Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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XLI.
An Kleonidas.

Die sittenrichterliche Miene, womit du die scherzhaften Stellen meines letzten Briefes beynahe gar zu ernsthaft beantwortest, lieber Kleonidas, läßt dir so gut, daß ich nicht ungehalten über dich werden könnte, wenn ich auch Ursache hätte es – über mich selbst zu seyn. Es ist nicht unmöglich, daß die Asiatische Luft, die ich seit einigen Jahren athme, die Wirkung auf mich thut, die du bemerkt haben willst; wenigstens wäre dieß eben so natürlich, als daß der zarte Sinn meines Kleonidas für das Geziemende und Schöngute durch die glückliche Beschränktheit, Regelmäßigkeit und halcyonische Stille seines häuslichen Künstlerlebens immer zärter werden, und daher manches mehr oder weniger auffallend finden muß, woran wir andern sorglos und vogelfrey in der Welt herum treibenden Menschen nicht den geringsten Anstoß nehmen. Es ist, denke ich, mit dem moralischen Gefühl, wie mit dem organischen: das Anwehen eines rauhen Lüftchens fällt den zarten Wangen eines fast immer in den Mauern des Frauengemachs eingekerkerten Mädchens, oder eines mit Rosen aufgefütterten Knaben empfindlicher, als das Anprallen des schärfsten Nordwindes der ledernen Haut eines abgehärteten Kriegsmannes oder Seefahrers. Indessen, wenn gleich auch hier das eben rechte in der Mitte liegt, so gesteh' ich doch willig ein, daß es in sittlichen Dingen besser ist zu viel als zu wenig Zartgefühl zu haben.

Meine Vergleichung unsrer Korinthischen Freundin mit dem berüchtigten Sohn des Klinias hätte ich von dir lieber bestritten als bekräftigt sehen mögen. Vielleicht urtheilen wir beide zu strenge über sie; vielleicht stimmt mich dagegen zu einer andern Zeit die Erinnerung an so viele mit ihr verlebte Tage, die so schön nie wiederkehren werden, zu einer größern Nachsicht, als sie von einem ganz unbefangenen Richter zu erwarten hätte. Genug, ich bin weit entfernt, die Hoffnung aufzugeben, daß sie sich noch, unvermerkt, und am ehesten ohne fremdes Einmischen, zu dieser ruhigen Selbstgenügsamkeit und Festigkeit des Gemüths läutern werde, ohne welche wir freylich Ursache hätten immer für sie in Sorgen zu seyn. Warum hätte sie sich von Arasambes getrennt, und ihrer Freyheit durch diese Trennung so große Opfer gebracht, wenn das schöne Bild einer reinern Glückseligkeit, welche sie zu geben und zu empfangen fähig ist, nicht lebhaft genug auf sie gewirkt hätte, um über die üppigsten Befriedigungen der Sinne, über alle Forderungen der Eitelkeit, der Prachtliebe, und jeder andern selbstsüchtigen Leidenschaft das Übergewicht zu erhalten? Lassen wir ihrer blumenreichen Fantasie noch einige Zeit sich durch rastloses Herumflattern zu ermüden! Das Bedürfniß der Ruhe wird mit dem erwachenden Gefühl dessen, was sie sich selbst seyn könnte, nur desto dringender werden; sie wird sich unversehens nach Ägina zurück ziehen, ihre lieblichen Haine der Sokratischen Sofrosyne und ihren ernsten Grazien heiligen, und glücklich seyn wie sie es noch nie gewesen ist; oder das letzte rührende Lebewohl und der weihende Händedruck des scheidenden Weisen müßte alle seine Kraft an ihr verloren haben.

Ich glaube gar ich schwärme, Freund Kleonidas? Beym Anubis, es ist nicht ganz richtig mit mir! Bald werd' ich mir gestehen müssen, daß ich dir ähnlicher bin als mir meine Bescheidenheit zu denken erlauben wollte. – Ernsthaft zu reden, meine Freundschaft oder Liebe (wenn du willst) für dieses wunderbare Wesen ist nie wärmer als wenn etliche tausend Stadien zwischen uns liegen. Die Fantasie treibt zuweilen auch mit uns andern kaltblütigen Leuten ihr Gaukelspiel. Mir, zum Beyspiel, schiebt sie, in einer solchen Entfernung, unvermerkt eine Art von idealischer Lais unter, wie ich etwa wünsche daß die wirkliche seyn möchte; und dann dünkt mich, es sey nichts was ich nicht für sie zu thun fähig wäre, wenn sie dadurch glücklich würde, und mir gehen seltsame Grillen durch den Kopf, die ich mir durch allerley scheinbare Vorspiegelungen wahr zu machen suche. Ich besorge sehr, die Hoffnung, daß der abgeschiedene Geist des Sokrates noch ein Wunder an ihr thun werde, ist eine dieser Grillen; denn leider! bey kühler Überlegung sehe ich wenig Wahrscheinlichkeit, daß die leibhafte Lais jemahls von dem was sie ihr System nennt zurück kommen werde, wiewohl es im Grunde nichts als Blendwerk ist, hinter welchem sie ihre übermüthige Lust, Unheil in unsern armen Köpfen anzurichten, sich selbst zu verbergen sucht.

Mit der schönen Cyrene, zu welcher du mich so freundlich einladest, geht es mir wie mit der schönen Lais; meine Liebe zu ihr wächst mit dem Raum und der Zeit die mich von ihr entfernen; und wie könnte Liebe ohne Verlangen seyn? Cyrene, die doch alles, was mir das liebste ist, enthält, bleibt auch immer das letzte Ziel meiner Wanderungen, das Ithaka der freywilligen Odyssee, die ich – nicht dichte – sondern lebe. Ich nenne sie freywillig, weil keine feindseligen Götter sich gegen meine Zurückkunft verschworen haben: aber dennoch zweifle ich selbst, daß sie so ganz willkührlich ist, als das täuschende Gefühl der Freyheit sie mir vorspiegelt; denn die unsichtbaren Seile, die mich nach Korinth und Athen zurückziehen, sind darum nicht minder stark, weil es keine Ankertaue sind. Beide liegen noch zwischen mir und Cyrene, und ich kann jetzt noch nicht ernstlich daran denken, sie hinter mir zu lassen. Überdieß werde ich in Rhodus selbst durch mancherley Verhältnisse aufgehalten, und nach Achaja gedenke ich nicht wieder zu kehren, ohne zuvor alle merkwürdigen Orte in Klein-Asien und die nördliche Küste des Euxins besucht zu haben. Kurz, lieber Kleonidas, da ich mich einmal so weit in die Welt hinaus gewagt habe, gebührt es sich, entweder gar nicht, oder als ein stattlicher, an Kenntnissen und Erfahrungen reicher, weiser und gefüger Mann nach Cyrene zurück zu kommen.


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