Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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XXI.
Antipater an Diogenes.

Anstatt Aristippen mit diesem Briefe an dich zu belästigen, würde ich ihn selbst nach Korinth begleitet haben, wenn meine rhetorischen Übungen bey Isokrates mich nicht an die Minervenstadt fesselten.

Du wirst aus seinem eignen Munde vernehmen, daß er bloß nach Korinth gekommen ist, um von seinem und deinem Freund Learchus Abschied zu nehmen, und nach unsrer glücklichen Vaterstadt zurück zu kehren, wohin ich mir nicht eher erlauben werde ihm zu folgen, bis ich mir bewußt bin, die Ausbildung unter den Griechen erhalten zu haben, die mich am geschicktesten machen kann, meinen Mitbürgern einst in öffentlichen Geschäften nützlich zu seyn. Diejenige Gattung von Beredsamkeit, worin Isokrates alle seine Mitwerber hinter sich läßt, die Kunst das Vertrauen und die Beystimmung der Zuhörenden mehr durch klare, leicht faßliche und zierliche Entwicklung der Sache zu gewinnen, als ihrer Einbildungskraft durch ein magisches Farbenspiel und eine künstlich verfälschende Beleuchtung nachzustellen, oder die Gemüther durch einen Strom von Bildern, Redefiguren und leidenschaftlichen Ergießungen mit sich fortzureißen, – ich sage, diese Gattung von Beredsamkeit, der es mehr um Wahrheit als Schein, mehr um Überredung als Überwältigung, aber weniger um Überredung als Überzeugung des Zuhörers zu thun ist, scheint für Republiken wie Cyrene ganz eigentlich gemacht, aber auch ein unnachläßliches Erforderniß zu einem Staatsmann in solchen Republiken zu seyn. In dieser Rücksicht ist vielleicht Isokrates selbst noch zu attisch; ich meine damit, er läßt sich von der angebornen Redseligkeit der Athener und ihrem leidenschaftlichen Hang zum Schönsprechen, natürlicher Weise also von der Begierde auf diesem Wege zu gefallen, und seine Mitbürger durch schöne Bilder, zierliche Gegensätze, ausgesuchte Worte, und künstlich gedrechselte, dem Ohr schmeichelnde Perioden zu bezaubern, vielleicht mehr beherrschen als er sollte. Wenigstens möcht' ich ihn, wie viel auch in der Kunst von ihm zu lernen ist, nicht ohne Einschränkung zu meinem Muster nehmen, wenn ich einst in Cyrene öffentlich zu reden haben werde. Aristipp hat mich daher aufgemuntert, auch Platons Schule fleißiger zu besuchen als ich bisher gethan habe. Er ist der Meinung, Platons Unterricht über Gesetzgebung und Staatsverwaltung – wiewohl er auch in diesem Fach alles auf idealische Vollkommenheit hinaufschraubt, könnte mir doch einen zwiefachen Nutzen schaffen: Einmahl, in so fern es gut und sogar nöthig ist, das Höchste, wornach man streben soll, wenn man es gleich nie erreichen wird, wenigstens zu kennen, damit man den festen Punkt immer im Auge habe, dem man sich unverwandt zu nähern sucht; und dann, weil Aristipp die scharfen Begriffe und strengen Grundsätze, an welche man sich bey Platon gewöhnt, für ein gutes Mittel hält, sich vor den willkührlichen Ansichten und bloß auf Meinung und Vortheil des Augenblicks gegründeten Vorstellungen, womit die Redner sich gewöhnlich behelfen, zu verwahren, die Redekunst in ihre wahren Grenzen einzuschließen, und zu verhüten, daß sie nicht in leeres Wortgepräng oder hinterlistige Sofistik ausarte. Ich finde dieß alles so einleuchtend, daß ich entschlossen bin, meinen gegen Platons Art zu filosofieren gefaßten Widerwillen zu überwinden, und den politischen Vorlesungen, die er seit kurzem angefangen hat, um so fleißiger beyzuwohnen, da mir Isokrates selbst, vermuthlich aus ähnlichen Beweggründen, mit seinem Beyspiel vorgeht. Du siehest hieraus, lieber Diogenes, daß diese Beschäftigungen mich noch eine geraume Zeit in Athen zurückhalten werden, ob es schon durch deine und Aristipps Entfernung seinen größten Reitz für mich verloren hat. Speusipp und Eurybates sind nun beynahe die einzigen, mit denen ich in näherer Verbindung stehe, und bey denen ich manchen angenehmen Abend zubringe. Aus einem Briefe von Learch an Aristipp hat dieser mich ersehen lassen, daß du dir in Korinth gefällst, und daß sich die Leute dort ganz artig gegen dich aufführen. Da du, mit aller deiner Misanthropie, im Grund' eine gute Seele bist, so zweifle ich nicht, diese Gastfreundlichkeit der Korinther gegen dich, die mir eine sehr gute Meinung von ihnen giebt, werde auch dich immer artiger gegen sie machen. Es käme vielleicht auf ein paar Raupenhäute an, die du noch abzustreifen hättest, so würde Plato selbst einen zweyten Sokrates, gerade so einen, wie wir ihn für unsre Zeit nöthig haben, in dir erkennen müssen. Lebe wohl, und gedenke deines Antipaters, wenn dich einmahl die Laune einen Brief zu schreiben anwandeln sollte.


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