Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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XXVIII.
Kleonidas an Aristipp.

Du bist bereits benachrichtiget, lieber Aristipp, daß es bey uns endlich zu einem Ausbruch gekommen ist, wobey die Oligarchen den Sieg erhalten haben. Möchten sie, da es nun einmahl unser Schicksal ist, sich dessen nur mit Mäßigung bedienen! Aber noch stürmen die Leidenschaften von allen Seiten zu wild, um der Humanität, ja nur der Klugheit, die ihren eigenen Vortheil kaltblütig berechnet, Gehör zu geben.

Die Eintracht unsers Triumvirats ist von kurzer Dauer gewesen. Ariston, der freygebigste und popularste unter ihnen, hat (wie man sich ins Ohr sagt) Mittel gefunden, seine beiden Kollegen mit guter Art auf die Seite zu schaffen. Sie wurden bey einem öffentlichen Opfer von drey seltsam verkleideten Banditen angefallen, und mit einigen Dolchstichen ermordet. Beide waren ihrer Raubgier und Grausamkeit wegen so verhaßt, daß niemand ihr Schicksal bedauerte. Ariston selbst, sagt man, sollte das dritte Schlachtopfer seyn; er wurde aber glücklicher Weise von deinem Bruder Aristagoras und etlichen andern gerettet, bevor der ihm zugedachte dritte Dolch seine Brust erreichen konnte. Die Mörder, die sich (nach ihrem eignen freyen Geständniß) aus bloßem Patriotism zu dieser That verschworen hatten, wurden ohne Widerstand in Verhaft genommen, und in die engeste Verwahrung gebracht. Wie es aber auch zugegangen seyn mag, als sie am folgenden Morgen zum Verhör abgehohlt werden sollten, fand man das Gefängniß leer, und die Vögel waren sammt dem Kerkermeister ausgeflogen. Du kannst leicht denken, daß verschiedlich über diese Geschichte glossiert wird. Indessen benutzte Ariston die Schwärmerey, womit das Volk an seiner Gefahr und Erhaltung Antheil nahm, und ließ sich unverzüglich, vermöge des Rechts seiner Großmutter, die von einer Seitenlinie der Battiaden abstammt, unter dem wildesten Zujauchzen und Frohlocken des herbeyströmenden Pöbels zum König von Cyrenaika ausrufen. Prächtige Feste und öffentliche Lustbarkeiten bezeichneten die ersten Tage seiner Regierung, und machten mit den Hinrichtungen und Proskripzionen des verhaßten Triumvirats einen sehr auffallenden Kontrast. Ariston schien dadurch (in der raschen Meinung des Volkes wenigstens) von allem Antheil an jenen Greueln losgesprochen zu werden, und seinen Mitbürgern unter einer milden Regierung goldne Zeiten zuzusichern. Vermuthlich zu diesem Ende hat er, wie es heißt, die Sorgen der Staatsverwaltung deinem Bruder und einigen andern, die sich damit beladen wollten, überlassen, und er scheint nichts Angelegneres zu haben, als sich mit allen Arten von Genüssen, die ihm die wirkliche Gewalt verschaffen kann, so schnell als möglich zu überfüllen. Wohl mög' es ihm bekommen, sag' ich; zweifle aber sehr daß ich wahr gesagt habe. Dein Vater, der an dieser raschen Umkehrung der Dinge kein sonderliches Wohlgefallen haben soll, hat sich, unter dem Schutze seines hohen Alters, auf sein Landgut zurückgezogen, und scheint alle Wünsche, wozu ihn die gegenwärtigen Verhältnisse berechtigen, auf die Freyheit und Ruhe, die in seinen Jahren so wohlthätig sind, oder (wie er selbst sich ausdrückt) auf die Erlaubniß im Frieden auszuleben, beschränkt zu haben. Ich besuche ihn öfters; er scheint mich gern zu sehen, weil ich ihm immer etwas angenehmes von dir zu erzählen weiß.

Ich danke den Göttern, daß ich zu unbedeutend bin, um in diesen gefährlichen Zeitläufen eine Rolle spielen zu müssen, und nicht ehrgeitzig oder unruhig genug, um etwas bedeuten zu wollen. Meine Familie ist durch die goldene nie genug gepriesene Mittelmäßigkeit vor Neid und Raubgier gleich gesichert; und so lange wir uns, wie bisher, des Schutzes deines edeln Bruders erfreuen können, ist der Antheil, den wir an der allgemeinen Ruhe des Vaterlandes nehmen, das einzige was die unsrige stören kann. Leider fehlt noch viel, daß wir uns der Hoffnung beßrer Zeiten frohen Muthes überlassen dürften. Die demokratische Partey ist noch nicht gedämpft, und unsre dermahlige Regierung, zu sehr mit der innern Polizey beschäftigt, scheint den Bewegungen ihrer Feinde mit einer Gleichgültigkeit zuzusehen, die ich mir nicht wohl erklären kann. Gewiß ist, sie muß ihre Ursachen dazu haben; ungewiß, ob der Ausgang sie rechtfertigen wird.


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