Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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IX.
An Kleonidas.

Der Komödiendichter, nach welchem du dich so angelegen erkundigest, lieber Kleonidas, ist hier eine so allgemein bekannte Person, daß es mir nicht schwer fallen kann, dein Verlangen zu befriedigen, zumahl da ich (wie du mit Recht voraussetzest) Gelegenheiten genug gefunden habe, öfters in seiner Gesellschaft zu seyn, und sogar in eine Art von Vertraulichkeit mit ihm zu kommen. Ungeachtet er eine gewisse sehr gut zu seiner satyrischen Fysionomie passende Ernsthaftigkeit affektiert, wovon sich der Beweggrund leicht errathen läßt, wird er doch, der witzigen Einfälle wegen, die ihm ohne Anspruch und Absicht gleichsam unfreywillig zu entwischen scheinen, für einen der angenehmsten Tischgesellschafter (einer in Athen sehr zahlreichen Klasse) gehalten, und man findet ihn gewöhnlich bey allen großen Gastmählern, die in vornehmern Häusern gegeben werden. Da er sich den Freunden des Sokrates durch seine Wolken (die sie ihm nach mehr als zwanzig Jahren noch immer nicht vergessen haben) sehr übel empfohlen hat, so wird mirs nicht zum Besten ausgelegt, daß ich kein Bedenken trage, mit einem so verworfnen Menschen umzugehen. Aber Sokrates selbst scheint davon keine Kenntniß zu nehmen, und spricht überhaupt weder Gutes noch Böses von ihm; wiewohl er, so oft sich eine Gelegenheit dazu findet, seine Geringschätzung der Komödie, wie sie ehemahls zu Athen beschaffen war und es zum Theil noch jetzt ist, mit seiner gewohnten Freymüthigkeit zu Tage legt. Nicht als ob er das komische Drama überhaupt mißbilligte; denn ich hörte ihn einst von den Komödien des Epicharmus mit Achtung sprechen; sondern weil er den grenzenlosen Muthwillen, die leidenschaftlichen Anfälle auf einzelne Personen, und die pöbelhaften Späße, Unflätereyen und unzüchtigen Darstellungen, womit die Stücke der neuern Athenischen Komiker besudelt sind, vermöge seiner Grundsätze und seines ganzen Karakters, unmöglich duldbar finden kann. Nichts ist gewisser, als daß diese Art von Komödie, worin Kratinus, Aristofanes und Eupolis mit einander wetteiferten, schon lange auf immer abgeschafft worden wäre, wenn Sokrates eine entscheidende Stimme in Athen gehabt hätte: aber ohne allen Grund ist, was ich in Cyrene von einem unsrer gereisten Leute (die alles besser als andre wissen wollen) gehört habe: Sokrates und seine Freunde hätten das Gesetz bewirkt, wodurch unter dem Archon Myrrhichides die Komödie aufgehoben wurde, und dieser an der komischen Muse begangene Frevel sey die wahre Ursache des Hasses, den die Komödienschreiber auf den Sokrates geworfen, und der Rache, welche Aristofanes, im Nahmen der ganzen Gilde, an ihrem gemeinschaftlichen Feinde genommen habe. Ich sage, dieses Vorgeben ist ohne allen Grund; denn der Sohn des Sofroniskus, der im ersten Jahre der fünf und achtzigsten Olympiade, als jenes Gesetz gegeben wurde, erst acht und zwanzig Jahre zählte, war damahls noch ein unbekannter Steinmetz, und weit entfernt unter den Sofisten selbiger Zeit einen Nahmen und Rang zu haben. Das Wahre ist, daß Perikles selbst der unsichtbare Urheber jenes Gesetzes war, aber es doch mit allem seinem Einfluß nicht länger als zwey Jahre aufrecht erhalten konnte, weil der pöbelhafte Theil des suveränen Volks sich eine seiner liebsten Belustigungen schlechterdings nicht länger vorenthalten lassen wollte.

Es wird dir vielleicht nicht unangenehm seyn, bey dieser Gelegenheit die Substanz einer Unterredung zu lesen, die zwischen Aristofanes und mir, nachdem wir bekannter mit einander geworden waren, vorfiel. Denn ich darf nicht vergessen, dir zu sagen, daß sein Satyr, ich weiß nicht warum, eine Art von Geschmack an meinem – weißen oder schwarzen Genius gefunden, und (da wir beide so ziemlich unter der Herrschaft unsrer angebornen Hauskobolde stehen) eine Art von gutem Vernehmen zwischen uns gestiftet hat, welches ich mir gleichwohl in meinen Verhältnissen weit weniger zu Nutze machen kann, als ich thun würde, wenn ich bloß dem Antrieb meines Dämons oder der Lockstimme seines Satyrs folgte, der, sobald er will, der artigste und wohlgezogenste aller Bocksfüßler ist.

Die Rede war von seinen Wolken, die er noch immer für sein bestes Werk hält, wiewohl die Athener geschmacklos oder launisch genug waren, ihm die Weinflasche des neunzigjährigen Kratinus vorzuziehen. Es versteht sich, daß ich ihm so viel schmeichelhaftes über das Lieblingskind seines Witzes gesagt hatte, als nöthig seyn mag, um einen Autor in gute Laune zu setzen; und so entspann sich denn folgender Dialog zwischen uns.

ICH. Wiewohl wir Cyrener dermahlen noch kein scenisches Schauspiel besitzen, so gehen doch vielleicht mehr als zwanzig Abschriften deiner Stücke bey uns aus einer Hand in die andere; und – abgerechnet, daß unsre Schuhflicker, Sackträger und Bootsknechte über Werke der Musenkunst keine Stimme haben, – wird das, was die Wolken zum schönsten deiner Stücke macht, schwerlich in einer Griechischen Stadt mehr Beyfall gefunden haben, als bey uns. Um so viel größer war die Verwunderung, da man hörte, die Athener, deren Urtheil in solchen Dingen im Auslande einem Götterspruch gleich ist, hätten ganz anders darüber erkannt; und da das Bestreben, sich das Unbegreifliche begreiflich zu machen, nun einmahl unter die stärksten Naturtriebe des Menschen gehört, so war und ist noch jetzt die gemeine Meinung bey uns, das Schicksal, das die Wolken zu zweyen Mahlen betroffen haben soll, könne von keiner andern Ursache herrühren, als weil dem weisen Sokrates so übel darin mitgespielt wird.

ER. Die Cyrener schließen, wie ich sehe, von sich auf die Athener, und glauben, weil sie eine so hohe Meinung von Sokrates und seiner Weisheit hegen, so müßten wir, seine Mitbürger, die das Glück haben, von dieser Sonne täglich angestrahlt zu werden, nothwendig um so viel größer von ihm denken. Dieß ist aber keineswegs der Fall, und würde es vermuthlich auch in Cyrene nicht seyn, wenn er euer Mitbürger wäre. Gesetzt aber, Sokrates gälte zu Athen wirklich für das, wofür ihn die von seinem Chärefon befragte Pythia erklärt haben soll, so kennst du die Athener noch wenig, wenn du nicht auf den ersten Blick siehst, daß ich ihm in diesem Falle keinen größern Dienst hätte erweisen können, als ihn dadurch, daß ich ihn dem öffentlichen Gelächter Preis gab, vom Ostracism oder einem vielleicht noch härtern Schicksal zu retten. Denn daß wir keine gar zu rechtschaffne, gar zu kluge, gar zu vorzügliche Leute unter uns dulden können, ist, sollt' ich denken, durch unser Verfahren gegen einen Miltiades, Aristides, Themistokles, Cimon, Anaxagoras, Diagoras, und so manche andre, schon lange außer allen Zweifel gesetzt. Indessen fehlt viel, daß der Sohn des Steinhauers Sofroniskus und der Hebamme Fänarete den Athenern in einem eben so glänzenden Licht erscheinen sollte als Ausländern, die ihn nur dem Nahmen und Rufe nach kennen. Wir, die wir ihn leibhaft vor unsern Augen herum wandeln sehen, und mit unsern Ohren reden hören, wir kennen der Ehrenmänner gar viele, die eben so barfuß und spärlich gekleidet gehen wie er, ihren Bart eben so selten dem Barbier untergeben, eben so schlecht essen und wohnen, sich eben so ehrbar und genügsam mit ihrer Xantippe behelfen, und den ganzen langen Tag eben so geläufig, und ungefähr eben so gescheidt und witzig, Moral und Politik sprechen wie er. Natürlich können also alle, die nicht zu seinen besondern Freunden gehören, außer seinem silenenmäßigen Kopf und Bauch (hinter welchen man eben nicht die höchste Weisheit zu suchen pflegt) nicht viel mehr an ihm sehen, als was er mit hundert und tausend andern gemein hat. Was ihn aber von andern unterscheidet, sein Blick und Gang und Tragen des Kopfs, wodurch er sich gleich beym ersten Anblick als einen Mann ankündigt, der nichts bedarf, nichts fürchtet, und seinen Werth nicht erst von andern zu erfahren braucht, angleichen die ihm eigene Art von Ironie, die ihm seine Verehrer sogar zum besondern Verdienst anrechnen; das Alles ist gerade das, was ihn dem großen Haufen seiner Mitbürger entweder lächerlich, oder gewisser Maßen verhaßt und furchtbar macht. Denn wie gesagt, der Athener kann nicht leiden, daß jemand durch seine eigene Größe über ihn hervorrage, und er duldet seine Obern nur deswegen, weil er ihnen die Kothurnen, worin sie um so viel größer als er sind, selbst angeschnallt hat, und sie, sobald es ihm beliebt, wieder auf ihre eigenen Füße stellen kann. Du siehst also, daß die Ursache, warum die Wolken nicht so gut als ich billig erwarten konnte, aufgenommen wurden, nicht darin zu suchen ist, daß sie die öffentliche Meinung von dem Manne, der darin verspottet wird, gegen sich gehabt hätten: auch hat derjenige, der euch sagte, daß sie von den Zuschauern übel aufgenommen worden, die Sache sehr übertrieben. Ich müßte meine guten Kechenäer gröblich verleumden, wenn ich nicht bekennte, daß bey weitem der größere Theil über die drey ersten und die drey oder vier letzten Auftritte das lebhafteste Vergnügen äußerte; und ohne den Einfluß des Alcibiades, und die Furcht, in welche sein Anhang (ein Haufen handfester verwegener Gesellen) den friedeliebenden Theil der Zuschauer setzte, würde mein Stück wenigstens den zweyten Preis erhalten haben, da doch einmahl der gutherzige Entschluß dem alten halbkindischen Kratinus aus Dankbarkeit für ehmahlige Verdienste vor seinem Ende noch eine Freude zu machen, von den Meisten schon voraus gefaßt war, bevor sie noch beide Stücke gehört hatten.

ICH. Bey dieser Bewandtniß der Sache muß man sich um so mehr verwundern, daß die Wolken (wie man sagt) bey der zweyten Aufführung keinen bessern Erfolg hatten, als bey der ersten.

ER. Auch hierin hat euch die Sage falsch berichtet. Die Wolken sind nicht zwey Mahl aufgeführt worden. Anfangs hatte ich zwar den Vorsatz, mein Glück an den nächsten Dionysien noch Einmahl zu versuchen. Ich machte zu diesem Ende einige wenig bedeutende Veränderungen, und schrieb eine Anrede an die Zuschauer, wodurch ich diese zweyte Vorstellung gegen das Schicksal der ersten sicher zu stellen hoffte. Aber bey kälterm Blute hielt ich für besser, dem Rathe meiner Freunde zu folgen, denen es zu viel gewagt schien, den jungen Alcibiades, der damahls eben auf der höchsten Stufe der Volksgunst stand, so geflissentlich zum Kampf heraus zu fordern. Denn daß Alcibiades, der ohnehin sich alles zu erlauben gewohnt war, sich des feurigsten seiner Liebhaber mit verdoppeltem Eifer annehmen würde, war leicht genug vorher zu sehen.

ICH. Seiner Liebhaber? – Du willst doch damit nichts sagen, was einen zweydeutigen Schein auf die Sitten des weisen Sokrates werfen könnte?

ER. Ich weiß nicht wie ihr andern Cyrener diese Dinge nehmt; zu Athen weiß jedermann genau, was er dabey zu denken hat, wenn sich jemand öffentlich als der Liebhaber eines so schönen und liederlichen Jünglings beträgt, wie der Sohn des Klinias damahls war.

ICH. Mich dünkt, das Verhältniß des Sokrates zu dem Sohn des Klinias lasse sich auf eine ganz ungezwungene Art so erklären, daß seine Freundschaft für einen der Republik so wichtigen jungen Mann, und der moralische Zauber, wodurch er den hoffärtigsten, muthwilligsten und verwegensten aller Griechischen Jünglinge an sich zu fesseln wußte, ihm bey einem unbefangenen Richter vielmehr zum Verdienst als zum Vorwurf gereichen muß. Aber, wenn du (wie es scheint) anders dachtest, wie kam es, daß du von diesem Umstande keinen Gebrauch in den Wolken machtest?


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