Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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XXXV.
Aristipp an Lais.

Ich vernehme von unserm Freund Learch, liebe Lais, daß du Anstalten machest, Korinth zu verlassen und deinen künftigen Wohnsitz in dem reitzenden Thessalien aufzuschlagen.

Auch mir schweben noch so angenehme Erinnerungen von dem zauberischen Tempe und andern anmuthigen Ufergegenden des Peneus vor, daß ich deine Vorliebe zu dem Vaterlande der ältesten und schönsten Mythen der Griechen nicht mißbilligen kann.

Aber, wenn die Wünsche deiner Freunde Kleonidas und Aristipp, von den freundlichsten Einladungen deiner Musarion und ihrer Schwester Kleone unterstützt, etwas bey dir vermöchten; wenn du bedenken wolltest, wie glücklich du uns alle durch deinen Besuch machen, und wie vergnügte Tage du selbst (wie wir uns schmeicheln) in unsrer Mitte leben könntest: so wirst du es für keine Zudringlichkeit halten, wenn wir dich bitten, die Reise nach Thessalien – nicht aufzugeben, nur ein einziges Jahr aufzuschieben, und dieses Jahr deinen Freunden in Cyrene zu schenken, die sich beeifern würden, dich für das Opfer, das du ihnen dadurch brächtest, so viel ihnen nur immer möglich wäre zu entschädigen. Cyrene ist seit einigen Jahren eine Art von Athen geworden, friedsamer, ruhiger, und vielleicht sogar gastfreundlicher als jenes Attische; und es hätte dir, um nicht zu viel zu sagen, wenigstens für ein Jahr Stoff und Gelegenheit zu den angenehmsten Unterhaltungen überflüssig anzubieten. Du würdest, nach deinem Gefallen, entweder in meinem Hause in der Stadt oder auf meinem nahe bey Cyrene gelegenen Landsitze, oder wechselsweise bald in dem einen bald in dem andern wohnen, und in jenem einen kleinen Tempel der Kunst, in diesem sogar eine Art von Akademie zu deinem Gebrauch haben. In beiden ist alles schon zu deinem Empfang bereit; und wer es auch sey, den du zum Begleiter wählen wirst, er soll die Aufnahme eines Bruders finden, und uns desto werther seyn, je näher er dem Herzen unsrer Freundin ist.

Laß mich den Schmerz nicht erfahren, beste Lais, mein Vertrauen auf deine Freundschaft getäuscht zu sehen, und nimm inzwischen, als ein Unterpfand unsrer Gesinnungen für dich, das kleine Xenion freundlich an, wodurch Musarion und Kleone dir ihre Dankbarkeit zu zeigen wünschen, und womit sie dich (wenn du ihre Freude vollkommen machen willst) bey deiner Ankunft in Cyrene geschmückt zu sehen hoffen.

Du siehst wir rechnen so sehr auf deine Großmuth, daß wir es gar nicht für möglich halten, eine Fehlbitte bey dir gethan zu haben.


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