten könnte. Beide, der Mann und seine Werke, verdienen, däucht mich, diese Achtung, wie groß auch übrigens die Verschiedenheit eurer Art zu denken und zu leben seyn mag. Ich müßte mich sehr irren, oder Plato wird weniger ungerecht gegen dich seyn, wenn du großherzig genug bist, gegen ihn mehr als gerecht zu seyn; und was kann dir das kosten?

Mein Verlangen uns wiederzusehen ist dem deinigen gleich, lieber Aristipp. Ich gestehe dir, die Eintönigkeit meiner Lebensweise zu Korinth fängt mir an lange Weile zu machen. Die Leute, mit denen ich mich behelfen muß, verlangen so viel, und haben so wenig dagegen zu geben! Ich nehme den einzigen Eufranor aus, den du zu Ägina von Person kennen lernen sollst, und von dessen Talent ein paar Stücke, die du mir in deine Galerie zu stiften erlauben wirst, dir indessen zur Probe dienen können: aber was bliebe mir auch, wenn ich den nicht hätte, und wie lange wird es währen, so entschlüpft mir auch Er? Glaube mir, ich wäre bereits nach Athen oder anderswohin gezogen, wenn ich mein Haus in Korinth, wie die Schnecke das ihrige, allenthalben mit mir nehmen könnte, und wenn mich dann auch der sehr wesentliche Umstand nicht zurück hielte, daß ein schönes Weib, dessen höchstes Gut die unbeschränkteste Freyheit ist, schwerlich einen andern Ort in der Welt finden kann, wo sie weniger beeinträchtiget und mit mehr Achtung und Artigkeit behandelt würde, als zu Korinth. Mit allem dem finde ich doch nöthig, daß man von Zeit zu Zeit den Ort ändere, und Menschen suche, denen Wir und die Uns etwas Neues sind.


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