Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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XXV.
Musarion an Lais.

Ich habe einen Augenblick, aber auch nur einen Augenblick, bey mir angestanden, liebste Freundin, ob ich diesen Brief an dich abgehen lassen sollte: denn wie könnt' ich besorgen, daß Lais in das Herz ihrer liebenden dankbaren Pflegetochter einen Zweifel setzen werde? Gewiß, gewiß macht es dir Freude, wenn ich dir melde, daß ich, die bisher durch meinen, aus deiner Hand erhaltenen Kleonidas die glücklichste der Weiber war, gleichwohl nahe daran bin, durch die Verbindung unsers Aristipps mit der einzigen Schwester meines Mannes, einem sehr liebenswürdigen, guten und talentvollen Mädchen, noch glücklicher zu werden.

Ich glaube nicht, daß außer Kleonidas und mir selbst jemahls zwey so genau zusammen passende Hälften einander gefunden haben, wie Aristipp und Kleone. Das Schönste dabey ist, daß sie einander so herzlich gut sind und so inniges Wohlgefallen an einander haben, ohne daß man die geringste Spur der brausenden, schwärmerischen und (mit Aristipp zu reden) tragikomischen Leidenschaft, die man gewöhnlich Liebe nennt, an ihnen gewahr werden kann. Sie lieben einander, scheint es, wie Leib und Seele; durch ein stilles, tiefes, svmpathetisches Gefühl, daß sie zusammen gehören, und nicht ohne einander bestehen können. Welch ein seliges Leben werden diese zwey mit so vielen Vorzügen, jedes in seiner Art, begabte, so edle, so gute Menschen in der günstigen Lage, worein das Glück sie gesetzt hat, zusammen leben! Meine Schwester Kleone besitzt ein sehr hübsches Vermögen, und Aristipp ist (wie du gehört haben wirst) durch die Erbschaft von seinem mütterlichen Oheim einer der wohlhabendsten Bürger von Cyrene geworden. Sie können, bey einer wohlgeordneten Wirthschaft, ohne sich mehr als recht ist einzuschränken, völlig nach ihrem Geschmack und Herzen leben, und werden, dem Genuß nach, reicher seyn, als manche andere mit drey Mahl größern Einkünften. Dieß, liebste Lais, gilt auch von mir und Kleonidas, ob wir schon nicht so reich sind als Aristipp.

Du weißt nur zu wohl, meine gütige Freundin, daß ich kein Talent zum Schreiben habe. Möchtest du doch, in Person gegenwärtig, dich an unserm Glück ergetzen können! Warum müssen Länder und Meere uns trennen, uns, die, dem Gemüthe nach, so nahe beysammen sind! Könnte denn das nicht anders seyn? – Doch, wenn du nur glücklich bist, sey es immerhin auf deine eigene Weise! Bist du es wirklich, Liebe, so sage mir ein Wort davon und ich bin zufrieden.

Etwas sehr artiges muß ich dir doch noch erzählen, woraus du dir selbst eine bessere Idee von Kleone zu machen wissen wirst, als eine so ungeübte Schreiberin, wie ich, dir geben könnte.

Kleone hat von ihrem Bruder in den vier bis fünf Jahren, seit sie bey uns gelebt hat, sehr artig mahlen gelernt. Kleonidas behauptet sogar, sie übertreffe ihn noch in der Kunst, einem Bilde gleichsam Seele zu geben, so daß es einen ordentlich anzusprechen scheint; aber das kann ich ihm unmöglich eingestehen. Genug sie mahlt sehr sehr artig, das sagt jedermann; und so überschlich er sie einst, da sie in einer Gartenlaube allein zu seyn glaubte, und an einem kleinen Bilde arbeitete. Kleonidas machte sich unbemerkt wieder fort, ging in sein Arbeitszimmer und setzte sich auf der Stelle hin seine Schwester zu mahlen, wie er sie in der Gartenlaube gesehen hatte, mit einer kleinen Tafel auf den Knieen und einem Pinsel in der Hand, ein wenig mit dem Oberleib zurückgebogen, als ob sie das, was sie eben gemahlt hatte, mit großem Vergnügen betrachtete. Kleone sollte nichts davon wissen; aber das schlaue Mädchen kam, ich weiß nicht wie, dahinter, stahl sich in Abwesenheit ihres Bruders in sein Zimmer, mahlte auf das Täfelchen, das sie im Bilde auf den Knieen hatte, den Kopf Aristipps (nach einer Zeichnung, die mein Mann ehmals von ihm gemacht hat) und überzog ihn, nachdem er trocken geworden war, mit einer leichten Kreidenfarbe, so daß Kleonidas keine Veränderung gewahr wurde, und das Gemählde mit zwey oder drey andern von seiner Arbeit an Aristippen nach Athen abgehen ließ. Dieses Gemählde hängt jetzt in Aristipps Kabinett, einem Ruhebettchen gegen über, und ist, weil es Kleonen zum Sprechen gleicht, sein Lieblingsstück. Drey oder vier Wochen nach ihrer Vermählung kommen sie von ungefähr vor diesem Bilde zusammen, und Aristipp hat seine Freude dran, es Zug vor Zug mit der gegenwärtigen Kleone zu vergleichen. Das vermuthest du wohl nicht, Aristipp, sagt sie lächelnd, daß dieses Bild eine Liebeserklärung ist? – »Wie so, Kleone?« Statt der Antwort ging sie, hohlte einen wollenen Lappen, wischte die trocknen Farben auf dem Täfelchen, das sie auf den Knieen hat, weg, und siehe! – da kommt Aristipps Kopf, so wohl getroffen daß er sich unmöglich mißkennen kann, zum Vorschein, und zeigt sich als den Gegenstand der gefühlvollen Miene, womit die junge Mahlerin ihn zu betrachten scheint. Hätte sie Aristippen auf eine angenehmere Art überraschen können als mit einem so schmeichelhaften Bekenntniß?

Vergieb mir, beste Lais, eine Plauderhaftigkeit, worein man so leicht verfällt, wenn man von geliebten Personen spricht. Ich kann eben so wenig fertig werden, wenn ich Kleonen von Dir spreche; von Dir, in welcher Aristipp und Kleonidas, jener durch Beschreibung, dieser durch die Darstellung selbst, sie das herrlichste aller lebenden Bilder der Göttin der Schönheit und ihrer Grazien kennen und verehren gelehrt haben. Unter uns gesagt, liebe Lais, das einzige Bild in Kleonens Kabinett, ebenfalls dem Ruhebette gegen über, ist das deinige, ohne dein Wissen (denke ich) von Kleonidas nach der Bildsäule des Skopas (aber mit Farben, versteht sich) gemahlt. Sie hat sichs ausdrücklich von Aristippen ausgebeten.


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