Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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ER. Soll ich dir die reine Wahrheit gestehen? Ich wußte damahls noch so wenig von dem ehrlichen Sokrates, daß mir sogar sein vertrauter Umgang mit dem jungen Alcibiades unbekannt war, bis mir der Fall meines Stücks Gelegenheit gab, gelehrter über diesen Punkt zu werden. Ich hatte ihn nur selten in der Nähe gesehen und nicht für bedeutend genug gehalten, ihm genauer nachzufragen; das meiste, was ich von ihm wußte, war von zufälligem Hörensagen. Aus seinem öftern Umgang mit den Sofisten, welche Perikles nach Athen gezogen hatte, schloß ich, daß er selbst von ihrer Kunst Profession mache. Ich glaubte damahls wie viele andere, und glaub' es noch, daß diese kunstreichen Leute, die sich dafür ausgaben, daß sie Schwarz zu Weiß und Recht zu Unrecht machen könnten, einen schädlichen Einfluß auf unsre Jugend hätten, und also dem Staate selbst gefährlich wären. Nun gehört es, wie du weißt, zum Beruf eines Komödiendichters bey uns, Leute dieser Art dem Volk auf der Schaubühne in unsrer eignen Manier zu denunzieren; und ich für meinen Theil hatte mir, von der Zeit an, da ich mich der komischen Muse widmete, zu meinem besondern Zweck vorgesetzt, meinen Stücken eine politische Richtung auf die Verwaltung und den Zustand der Republik überhaupt zu geben, und mich dadurch von meinen Vorgängern zu unterscheiden, die ihren stolzesten Wunsch erfüllt sahen, wenn ihnen ein wieherndes Gelächter aus allen Bänken des Theaters entgegen schallte, und die ihre Pritschenhiebe den einzelnen Personen, denen sie zum Spaß oder aus bösem Willen zu Leibe wollten, nur im Vorbeygehen auszutheilen pflegten. In der That war ich der erste, der den Muth hatte, nicht nur einen Mann des Volks, wie Kleon, in Person auf die Bühne zu stellen, und ohne alle Schonung und Barmherzigkeit zu behandeln, sondern sogar den Heliasten, dem Senat, den Prytanen, ja dem suveränen Volke selbst die derbesten Wahrheiten ins Gesicht zu sagen. Ich hatte dieß in den Rittern so weit getrieben, daß es mir aus mehr als Einem Grunde rathsam schien, in meinem nächsten Stücke einen andern Weg einzuschlagen, meine Geißel gegen eine andere, für mich weniger gefährliche Gattung von Menschen zu führen, und aus dem häuslichen Leben einen Stoff zu wählen, der mir Gelegenheit gäbe, die Nachtheile der neumodischen Erziehung und den verderblichen Einfluß der Sofisten auf die Denkart und Sitten der Alten und Jungen in Athen nach meiner Weise darzustellen. Dieß, Aristipp, war's im Grunde, was ich mit den Wolken beabsichtigte, und wer sie für eine Personalsatire auf den guten Sokrates ansieht, hat meine Meinung und Absicht ganz unrecht gefaßt. Ich kannte den Mann, wie gesagt, zu wenig dazu, und er war keine so wichtige Person in meinen Augen, daß ich für nöthig gehalten hätte, nun auch an ihm zu thun, was ich ein Jahr zuvor an Kleon gethan hatte. Auch sollt' es, denke ich, aus der ganzen Anlage des Stücks in die Augen fallen, daß es mit der komischen Person, der ich seinen Nahmen gab, bloß darauf abgesehen war, aus den stärksten Karakterzügen eines abgeschmackten Pedanten, eines sofistischen Taschenspielers, und eines armen Schluckers, ein Zerrbild zusammen zu setzen, womit ich die ganze löbliche Sofisten-Innung der unverdienten Achtung, worin sie bey den Unwissenden steht, verlustig machen könnte. Übrigens läugne ich nicht, daß die Verachtung, welche Sokrates (wie mir gesagt wurde) bey allen Anlässen gegen die neuern Komödiendichter und ihre Werke äußerte, natürlicher Weise mit ins Spiel kam, und daß ich es für meine Schuldigkeit hielt, ihm bey dieser Gelegenheit im Nahmen der ganzen Brüderschaft unsre Dankbarkeit zu beweisen.

ICH. Bey dem allen kann ich – verzeihe meiner Freymüthigkeit! – nicht anders als beklagen, daß, da es dir nur um ein Zerrbild zu thun war, gerade ein so tugendhafter und ehrwürdiger Mann wie Sokrates seinen Nahmen und seinen guten Ruf dazu hergeben mußte.

ER. Vielleicht kann ich deinen Schmerz durch ein paar kleine Betrachtungen lindern, die auch wohl nebenher zu meiner Rechtfertigung dienen mögen. Ich finde sehr natürlich, daß dir Sokrates, den du erst in seinem sechs oder sieben und sechzigsten Jahre kennen gelernt hast, so ehrwürdig vorkommt. Aber bedenke, daß er seit der Zeit, da ich mir die Freyheit nahm ihn auf die komische Bühne zu stellen, um ganze zwey und zwanzig Jahre älter, weiser und respektabler geworden ist. Man hält einem alten Manne manches zu gut, was man ihm vor zwanzig Jahren nicht zu übersehen schuldig war. Damahls war man manches noch nicht an ihm gewohnt, und es kleidete ihn vielleicht auch nicht so gut als jetzt. Er trug z. B. die Nase immer höher als andere, schaute über die Leute weg ins Blaue hinaus, beunruhigte jeden, der ihm in den Wurf kam, durch unerwartete kleine Fragen, und wenn sich einer in den Antworten, die er ihm treuherzig gab, zuletzt so verfangen hatte, daß er sich nicht mehr zu helfen wußte, ging er lachend davon.

ICH. Das that er, um etwa einen jungen von sofistischem Wind aufgeblasenen Jüngling zum Gefühl seiner Unwissenheit zu bringen. Ich weiß, daß ihm dieses Mittel bey verschiedenen gelungen ist. Der schöne Euthydem z. B. den er dadurch beynahe zur Verzweiflung brachte, ist jetzt einer seiner eifrigsten und lehrbegierigsten Anhänger.Die besondern Umstände dieser Anekdote sind in Xenofons Sokratischen Denkwürdigkeiten, im zweyten Kapitel des vierten Buchs, ausführlich zu lesen.

ER. Das mag seyn. Aber dafür giebt es Hundert gegen Einen, denen diese neue Methode, die Leute durch Schrauben und Necken weiser zu machen, nicht ansteht; und ich finde nichts natürlicher, als daß sie ihm den Ruf eines spitzfindigen, einbildischen, streitsüchtigen und beschwerlichen Menschen zuzog. Dazu kam denn noch, daß sein Äußerliches und der kurze, öfters ziemlich schmutzige Mantel, der gewöhnlich seine ganze Garderobe ausmachte, wenig dazu beytragen konnte, denen, die ihn nicht genauer kannten, eine große Ehrfurcht für seine Person einzuflößen. Mit Einem Wort, er gab den Spöttern und Lachern, und das ist so viel als neun Zehnteln unsrer Attischen Autochthonen, zu vielerley Blößen, als daß wir Komiker seiner hätten schonen dürfen; und du wirst mir daher auch keinen meiner Kunstverwandten nennen können, der sich nicht bey jeder Gelegenheit, mehr oder weniger, über ihn lustig gemacht hätte.

ICH LACHEND. Ihr seyd in der That gefährliche Leute; da ein Sokrates nicht sicher vor euch war, wer darf hoffen eurer Pritsche zu entgehen?

ER. Das soll auch niemand hoffen. Man hört wohl, daß du ein Ausländer bist, Aristipp; du nimmst die Sache gar zu tragisch. Bey uns lachen die Getroffenen oft am lautesten; die meisten stecken ihre Hiebe stillschweigend ein; ja, ich versichre dich, Hyperbolus und seines gleichen wußten es uns sogar Dank, daß wir ihnen eine Art von Celebrität verschafften, und bey unsern Matrosen, Abladern, Sackträgern, Wurstmachern und Salzfischhändlern die Meinung erregten, als ob sie Leute von Bedeutung wären, da ihnen eine Ehre von uns wiederfuhr, die gemeiniglich nur Einem Perikles, Lamachus, Kleon, Nicias, Alcibiades und andern dieses Schlages erwiesen wurde. Ihr andern Fremden könnt euch nicht vorstellen, wie wenig die Satire bey uns einem Manne, der nicht ohne allen Werth ist, Schaden thut; besonders hat unser Volk seine Freude daran, wenn seinen Günstlingen recht übel von den Komikern mitgespielt wird. Es ist ihnen gesund, denkt mein grillenhafter, griesgrämischer, kindischer alter Kautz von DemosAnspielung auf den Karakter, welchen Aristofanes in seinen Rittern dem unter dem Nahmen Demos personificierten suveränen Pöbel zu Athen beygelegt, besonders auf die Verse im ersten Akt, welche ich für diejenigen, die das Original selbst nicht lesen können, aus meiner Übersetzung (im zweyten Buch des Attischen Museums) hierher setze. Demosthenes und Nikias sagen den Zuschauern:

Uns beiden ward ein ziemlich seltsamer
Patron zu Theil, ein sauertöpfischer
Heißgrät'ger Mann, der sich mit Bohnen füttert,
Viel Galle macht, auch etwas übel hört,
Kurz, ein gewisser Demos aus dem Pnyx,
Ein grilliger, griesgräm'ger, alter Kautz.
, es ist ihnen recht gesund, wenn sie die Geißel immer über ihrem Rücken schweben sehen; und hab' ich es doch immer in meiner Gewalt sie zu entschädigen, wenn ihnen zu viel geschieht. So wurde z. B. der berüchtigte Kleon, bald darauf, nachdem ihn meine Ritter auf eine wirklich grausame und nie erhörte Art mißhandelt hatten, zum Oberfeldherrn gegen die Spartaner erwählt; und bedarf es wohl eines stärkern Beweises, wie unschädlich das Salz ist, womit wir unsre Mitbürger zu ihrem eigenen und dem gemeinen Besten reiben, als daß Sokrates seit mehr als fünf Olympiaden ungestört sein Wesen unter uns treibt, und an Ansehen und Ruhm zu Athen, und allenthalben wo unsre Sprache gesprochen wird, von Jahr zu Jahr zugenommen hat? Was ihm auch in der Zukunft noch begegnen könnte, immer bleibt gewiß, daß die Wolken keine Schuld daran haben, da ihm in einer so langen Zeit nicht ein Haar um ihrentwillen gekrümmt wurde.

ICH. Und was könnte denn dem besten aller Menschen, die ich kenne, noch Übels begegnen? Wohin müßte es mit euch Athenern gekommen seyn, wenn das untadeligste Leben, die reinste Tugend, und die größten Verdienste um seine Mitbürger einem Manne von seinen Jahren kein ruhiges und glückliches Ende zusicherten?

ER. Mein guter Aristipp, Unschuld, Tugend und Verdienste schützen weder zu Athen noch irgendwo vor dem Hasse der Bösen, dem guten Willen der Thoren, und den Gruben, in die uns unsre eigne Sorglosigkeit fallen macht. Überdieß denken nicht alle Athener so günstig von ihm wie du. Sokrates lebt, spricht, und beträgt sich in Allem wie ein freyer, aber nicht immer wie ein kluger Mann. Er hat sich durch seine Freymüthigkeit Feinde gemacht; er verachtet sie, und geht ruhig seinen Weg. Ich bin keiner von seinen Feinden; aber wenn ich einer seiner Freunde wäre, so würde ich ihn bitten auf seiner Huth zu seyn.«

Diese Rede machte mich stutzen, wie du denken kannst: aber ich konnte meinen Mann nicht dahin bringen sich näher zu erklären; er wich mir immer durch allgemeine Formeln aus, und ein Dritter und Vierter, die sich zu uns gesellten, lenkten das Gespräch auf andere Gegenstände.

Wie ich den Sokrates kenne, würde es zu nichts helfen, wenn ich ihm etwas von dem Inhalt meiner Unterredung mit dem Komiker, den er weder liebt noch achtet, mittheilen wollte; und über eine Bitte, auf seiner Huth zu seyn, würde er lachen. Niemand weiß besser als er selbst, wie unzuverlässig die Gemüthsart der Athener ist, und daß es unter seinen Mitbürgern Leute giebt, die ihm übel wollen, wiewohl keiner von ihnen auftreten und sagen kann: Sokrates hat mir jemahls Unrecht gethan. Er weiß, daß er Feinde hat: aber, (wie der Komiker sagte) er verachtet sie und geht seinen Weg. Ich erinnere mich, daß einst in einem kleinen vertrauten Kreise der unerschütterlichen Festigkeit erwähnt wurde, womit Sokrates, als damahliger Vorsteher der Prytanen, sich der Wuth des Volks, bey dem gesetzwidrigen Verfahren gegen den Admiral Diomedon und seine Kollegen, entgegen gestellt hatte. Das Gespräch fiel unvermerkt auf die Unmöglichkeit, daß ein Staatsbeamter in einer Demokratie, bey einer ausdauernden Beharrlichkeit auf seiner Pflicht, dem Haß und der Verfolgung, die er sich dadurch zuzöge, nicht in kurzer Zeit unterliegen sollte. Es ist traurig, sagte Kriton, sich gegen seinen alten Freund wendend, sichs nur als möglich zu denken, daß ein rechtschaffner Mann, gerade deßwegen, weil er rechtschaffen ist, Feinde haben soll. Da es nun aber nicht anders ist, versetzte Sokrates, was soll es uns kümmern? Das ärgste, das sie uns zufügen können, ist doch nur, daß sie uns dahin versetzen, wo wir nichts mehr von ihnen zu leiden haben werden.

Gestehe, Kleonidas, Sokrates ist ein herrlicher Mann! Ich fühle dieß zuweilen so lebhaft, daß ich – Sokrates seyn möchte, wenn mirs möglich wäre etwas anders zu seyn als dein Aristipp.


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