Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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XX.
Aristipp an Lais.

Es ist sehr natürlich, daß die Besitzerin eines Körpers, der den größten Künstlern das unerreichbare Ideal der Schönheit darstellt, sich nie von ihm zu trennen wünschet, und also wenigstens seine Gestalt, wäre sie auch nur aus Wolkenstoff gewebt, ins andere Leben mit hinüber nehmen möchte. Denn die Feinheit des Stoffes würde der Schönheit so wenig nachtheilig seyn, daß sie vielmehr dadurch erhöht werden müßte. Dessen ungeachtet, schöne Lais, scheint dein Widerwille gegen das, was du eine splitternackte Seele nennst, mehr von einer irrigen Vorstellung als von der Sache selbst herzurühren. Warum sollte es, was die Schönheit betrifft, mit der Seele nicht eben dieselbe Bewandtniß haben wie mit dem Leibe? So wie, nach der sehr wahrscheinlichen Behauptung unsers Freundes Skopas, ein untadelig schöner Leib durch jede Bedeckung in den Augen der Anschauer nur verlieren kann, und sich erst alsdann in seiner ganzen Glorie zeigt, wenn er ohne alle Hülle gesehen wird: so mag auch vermuthlich eine schöne Seele nur dann, wenn sie nach gänzlicher Entkleidung vom Stoff in ihrer eigenthümlichen Gestalt erscheint, durch unmittelbares Anschauen des reinen Ebenmaßes aller ihrer Verhältnisse, und der Harmonie und Einheit, die in allen Theilen und Ausschmückungen ihres Innern herrschet, dem anschauenden Geist einen ungleich höhern Genuß der Vollkommenheit gewähren, als die Einwindelung in einen Körper zulassen kann, der, wenn er auch aus Licht und Äther gewebt wäre, doch nie so durchsichtig seyn könnte, daß er einem wahren Seelenliebhaber nicht noch viel zu wünschen übrig lassen sollte.

Doch, ich will auf dieser Idee um so weniger bestehen, da der plötzliche Übergang aus unsrer gegenwärtigen Art zu seyn in die rein geistige ein Sprung wäre, dergleichen die Natur nicht zu machen pflegt. Ich halte mich also an deine Flügelköpfe, Laiska! eine so glückliche Vermuthung, daß ich beynahe schwören wollte, du müßtest es wirklich errathen haben. Freylich wird bey dieser Art von Seelenbekleidung niemand mehr gewinnen als du; aber dieß ist auch nur billig, da niemand mehr dabey aufopfert als du. Gewiß kann kein verständiger Schätzer des Werths der Dinge das letztere höher würdigen als ich; aber gleichwohl muß ich gestehen, ich habe mich in die Idee einer Welt von lauter Flügelköpfen bereits so stark verliebt, daß ich, wenn es nur auf mich ankäme, keinen Augenblick zögern wollte, dich und mich und alle die wir lieben auf der Stelle in eine solche Welt zu versetzen. Sollte die holde Musarion darauf bestehen, daß sie sich an dem bloßen Kopfe des schönen Kleonidas nicht begnügen könne, so könnten wir ihr zu Gefallen etwa noch so viel Leib hinzuthun, daß die Bewohner unsrer künftigen Welt die Gestalt geflügelter Brustbilder bekämen; aber mit recht gutem Willen würde ich mich nie dazu bequemen. Denn es fällt auf den ersten Anblick in die Augen, daß die Idee der Flügelköpfe durch diesen üppigen Zuwachs an Masse die Hälfte von ihrer Schönheit verliert. Und warum? Bloß weil die gute Musarion sich die Mühe noch nicht genommen hat, ihr Vorurtheil gegen den Kopf in etwas genauere Untersuchung zu ziehen. Ich getraue mir zu behaupten, daß die Liebe, die ihren Sitz im Kopfe hat, nicht nur von edlerer und zärterer Natur, sondern auch schmeichelhafter sowohl für den Geliebten als den Liebenden ist, als die andere. Denn sie gründet sich, anstatt auf eine blinde und dem Verstande zuvoreilende Neigung, auf reines Anschauen der Vollkommenheiten des Geliebten. Sie ist weniger feurig und lodernd; aber ihre Flamme brennt desto heller, gleicher und anhaltender, verzehrt sich nicht selbst, und vermischt sich nicht mit so manchen andern Leidenschaften, welche über und unter dem Zwerchfelle nisten, und so leicht die Harmonie der Liebenden unterbrechen. Wollten wir die Nachgiebigkeit so weit treiben, unsre Köpfe in Büsten zu verwandeln, so möchten wir eben so mehr noch den ganzen übrigen Rumpf hinzuthun, und die reine Seelenliebe, die nur zwischen Köpfen Statt findet, durch Einmischung der Geschlechtsverschiedenheit vollends zu dieser vulgaren Leidenschaft herabwürdigen, die den armen Sterblichen so viel Noth und Plackerey macht, und von welcher auf immer befreyt zu seyn, gewiß keiner der geringsten Vorzüge des Lebens in der Welt der Geister ist.

Überhaupt bitte ich nicht zu vergessen, daß wir, (wie Platons Sokrates sehr schön darthut) durch unsre Versetzung in diese letztere keine Befriedigung verlieren, die uns nicht durch viel höhere, unsrer geistigen Natur gemäßere Genüsse reichlich und überflüssig ersetzt werden; und daß Musarion, sobald sie selbst nichts als Kopf seyn wird, den Mangel des übrigen an sich selbst und ihrem Liebhaber eben so wenig spüren wird, als man in einer Welt, deren Bewohner nur vier Sinne hätten, einen fünften vermissen würde. Mit Einem Worte, Laiska, lassen wir es bey deiner Hypothese, welche, meines Erachtens, so sinnreich und filosofisch ist, daß Anaxagoras der Geist und der sublime Weise von Samos selbst Freude daran gehabt hätten, wofern die schöne Aspasia oder die edle Theano so glücklich gewesen wären, dir mit Erfindung derselben zuvor zu kommen. Ich wenigstens finde sie so tröstlich, daß ich die Entfernung von dir künftig ungleich besser ertragen werde als bisher, weil ich sie als eine Vorübung betrachte, wodurch wir beide in Zeiten angewöhnt werden, einander – leider! nichts als Kopf zu seyn.

Ich schreibe dir dieß auf einem reitzenden Landgute im Panionion, wohin mich einer meiner Bekannten zu Efesus eingeladen hat, und wo ich mir so wohl gefalle, daß meine Reise zu Hippias vermuthlich noch einige Zeit verschoben bleiben wird.

Wenn ich dir nur ein wenig lieb bin, beste Laiska, so erinnere dich, daß du mir schon mehr als einmahl dein Bild versprochen hast. Ich bitte bloß um deinen Kopf – wohl zu merken, kein Brustbild! Ja, ich würde schon mit einem deiner Augen zufrieden seyn, wenn ein Mahler in der Welt wäre, der den Blick hinein oder vielmehr heraus mahlen könnte, womit du mir zu Ägina in der seligsten Stunde meines Lebens ewige Freundschaft angelobtest.


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