Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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II.
An Lais.

Deine Briefe müssen einen sehr betriebsamen Genius haben, schöne Lais; denn der Schiffer, der mir so eben den letzten überbringt, versichert mir, daß er die Reise von Ägina nach Cyrene, die er seit vielen Jahren zwey- bis dreymahl jährlich mache, in seinem Leben nie in so kurzer Zeit und mit so günstigen Winden gemacht habe, als dießmahl.

Deine Neuigkeit hat mich befremdet, aber nicht im geringsten beunruhigt. Eine so boshafte Anklage, von so nahmenlosen Menschen wie diese, kann einem Sokrates nicht gefährlich seyn, oder die Kechenäer müßten von aller Scham und Vernunft gänzlich verlassen werden. Ich kenne von den Anklägern nur einen persönlich, den Lederhändler Anytus, einen würdigen Nachfolger des berüchtigten Kleons, nur daß er sich gegen diesen ungefähr verhält wie ein Schafsfell zu einer Hirschhaut; ob er sichs gleich ein paar hundert tüchtige Bocksfelle kosten ließ, um es in der edeln Kunst, dem übelhörenden halbkindischen alten Demos im Pnyx die Ohren voll zu schreyen, so weit zu bringen, daß er sich unter den dermahligen Volksrednern so gut als ein Anderer hören lassen darf. Lykon ist ein verdorbner Schulhalter in der Rhetorik, und ich entsinne mich nicht, den Nahmen des Dichterlings Melitus je gehört zu haben. Was für Leute, um gegen einen Mann wie Sokrates aufzustehen! und wie fände nur ein Schatten von Wahrscheinlichkeit Statt, daß die Athener den biedersten und tugendhaftesten aller ihrer Mitbürger, einen Mann dessen Nahme im ganzen Griechenland in Ehren gehalten wird, die Profession eines freywilligen unbezahlten Volks- und Jugend-Lehrers dreyßig Jahre lang ungestört hätten treiben lassen, um ihn erst in seinem siebzigsten deßwegen zur Rede zu stellen, und solcher albernen Beschuldigungen wegen aus der Stadt zu verweisen, oder gar zum Tode zu verurtheilen? Wie du sagst, wir haben nichts für ihn zu fürchten; die ganze Komödie wird sich, so gut als ehemahls die Wolken des Aristofanes, auf eine ehrenvolle Art für ihn und auf eine so schmähliche für die drey Sykofanten endigen, daß sie uns hinter drein Stoff genug zum Lachen geben soll.

Wir haben, meines Wissens, keine Nachtigallen in Cyrene. Ich werde mich also, so bald ich hier los kommen kann, auf den Weg machen, um die deinigen noch singen zu hören bevor ihre Zeit vorüber ist. An Sirenen fehlt es auch bey uns nicht; aber ich kenne keine schlimmere als die schlaue Lysandra, von welcher du den armen Eurybates zu erlösen gesonnen scheinst. In der That wär' es eine verdienstliche That, und, um eine der schönsten Historien daraus zu machen, brauchte es nichts, als daß der edle Kodride großmüthig genug wäre, keinen Ersatz von dir zu fordern, oder, wie der gute Kleombrot, sich am geistigen Ambrosia deines bloßen Anschauens genügen ließe; wiewohl zu befürchten ist, daß so materielle Wesen, wie die Athenischen und Korinthischen Eupatriden, es bey einer so leichten erotischen Diät schwerlich lange aushalten möchten.

Du wirst von Learch vernommen haben, daß ich nicht so glücklich war, den Aritades noch am Leben anzutreffen. Ich habe einen sehr gütigen Vater, Cyrene einen ihrer besten Bürger an ihm verloren. Seine Jugend fiel in eine Zeit, wo die Lebensart bey uns viel einfacher, die Sitten reiner, die Verhältnisse unter Verwandten, Nachbarn und Mitbürgern enger und herzlicher waren als heut zu Tage. Aritades blieb dem Genius seiner bessern Zeit getreu, ohne von der jetzigen Generazion zu verlangen, daß sie vorsetzlich wieder so weit zurückschreite, als sie in allem unvermerkt vorwärts gerückt ist. Wahrscheinlich hat der traurige Ausgang unsrer letzten Revoluzion den Faden seines Lebens früher abgerissen als die Natur es wollte. Das Vordringen des republikanischen Kriegsheers in den letzten Tagen Aristons nöthigte ihn, sich in die Stadt zu flüchten und seine Güter der Verheerung Preis zu geben. Natürlicher Weise treffen die Folgen dieses Unfalls auch mich. Ich werde nicht reich genug zurückkommen, um meine gewohnte Lebensart in die Länge fortsetzen zu können; und ich sehe eine Zeit voraus, wo ich mich vielleicht werde entschließen müssen, entweder bey der Filosofie des Sokrates zu hungern, oder meine von Hippias gelernten Künste wuchern zu lassen. – Doch, diese Zeit ist noch fern genug, und im nächsten Jahrzehend wenigstens soll es mir nicht an Mitteln fehlen, den Lebensplan, den ich mir für diese Periode gemacht habe, vollständig und gemächlich auszuführen. Sey also von dieser Seite unbesorgt für mich, meine Liebe; ich werde in zehen Jahren so viel Vorrath für die Zukunft gesammelt und so große Fortschritte in der Kunst zu leben gemacht haben, daß ich mit beiden auszulangen hoffe, wenn ich auch so alt wie Tithon würde.

Mein Bruder ist zu tief in die Geschäfte seiner einzigen Liebschaft, unsrer aus dem politischen Medeenkessel neuverjüngt herausgestiegenen Republik verwickelt, als daß ihm Muße zu seinen Privatangelegenheiten übrig bliebe. Aber Eros und Afrodite verhüten, daß ich hier so lange ausharre, bis unsre Erbschaftssache bey Drachmen und Obolen ausgeglichen ist! Ich gedenke mich mit irgend einer mäßigen Summe abfinden zu lassen, um desto eher in Ägina anzukommen, wo ich meinen edeln Freund Eurybates (unter uns gesagt) lieber zu deinen schönen Füßen als in deinen Armen überraschen möchte.


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