Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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XXIV.
Kleonidas an Antipater.

Aristipp ist glücklich in Cyrene angekommen, und hat durch sein Wiedersehen und den Entschluß uns nie wieder zu verlassen, das Glück seiner Freunde verdoppelt. Die ganze Stadt nimmt Antheil an unsrer Freude; man drängt sich ihn zu sehen, zu begrüßen, zu Gaste zu bitten, und überall, wo er zu finden ist, aufzusuchen; und er hat sich in Zeiten auf ein entfernteres Landgut seines Bruders flüchten müssen, um den allzulästigen Beweisen zu entgehen, welche ihm seine Mitbürger von ihrer Achtung und Zuneigung zu geben sich beeifern. Das alles wird sich in kurzer Zeit setzen; man wird nur zu bald gewohnt werden Aristippen unter uns zu sehen, und der nehmliche Mann, den die öffentliche Meinung jetzt zum Abgott der Cyrener macht, wird ihnen in einigen Jahren ein Bürger seyn wie tausend andere, und vielleicht aller seiner Anspruchlosigkeit und Bescheidenheit nöthig haben, um für seine Vorzüge, und für alles wodurch er seinem Vaterland Ehre macht, Verzeihung zu erhalten. So ist die große Mehrheit der Menschen, lieber Antipater! Wir wollen uns nicht darüber ärgern daß sie nicht anders sind als sie können.

Aristipp schickt sich trefflich in seinen neuen Hausstand, und wird uns, wie ich nicht zweifle, durch das Beyspiel eines nach edeln Grundsätzen geführten und mit sich selbst übereinstimmenden Lebens mehr wahre Filosofie lehren, als wenn er eine Wissenschafts-Bude auf dem großen Markt von Cyrene aufschlüge, und uns unsern schlichten Menschenverstand zu Platonischen Ideen verspinnen lehrte.

Er hat neun Leibeigenen seines alten Oheims, so viele ihrer über sechzig Jahre alt waren, die Freyheit geschenkt, und es in ihre Wahl gestellt, ob sie seine Hausgenossen bleiben, oder mit einem ihren geleisteten Diensten angemessenen Jahrgehalt sich auf ihre eigene Hand setzen wollten. Alle haben das erstere erwählt, und verdoppeln, seitdem sie ihm bloß durch ihren Willen angehören, ihren Diensteifer. Dafür aber ist auch seine Art, alle von ihm abhangenden Menschen zu behandeln, so gütig und leutselig, daß, wofern sie nicht mit strenger Ordnung und gehöriger Zucht verbunden wäre, die Guten selbst sich unvermerkt versucht finden könnten lässig und schlecht zu werden. Sein Bestreben ist, alle, die für ihn arbeiten, so zufrieden mit ihrem Lose zu machen, daß sie sich nicht nur keinen andern Herren wünschen, sondern seinen Dienst der Freyheit selbst vorziehen. Dieß ist leichter zu bewerkstelligen als man glaubt; denn diese Klasse von Menschen fühlt den Werth der Freyheit nicht eher, als wenn ihnen die Dienstbarkeit ganz und gar unerträglich gemacht wird. In seinem Hause herrscht Ordnung ohne ängstlichen Zwang, Zierlichkeit ohne Pracht und Überfluß ohne Verschwendung. Nichts ist um Scheinens und Prunkens willen da; alles, vom größten bis zum kleinsten, trägt etwas zum angenehmern Lebensgenuß des Hausherrn und seiner Freunde bey, und man befindet sich nirgends besser als bey ihm. Mit Einem Wort, Aristipp stellt seine Filosofie in seinem Leben dar, und verdient nicht nur allen, denen das Glück so günstig war als ihm, zum Muster zu dienen, sondern kann, mit den gehörigen Einschränkungen, auch von solchen nachgeahmt werden, die in diesem Stück weit unter ihm sind. Denn so übel hat die Natur nicht für ihre Kinder gesorgt, daß man reich seyn müßte, um des Lebens froh zu werden.

Du bist, nach dem Antheil den du an uns nimmst, vielleicht neugierig, wie es mit Aristipp und Kleonen steht, von welchen leicht voraus zu sehen war, daß die persönliche Bekanntschaft sie sehr bald in ein besonderes Verhältniß setzen würde. Der erste Augenblick war wirklich so schön, daß ich ihn möchte mahlen können. Eine sichtbare Freude, einander gerade so zu finden wie jedes sich das andere gedacht hatte, strahlte aus seinen schwarzen Augen und glänzte im Himmelblau der ihrigen. Man hätte eher denken sollen, sie erkannten einander nach einer sehr langen Trennung wieder, als sie sähen sich zum ersten Mahle. Von dieser ersten Stunde an, scheint, oder ist vielmehr ohne Zweifel, ihr Verhältniß zu einander auf immer entschieden. Keine Spur von Leidenschaft, nichts dem ähnliches, was man gewöhnlich Liebe oder Verliebtseyn nennt! Wer sie zum ersten Mahle beysammen sieht, hält sie für Zwillingsgeschwister, die mit einander aufgewachsen sind, und so natürlich zusammengehören, daß man sich keines ohne das andere denken kann. Bey allen Gelegenheiten zeigt sich eine so reine Zusammenstimmung ihrer Gemüther, ihres Geschmacks, ihrer Art die Dinge zu sehen und zu nehmen, daß sie ihre Seelen mit einander vertauschen könnten ohne es gewahr zu werden, oder daß wenigstens die Mannheit und Weibheit den einzigen Unterschied zwischen ihnen zu machen scheint. Natürlicher Weise fühlen sie sich also für einander bestimmt, und ohne sich noch ein Wort davon gesagt zu haben, werden in aller Stille die Anstalten zu der Feierlichkeit getroffen, welche sie zu einem der glücklichsten Paare, die sich je zusammen gefunden haben, machen wird. Dieß, lieber Antipater, ist das Neueste von Cyrene.

Aristipp sagt uns so viel Gutes von dir, daß wir dich (der kleinen Schäfergeschichte zu Ägina ungeachtet) deiner eigenen Führung getrost überlassen sehen. Du läufst nach einem schönen Ziel, Antipater. Dem Weisen ist nichts Einzelnes klein noch groß. Du bist, indem du dich deinem Vaterlande widmest, zu keiner schimmernden noch lärmenden Rolle berufen: aber wohl dem Staat, wohl den einzelnen Menschen, denen ihre Lage vergönnt, unbemerkt und unbeneidet glücklich zu seyn! Unsere Republik ist dermahlen in dieser Lage, und sie darin erhalten zu helfen, ist ein Geschäft, wofür selbst ein Themistokles und Perikles nicht zu groß wäre.


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