Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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XI.
An Lais.

Der arme Kleombrot – gute Laiska! – doch, du hast eine starke Seele, meine Freundin, ich schone dich nicht. Hier ist sein Abschiedsbrief, und hier das Buch, das ihm den letzten Stoß gegeben hat – den Stoß, der ihn von einem Felsen des Ambrazischen Ufers in die Wellen stürzte. Der arme Jüngling! Er war eines bessern Schicksals werth, und verdiente diesen kaltblütigen hämischen Dolchstoß von der Hand eines ehemahligen Freundes nicht! – Ich gestehe dir, Lais, ich bin aufgebracht über diesen stolzen Abkömmling Poseidons.Plato stammte aus einem Patrizischen Geschlechte in Athen. Dropides, ein Bruder des Athenischen Gesetzgebers Solon, war der Ältervater der Mutter Platons; Dropides stammte in gerader Linie von Kodrus, dem letzten Könige von Athen, und Kodrus war in der fünften Generazion ein Abkömmling von dem Könige von Pylos und Vater Nestors, Neleus, einem vorgeblichen Sohne Poseidons oder Neptuns, (nach Plutarch und Diogenes von Laerte.) Dieser Genealogie zu Folge nennt hier Aristipp den Plato ein wenig naserümpfend einen Abkömmling Poseidons. »Es hieß sie wären in Ägina.« – Und wo war denn er? – Plato war krank, sagt' er. – Sonderbar genug! Er mußte also sehr krank, schlechterdings unvermögend seyn, sich von seinem Lager zu erheben, oder er hätte kommen sollen, und wenn er sich auch, gegen das Verbot seines Arztes, in einer Sänfte nach dem Kerker hätte tragen lassen müssen. Oder war er etwa nur krank, um desto mehr Freyheit zu haben, den sterbenden Weisen sagen zu lassen was ihm beliebte? Wirklich kann man sich eines solchen Argwohnes kaum erwehren, wenn man sieht, wie er den ehrlichen Sokrates noch in seinen letzten Stunden seine Freunde in den verschlungensten Irrgängen der subtilsten Dialektik herumtreiben läßt, und welche Mühe der gute alte Mann sich geben muß, die simpelsten Dinge in unauflösliche Knoten zusammen zu drehen, bloß damit der scharfsinnige Sohn des Ariston sich den Spaß machen könne, sie entweder wieder aus einander zu wickeln oder zu zerschneiden, und seine Stärke in der eristischen Vexierkunst vor den Athenern, den großen Liebhabern von Hahnen- und Sofistenkämpfen, auszulegen. – Ich merke, liebe Laiska, daß ich zu verstimmt bin, um dich, wenn ich so fortfahre, nicht sehr übel zu unterhalten: also lebe wohl, du Einzige, und vergiß der Abwesenden nicht.


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