Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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XL.
Kleonidas an Aristipp.

Wirklich, lieber Aristipp, scheint mir dein Aufenthalt unter den weichlichen Asiaten deine Nerven ein wenig abgespannt zu haben: nicht, weil dir so gut als einem andern etwas Menschliches begegnen kann; und noch weniger, weil du die schöne Lais wieder gehen ließest wie sie gekommen war; – Wie hättest du es anders machen können? Sie ist doch wohl keine Person, mit der man ungestraft den Satyr spielen dürfte? – sondern weil du nicht gewahr worden bist, daß die Schwachheit, deren du dich selbst beschuldigest, bloß darin liegt, daß du dich schämest wo sich nichts zu schämen ist.

Ich weiß nicht wo ihr Filosofen die Einbildung her nehmt, ihr müßtet etwas mehr als menschliche Menschen seyn, oder wir andern sollten wenigstens so gutmüthig seyn euch auf euer Wort dafür gelten zu lassen. Ich für meine Person finde in deiner Gespenstergeschichte nichts, was nicht ganz natürlich wäre, und dem weisen Sokrates selbst so gut hätte begegnen können wie dir. Du befindest dich in einer mondhellen Nacht allein in einem Garten; alles schlummert weit umher: Nacht, Einsamkeit und allgemeine Stille stimmen dich zu dem, was man wachend träumen nennen könnte. Der Mondschein allein versetzt uns schon in eine andre, oder vielmehr in die nehmliche Welt, die den gemeinen Vorstellungen vom Hades zum Urbild gedient hat; in eine Welt, wo alles sich dem Auge ganz anders darstellt, als wir es bey Tage sehen; wo wir Mühe haben in den zweifelhaften farbenlosen Gestalten, die ein mattes oft unterbrochnes Schattenlicht bald erscheinen bald wieder verschwinden läßt, die gewohntesten Gegenstände wieder zu erkennen; wo es ohne Hülfe des Gefühls fast immer unmöglich ist, Schatten und Körper nicht zu verwechseln; kurz, in eine von der Sonnenwelt so verschiedene Zauberwelt, daß der Einbildungskraft bey der geringsten Veranlassung nichts leichter ist, als Gegenstände des Homerischen Schattenreichs dem, was wir wirklich sehen, unterzuschieben. In dieser Lage stellt sich dir auf einmahl die Gestalt einer Person dar, für welche du seit mehrern Jahren eine besondere Anmuthung fühlst, und mit welcher du dich unmittelbar zuvor in Gedanken unterhalten hattest; eine Person, die, deiner gegründeten Meinung nach, jetzt zu Milet seyn muß, und die du dir in diesem Augenblick so wenig in Rhodus, als dich selbst in Milet, denken kannst. Was ist da natürlicher, als daß du, bey dieser Disposizion deiner Sinne und – deiner Einbildung, nicht – was du in diesem Momente für unmöglich hältst, – diese Person selbst im Leben, sondern die bloße wesenlose Gestalt der nicht mehr Lebenden zu sehen wähntest? Denn, wie viel auch die Filosofie gegen dergleichen Erscheinungen einzuwenden hat, ihre Unmöglichkeit kann sie nicht beweisen; und wenn gleich deine Vernunft die Gespenstergeschichten, die du von Kindheit auf erzählen hörtest, aus ihrem eigenen Kreise verwiesen hat, aus deiner Seele konnte sie dieselben nicht hinausbannen; sie zogen sich in die nächtlichste Region deiner Fantasie zurück, und es brauchte nichts als das Zeugniß deiner Augen, die dir die Gestalt einer weit entfernt geglaubten Person unmittelbar darstellten, um nicht nur deine Fantasie plötzlich ins Spiel zu setzen, sondern deine Vernunft selbst zu einem Trugschluß zu verleiten, dessen Täuschung sie keine Zeit hatte wahrzunehmen. Du wirst sagen: eben darum, weil ich die Gestalt der Lais auf mich zugehen sah, hätte ich sogleich gewiß seyn sollen, daß sie es selbst sey; denn es war doch unendlichmahl wahrscheinlicher, daß sie ihren Reiseplan geändert, und anstatt nach Milet zu gehen, den Weg nach Rhodus genommen, meine Wohnung ausgekundschaftet, und sich vielleicht ein Vergnügen daraus gemacht habe, mich unversehens zu überraschen. Ich antworte: Alles dieß war vernünftiger Weise nichts weniger als wahrscheinlich; wenn du es aber auch bey ruhiger Überlegung wahrscheinlicher hättest finden müssen, als die Erscheinung eines Geistes, so bedenke, daß die Fantasie in einem solchen Augenblick ihr Gaukelspiel viel zu behende macht, als daß sie dir Zeit zu Abwägung der Wahrscheinlichkeiten gelassen hätte. Das Zeugniß der Augen, das Vorurtheil, was du sahst könne nicht Lais selbst seyn, und die Einbildung es müsse also ihr Geist seyn, wirkten so unendlich schnell zusammen, daß alle drey in eine einzige sinnliche Vorstellung, deren du dir klar bewußt warst, zerflossen; und, wie gesagt, eben dasselbe wäre jedem andern an deiner Stelle begegnet. Ich wenigstens stehe dir nicht dafür, daß mir selbst, ungeachtet ich durch dein Beyspiel gewarnt bin, mit Musarion oder Dir nicht eben dasselbe begegnen könnte, wenn ich euch zu einer Zeit, da ich euch weit von mir entfernt wüßte, unter ähnlichen Umständen, plötzlich auf mich zuschleichen sähe. Denn freylich gehört auch der langsame gespenstmäßige Gang und das weißgraue Gewand so gut zur Sache als Einsamkeit, Mondschein und nächtliche Stille.

Um dir meine Behauptung noch einleuchtender zu machen, frage ich dich: wenn du die schöne Lais nicht umarmt, nicht mit ihr gesprochen, und dich also nicht durch Gefühl und Ohr von ihrer Körperlichkeit hättest überzeugen können; – wenn zum Beyspiel (was wenigstens an einem andern dazu geschickten Orte durch künstliche Veranstaltungen hätte bewirkt werden können) wenn, einen Augenblick zuvor ehe du ihr in die Arme fielst, plötzlich eine Flamme zwischen dir und ihr aufgefahren, und ein dichter Rauch, unter einem vermeinten Donnerschlag, ihre Gestalt deinen Augen plötzlich entzogen hätte, – würdest du (vorausgesetzt daß dieß Alles täuschend genug ausgeführt und der Betrug dir nicht von Lais selbst entdeckt worden wäre) nicht vielleicht noch jetzt deinen Sinnen mehr glauben als deiner Filosofie, und Alles für eine Erscheinung aus der Geisterwelt zu halten geneigt seyn? Wenigstens bin ich versichert, daß unter zehen tausend, denen ein solches Abenteuer begegnete, nicht Einer wäre, der es für etwas anders nähme. Ich kenne sehr verständige Leute, die, wenn von solchen Wunderdingen die Rede war, gegen Alles, was von Andern erzählt wurde, die erheblichsten Einwendungen zu machen hatten, aber immer damit aufhörten, mit der größten Überzeugung von der historischen Wahrheit der Sache, irgend eine Gespenster- oder Zaubergeschichte zu erzählen, von welcher sie sich selbst als Augenzeugen aufstellten. Noch einmahl also, ich sehe nicht was für Ursache du hättest es dich verdrießen zu lassen, daß du der schönen Lais nicht durch unzeitige Besonnenheit einen Spaß verderbt hast, um dessentwillen sie sich eine Reise von dreyzehn hundert Stadien zu Land und zu Wasser nicht verdrießen ließ. Ich kann mir zwar wohl einen Menschen denken, der auf dem Wege des filosofischen Todes, den uns Plato in seinem Fädon empfiehlt, dadurch, daß er den Sinnen, der Fantasie und allen Trieben und Leidenschaften der menschlichen Natur schon bey lebendigem Leibe abgestorben ist – sich in die Unmöglichkeit gesetzt hat, von ihnen getäuscht zu werden: aber ich weiß daß ich dieser Mensch nicht seyn möchte, und wünsche dir Glück daß du es eben so wenig bist als ich.

Den andern Punkt betreffend, hätte sich, dünkt mich, jeder Mann, der nicht von allem Gefühl des Schicklichen und aller Achtung gegen sich selbst verlassen wäre, eben so, wie du, benehmen müssen; überdieß lag es wohl nicht an deinem guten Willen, wenn du dich am Ende mit einem Kuß abfinden lassen mußtest. Man ist freylich auf eine so sonderbare Grille nicht gefaßt, wie diese war, die Reise von Sardes nach Rhodus zu machen, um einem guten Freund einen Kuß zu geben; indessen hängt es immer von einer Schönen ab, wie viel Werth sie auf ihre Gunsterweisungen legen will, und der Kuß, den du zur Entschädigung erhalten hast, war nach deinem eigenen Geständniß so viel werth, daß du ihn nicht zu theuer erkauft hättest, wenn du ihm bis zu den Hyperboreern hättest entgegen reisen müssen. Die Wahrheit zu sagen bin ich mit Dir weit besser zufrieden als mit der Dame, die mir in den zwey Jahren ihrer unumschränkten Herrschaft über den königlichen Arasambes von Seiten des Karakters mehr verloren als gewonnen zu haben scheint. Ich fürchte sie hat sich durch die fliegende Eile, womit jeder ihrer Winke befolgt werden mußte, durch die unermüdete Aufmerksamkeit, womit ein eben so großmüthiger als vielvermögender Liebhaber allen ihren Wünschen zuvor kam, kurz, durch die grobe Abgötterey, die zu Sardes mit ihr getrieben wurde, die böse Gewohnheit zugezogen, jede Fantasie, die ihr zu Kopfe steigt, auf der Stelle zu befriedigen, und zu erwarten daß man sich alles, was sie zu sagen und zu thun beliebt, wohl gefallen lasse. Mit Einem Wort, Aristipp, dein weiblicher Alcibiades ist das wahre Wort des Räthsels. Geben die Götter, daß die Ähnlichkeit sich nicht bis auf den Ausgang der Abenteuer erstrecke, in welche sie sich mit einem solchen Karakter noch verwickeln könnte!

Das zarte dankbare Herz meiner Musarion leidet nicht wenig bey der Freyheit, die wir uns in unsern Urtheilen über ihre geliebte Pflegemutter heraus nehmen. Sie möchte sich selbst gerne verbergen, daß wir Recht haben, und würde uns zürnen, wenn sie zürnen könnte, daß wir alles im vollen Sonnenlichte sehen, was sie selbst nur in dem sanft verhüllenden und vermischenden Mondlicht, oder in der verschönernden Beleuchtung der Abendsonne sehen will. Demungeachtet bittet sie mich, dir in ihrem Nahmen für die freundliche Art zu danken, wie du ihrer gegen Lais erwähnt hast. Das holdselige Weibchen giebt mir täglich neue Ursache, mich in ihrem Besitz glücklich zu fühlen. Ich weiß nicht ob du dich erinnerst, daß ich eine Schwester habe, die bey deiner ersten Abreise von Cyrene noch ein Kind von vier bis fünf Jahren war? Da wir vor einiger Zeit das Unglück hatten unsre gute Mutter zu verlieren, bat Musarion meinen Vater, daß er ihr die junge Kleone anvertrauen möchte, die jetzt gerade in die Jahre tritt, wo die Aufsicht und Leitung einer mütterlichen Freundin einem Mädchen am nöthigsten ist. Du zweifelst nicht, daß es ihr mit der besten Art zugestanden wurde; und so habe ich schon seit mehreren Wochen das Vergnügen, eine Schwester, die ich nach Musarion über alles liebe, unter ihren Augen, gleich einer lieblichen noch ganz unversehrten Rosenknospe unter den schirmenden Blättern des mütterlichen Stockes, allmählich zur schönsten Blüthe sich entfalten zu sehen.

Gedenkst du dich noch lange zu Rhodus zu verweilen, Aristipp? – Wie gerne wir dir auch die mannigfaltigen Genüsse gönnen, die dir in dem Lande, welches sich Minerva und Apollo mit den Musen und Grazien zu ihrem eigenen Sitz erkohren haben, von allen Seiten zuströmen, so giebt es doch Tage und Stunden, (und es sind gerade die seligsten unsers glücklichen Familienlebens) wo wir uns alle nach dir sehnen, und die Athener und Korinthier, Milesier und Rhodier – und wer kann sie alle zählen, die uns das Glück, dich zu besitzen, vorenthalten? – so herzlich darum beneiden, daß es ihnen unmöglich wohl bekommen kann.


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