Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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III.
An Kleonidas.

Kaum bin ich einige Tage in Korinth, und schon hat mir meine leichtsinnige Unbefangenheit ein Abenteuer zugezogen, welches vielleicht Folgen von Bedeutung hätte haben können, wenn mir der Zweck meiner Reise einen längern Aufenthalt erlaubte.

Indem ich nach Vollendung einiger Geschäfte in den Straßen dieser großen und prächtigen Stadt umher irre, fällt mir eines von den vielen öffentlichen Bädern, womit sie versehen ist, in die Augen, dessen zierliche Bauart mir Lust macht, mich darin abzuwaschen. Ich gehe hinein, und da sich nicht gleich ein Aufwärter zeigt, öffne ich auf Gerathewohl eine der Badekammern und treffe gerade den Augenblick, da eine junge Frauensperson, die sich ganz allein darin befand, im Begriff war aus dem Bade zu steigen. Dieß war das erste Mahl in meinem Leben, daß ich vor einem schönen Anblick zusammenfuhr; gleichwohl weiß ich nicht wie es kam, daß ich, anstatt zurück zu treten, und die Thür, die ich noch in der Hand hatte, vor mir wieder zuzuziehen, sie hinter mir zumachte und meine Verlegenheit dadurch vermehrte. Die Dame, die bey meiner Erblickung plötzlich wieder untertauchte, schien sich an meiner Bestürzung zu ergetzen. »Wie? (sagte sie lachend, mit einer Stimme, deren Silberton meine Bezauberung vollendete) fürchtest du das Schicksal Aktäons, daß du vor Schrecken sogar zu fliehen vergissest? Da ich weder so schön wie Artemis noch eine Göttin bin, darf ich auch weder so stolz noch so unbarmherzig seyn wie sie. Du bist ein Fremder, wie ich sehe, und hast vermuthlich die Überschrift über der Pforte dieser Thermen nicht gelesen.

Während sie dieß sprach, hatte ich, was du mein unverschämtes Gesicht zu nennen pflegst, wieder gefunden, und erwiederte ihr, von einer so zuvorkommenden Anrede aufgemuntert: Da ich das Glück dieses Augenblicks bloß meiner Unwissenheit und dem Zufall zu danken habe, so wär' es in der That grausam, schöne Unbekannte, mich dafür zu bestrafen, nicht daß ich, wie Aktäon, zu viel, sondern daß ich gesehen habe was man nie genug sehen kann. Nur ein längeres Verweilen, versetzte sie mit einem einladenden Lächeln, würde dich strafbar machen, denn es ist Zeit, daß ich das Bad verlasse.

Indem sie dieß sagte, traten zwey junge Sklavinnen herein, die in zierlichen Körben alles, was zum Dienste des Bades erforderlich ist, auf ihren Köpfen trugen. Sie schienen verwundert einen Unbekannten hier zu finden, und hefteten ungewisse fragende Blicke bald auf mich, bald auf ihre Gebieterin. Was für eine Strafe, sagte die Dame, hat dieser junge Mensch verdient, für die Verwegenheit sich in ein fräuliches Bad einzudringen, das gewiß noch von keinem männlichen Fuße betreten worden ist? – Die gelindeste wäre wohl, ihn anzuspritzen und in einen – Hasen zu verwandeln, sagte die jüngere. Das wäre eine zu milde Strafe für ein so schweres Vergehen, versetzte die ältere; ich weiß eine andere, die dem Verbrechen angemeßner ist. Ich würde ihn dazu verdammen, so lange bis wir unsern Dienst verrichtet haben, hier zu bleiben, und dann die Thür hinter uns zuzuschließen. Meinst du? sagte die Dame, indem sie sich erhob, und, ihre in einen dicken Wulst über der Scheitel zusammen gebundene Locken auflösend, von einer Fülle bis unter die Kniee herab fallender gelber Haare, wie von einem goldenen Mantel, umflossen, aus dem Wasser stieg, und sich, eben so unbefangen als ob sie mit ihren Mägden allein wäre, abtrocknen und mit wohlriechenden Öhlen einreiben ließ. Und mich, schöne Gebieterin, sagte dein unverschämter Freund mit der ganzen edeln Dreistigkeit, die du an ihm beneidest, mich, den du in Einem Augenblick zu deinem Sklaven gemacht hast, wolltest du hier müßig stehen lassen? Erlaube mir, deinen Nymfen zu zeigen, daß ich geschickter bin als sie mir zutrauen; und indem ich dieß sagte, machte ich eine Bewegung, als ob ich einer der Mägde ein Tuch von der schneeweißesten Wolle, womit sie ihre Gebieterin abzureiben begriffen war, aus der Hand ziehen wollte. Aber die Dame warf mich mit einem zürnenden Blick auf einmahl wieder in die Schranken der Ehrfurcht zurück, die der Schönheit und dem Stande, von dem sie zu seyn schien, gebühren. Wenn du mein Sklave bist, sagte sie wieder lächelnd, sobald sie mich in gehöriger Entfernung sah, so erwarte schweigend meine Befehle und rühre dich nicht! Ich gehorchte wie einem wohlerzogenen sittsamen Jüngling zusteht, und erhielt dafür die zweydeutige Belohnung, daß man die Mysterien des Bades mit der größten Gelassenheit vollendete, ohne sich um meine Gegenwart, oder wie mir dabey zu Muthe seyn möchte, im geringsten zu bekümmern.

Als sie wieder angekleidet war, heftete die Dame im Weggehen einen ernsten Blick auf mich und sagte: Vergiß nicht, daß es dem Ixion übel bekam, sich kleiner Gunstbezeugungen der Götterkönigin zu rühmen! – und ohne meine Antwort zu erwarten, stieg sie in eine prächtige Sänfte, die von vier Sklaven schnell davon getragen wurde. Mir war, als ob ich aus einem Traum erwachte. Natürlich durft' ich es nicht wagen, ihr sogleich zu folgen; und wie ich mich wieder aus dem Badhause unbemerkt wegschleichen wollte, wurde ich von einem Aufwärter angehalten, der sich, nicht ohne Mühe, durch eine Handvoll neugeprägter Drachmen endlich überzeugen ließ, daß ich ein Fremder, und bloß aus Unwissenheit seit wenig Augenblicken hierher gerathen sey. Als ich mich wieder frey sah, war es zu spät, der Spur meiner Unbekannten nachzugehen, und ich kehrte, ungewiß was ich von meinem Abenteuer denken sollte, nach Hause. Die Dame schien nicht über achtzehn Jahre alt zu seyn, und ihre Gestalt hätte das Glück eines AlkamenesAlkamenes. Einer der größten Bildhauer, die aus der Schule des Fidias hervorgingen, ein Mitschüler und Rival des nicht weniger berühmten Agorakritos, der von seinem Meister so leidenschaftlich geliebt wurde, daß dieser, um ihm einen Nahmen zu machen, viele seiner eigenen Werke für Arbeiten seines Lieblings ausgegeben haben soll. (Denn dieß will Plinius ohne Zweifel mit den Worten sagen: ejusdem (Phidiae) discipulus fuit Agoracritus, ei aetate gratus; itaque e suis operibus pleraque nomini ejus donasse fertur.) Für das schönste unter den Werken des Alkamenes, welche noch zu Plinius und Lucians Zeiten in Athen zu sehen waren, erklärt der letztere (unstreitig ein elegans spectator formarum) eine in den sogenannten Gärten außer den Mauern von Athen aufgestellte Venus, welche über eine andere, vom Agorakritus zu gleicher Zeit mit ihm in die Wette gearbeitete, den Preis erhielt, und von so hoher Schönheit war, daß die Sage ging, Fidias selbst habe ihr die letzte Vollendung gegeben. Diese Sage konnte aber wohl keinen andern Grund haben, als die Meinung: Alkamenes könnte ein so vollkommenes Kunstwerk nicht ohne Beystand seines Meisters zu Stande gebracht haben. Sie zeugt also bloß für das große Talent des Alkamenes, und die vorzügliche Schönheit seiner Venus; denn daß Fidias wirklich die letzte Hand an sie gelegt habe, ist schlechterdings unglaublich, wenn die Anekdote von seiner außerordentlichen Vorliebe zum Agorakritus wahr ist. In diesem Falle würde Fidias sich beeifert haben, der Arbeit seines Lieblings den Vorzug zu verschaffen, und also das, was er für Alkamenes gethan haben soll, vielmehr zum Vortheil des Agorakritus gethan haben. Eine von diesen beiden Sagen (deren auffallenden Widerspruch der Römische Kompilator nicht zu bemerken scheint) muß also nothwendig grundlos seyn: und so ist es um die meisten, wo nicht um alle die Sagen beschaffen, die unter den Griechen über ihre vorzüglichsten Personen beiderley Geschlechts herumliefen. Das Schlimmste ist, daß beynahe alles vorgeblich Historische, was uns die alten Biografen, Anekdotensammler und Kompilatoren, Diogenes von Laerte, Athenäus, Suidas u.s.w. von diesen Personen erzählen, aus solchen Sagen besteht, welche größtentheils aus der unreinen Quelle der alten Komödien- und Sillen–Schreiber geflossen zu seyn scheinen. machen können, wenn ihn der Zufall so wie mich begünstiget hätte. War sie eine Hetäre von der ersten Klasse, die zu Korinth unter Afroditens Schutz einer Freyheit und Achtung genießen, welche ihnen in keiner andern Griechischen Stadt zugestanden werden? Oder war es eine junge Frau von Stande, die im Bewußtseyn ihrer Reitzungen sich eine muthwillige Lust daraus machte, einen Unbekannten für seinen jugendlichen Übermuth auf eine neue, wollüstig peinliche Art büßen zu lassen? Das letztere schien mir, allen Umständen nach, das Wahrscheinlichste. Indessen trieb mich doch, ich weiß nicht welche Unruhe, an diesem Abend in allen öffentlichen Spaziergängen herum, wo die Hetären der höhern Ordnung sich gewöhnlich, von ihren Liebhabern umschwärmt, oder von einem Zuge geputzter Mägde und Eunuchen begleitet, mit vielem Prunke zu zeigen pflegen. Aber ich sah mich vergebens unter ihnen nach meiner Anadyomene um, und eine schlaflose Nacht war alles, was ich von meinen Nachforschungen davon trug. Am folgenden Morgen, wie ich vom Lechäischen Hafen zurück kehrte, glaubte ich eine von den beiden Sklavinnen aus einem kleinen Myrtengehölz am Wege auf mich zukommen zu sehen. Wir erkannten einander ersten Blicks; nur zeigte sichs, daß die Korintherin meinen Nahmen besser ausgekundschaftet hatte als ich den ihrigen. Sie grüßte mich beym Nahmen, und erkundigte sich lachend, wie dem unbefugten Epopten der Vorwitz, zu sehen was er nicht sollte, bekommen sey? Wir wissen, wie du siehest, alle deine Gänge, fuhr sie fort, und meine Gebieterin, welcher nicht unbekannt ist, daß du morgen abzureisen gedenkest, schickt mich zu dir, ein kleines Denkzeichen des gestrigen Zufalls von ihr anzunehmen. Es war ein zierlich geflochtnes Deckelkörbchen von Silberdraht, worin eine ihrer goldgelben Haarlocken, mit einer Schnur von kleinen Perlen umwunden, lag. Du kannst dir leicht vorstellen, Kleonidas, daß ich alle meine Wohlredenheit aufgeboten haben werde, den Stand und Nahmen der Dame zu erfahren, und die dienstbare Iris zu gewinnen, daß sie mir eine Gelegenheit auswirken möchte, ihr meinen Dank in eigner Person zu Füßen zu legen. Ich ging so weit, daß ich bey allen Liebesgöttern betheuerte, meine Reise nach Olympia einzustellen, wenn ich hoffen könnte, einer so großen Gnade gewürdiget zu werden. Aber die lose Dirne spottete meiner vorgeblichen Leidenschaft, mit der Versicherung, daß man sich nur desto mehr vor mir hüten würde, wenn sie ungeheuchelt wäre, und daß alle meine Bemühungen, ihre Gebieterin wieder zu sehen, vergeblich seyn würden. Alles was ich mit vielem Bitten und einem kleinen Beutel voll Dariken von ihr erhielt, war ein Versprechen, daß sie sich diesen Abend an einem gewissen Ort einfinden wollte, um eine unbedeutende Kleinigkeit für ihre Dame in Empfang zu nehmen, wodurch ich auch mein Andenken bey ihr lebendig zu erhalten wünschte. Sie sagte mirs zu, aber ich erwartete sie vergebens.

Was dünkt dich von dieser närrischen Begebenheit, Kleonidas? – Für mich ist sie denn doch nicht ganz so unbedeutend als sie scheint; und da ein weiser Mann alles in seinen Nutzen zu verwandeln wissen soll, so denke ich einen zweyfachen Vortheil aus ihr zu ziehen. Der erste ist, daß ich mich vor der Hand ziemlich sicher halten kann, daß die Erinnerung an meine reitzende Unbekannte nur sehr wenigen Schönen gestatten wird, einigen Eindruck auf mich zu machen; der zweyte, daß ich, vorausgesetzt ich könne das, was ich bey dieser Gelegenheit erfahren habe, als einen Maßstab meiner Empfänglichkeit für leidenschaftliche Liebe annehmen, – große Ursache habe zu hoffen, daß ich weder meinen Verstand noch meine Freyheit jemahls durch ein schönes Weib verlieren werde.


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