Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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ER. Was sie mir gethan haben? Wahrlich, ich habe von ihnen, oder (was am Ende auf Eins hinausläuft) von ihren Priestern mehr als zu viel gelitten! Und doch ist dieß nicht was meine Galle gegen sie gereitzt hat. Denn ich muß gestehen, in der Fehde, worin wir mit einander befangen sind, war ich der angreifende Theil. Aber ich ärgerte mich, wenn ich so manchen großen Künstler allen seinen Kräften aufbieten sah, für diese unsittliche Idole, in welchen der schnödeste Betrug und der sinnloseste Aberglaube alle Unarten und Thorheiten der menschlichen Natur vergöttert hat, schöne und große mehr als menschliche Formen zu erfinden, um sie in prachtvollen Tempeln dem dummen Haufen zur Anbetung aufzustellen. Mußt du nicht gestehen, daß meine Karikaturen den Göttern Homers viel angemeßner sind, als die erhabenen Gestalten eines Fidias und Alkamenes? Wer kann sich den brünstigen Jupiter auf Ida, oder seine Gemahlin, die den armen Priamus und seine Söhne mit allen übrigen Trojanern lieber roh auffressen möchte, unter der Gestalt des Olympischen Jupiters und der Samischen Juno denken?

ICH. Es sollte mir eben nicht schwer seyn, den Sachwalter des Homerischen Zeus, wenigstens in der ehlichen Scene auf dem Gargaros die dir so anstößig ist, zu machen, und ganz stattliche Ursachen anzugeben, warum er sich seiner vielen trefflichen Bastarde und der schönen Erdentöchter und Göttinnen, die ihm diese Helden erzeugen halfen, mit so vielem Wohlbehagen erinnert. Indessen, weil du bey einer scharfen Untersuchung am Ende doch wohl Recht behalten möchtest, gebe ich den Wolkenversammler mit seiner stieräugigen Gemahlin, und meinethalben alle andern unsterblichen Olympier der verdienten Züchtigung Preis. Aber wenigstens hättest du der holden Musen, die uns aus dem Stande der rohen Thierheit gezogen und den Keim der Humanität in uns entwickelt haben, schonen sollen.

Wie? (in angenommenem komischzürnendem Tone) haben sie ihre Strafe nicht schon dadurch allein reichlich verdient, daß sie dem alten blinden Sänger so viel tolles und ungebührliches Zeug auf Kosten der armen Götter weiß gemacht haben? Denn, da er uns nichts singt als was sie ihm vorgesungen, fällt nicht billig alle Schuld auf sie? Doch, wenn auch dieser Vorwurf nicht träfe, um eurer Allegorien willen kann ich keine Ausnahmen machen; nicht einmal zu Gunsten der Grazien, die der feile Pindar den Orchomeniern zu Gefallen so hoch erhebt, und die du dort, nicht weit von der hochgeschürzten Austernymfe von Cythere, in Gestalt böotischer Kühmägde sich mit Faunen und Bocksfüßlern herumdrehen siehest. Hier ist nichts zu schonen! Ich bin meines Daseyns nicht gewisser, als der traurigen Wahrheit, daß der bloße Aberglaube dem Menschengeschlecht mehr Schaden zugefügt hat, als alle unsre übrigen Schwachheiten, Narrheiten und Laster zusammen genommen. Ich habe also Göttern und Priestern ewige Fehde angekündiget, und ich wundere mich nicht, daß mir, wiewohl ich nur ein Pfuscher in der Kunst bin, diese Zerrbilder so wohl gerathen sind: denn ich habe (was vielleicht ohne Beyspiel ist) zugleich mit Liebe und mit Grimm daran gearbeitet, mit Liebe zum Werke selbst, und mit immer steigendem Grimm über die Gegenstände. Alles dieß, lieber Aristipp, wird dich nicht länger befremden, sobald ich dir sage: daß der Mann, den du vor dir siehest, Diagoras der Melier ist, von dem du, bey Gelegenheit, in der ganzen Hellas als einem Atheisten mit Abscheu und Schaudern reden gehört haben wirst, und der doch wahrlich diesen ehrenvollen Beynahmen, so viel in seinen Kräften ist, zu verdienen suchen muß.

Wie? Ists möglich? rief ich: du Diagoras? eben dieser Diagoras, der seit mehr als zwanzig Jahren für todt gehalten wird, und, wie die gemeine Sage geht, von der Rache der Götter überall verfolgt, in einem Schiffbruch unterging!

Sprich, versetzte er, von der Rache der Priester verfolgt, so hast du die Wahrheit gesagt; ihrer Götter halben wollt' ich mich in einem Kornsieb auf den Ocean wagen. Was ich dir sage; ich, wie du mich hier siehest, bin dieser von den Athenern geachtete und durch ein fürchterliches Dekret in allen Theilen Griechenlands verfolgte Diagoras von Melos, der, auf seiner Flucht nach Thrazien, an der Küste der Abderiten Schiffbruch litt, und, zum redenden Beweise wie mächtig die Götter der Griechen sind, allein am Leben blieb, als das Schiff mit allen übrigen, die es an Bord hatte, trotz der heißen Gelübde, die sie dem Erderschütterer Poseidon und Zeus dem Retter zuwinselten, ohne Rettung zu Grunde ging.

Jetzt ward mir alles klar, was mich bisher an meinem Wirthe befremdet hatte, und nun erst erinnerte ich mich, was mir gestern nicht aufgefallen war, daß er bey Tische die gewöhnliche Libazion vorbeyging, die kein Grieche, bevor er trinkt, aus der Acht läßt.

Diagoras erzählte mir nun, mit welcher Mühe, Gefahr und Noth er sich in allerley Verkleidungen von einer Insel des Ägeischen Meeres zur andern bis nach Lemnos geflüchtet, wo er zufälliger Weise erfahren, daß die Athener eine große Belohnung für den, der ihn todt oder lebendig liefern würde, durch ganz Griechenland ausrufen lassen; wie er, aus Furcht zu Lemnos entdeckt zu werden, etliche Monate sich in Wäldern und Bergklüften verbergen, und sein Leben kümmerlich mit rohen Wurzeln und wilden Früchten habe fristen müssen, und wie er endlich unverhofft in einem Schiffe aufgenommen worden, das für Byzanz betrachtet war, aber das Unglück hatte, von einem Sturm an die Thrazische Küste geworfen zu werden, und nicht weit von Abdera zu scheitern. Diagoras, der sich durch Schwimmen ans Land gerettet hatte, erinnerte sich jetzt seines Freundes Demokritus, bey welchem er Rath und Unterstützung zu finden gewiß war: als er sich aber zu Abdera nach ihm erkundigte, hieß es, er sey schon vor geraumer Zeit weggezogen, ohne daß man wisse was aus ihm geworden sey. Zu gutem Glücke traf er auf einen seiner ehmahligen Jugendfreunde, der indessen ein bedeutender Mann in Abdera geworden war, und sich seiner sehr lebhaft annahm. Das Dekret der Athener war auch hier bereits angekommen, und von den Abderiten, zum Beweis ihres Eifers für die Sache der Götter, öffentlich bekannt gemacht worden. Da sich nun leicht jemand finden konnte, der die ausgesetzte Belohnung hätte verdienen mögen, so verbarg ihn sein Freund sorgfältig auf einem seiner Landgüter im Macedonischen; und weil Diagoras keinen andern Wunsch mehr hatte, als sein übriges Leben in gänzlicher Verborgenheit zuzubringen, kamen sie nach Verfluß einiger Zeit auf den Gedanken, ihm in Thessalien, auf einem der wildesten und unzugangbarsten Theile des Ossa, wo ihn niemand suchen würde, eine Wohnung zu verschaffen. Es fand sich eine geräumige Felsenhöhle, welche mit geringer Mühe zu einer Einsiedlerey, wie er sie nöthig hatte, zugerichtet werden konnte, und in ein von steilen Klippen umgürtetes Thal auslief, wo er sich mit Anpflanzung und Wartung eines Gartens beschäftigen konnte. Das ganze Wesen wurde der Gemeine des nächstgelegnen Dorfes, deren Eigenthum dieser Theil des Gebirges ist, abgekauft, und Diagoras, unter dem Nahmen Agenor, mit einer Thrazischen Sklavin, die ihm sein Freund überließ, in den Besitz desselben gesetzt. Agenor gilt (wie er mir sagte) unter den benachbarten Hirten und Landleuten, einer dem Thessalischen Volke gemeinen Vorstellungsart zu Folge, für einen mächtigen Zauberer, in dessen Ungnade zu fallen jedermann sich sorgfältig hütet; und er läßt sie um so lieber auf diesem Wahn, da er sich, durch die gute Wirkung einiger von Demokritus gelernten Heilungsmittel für Menschen und Vieh, ihr Zutrauen erworben hat. Auch seine Unsichtbarkeit trägt zu der Ehrfurcht, die der Nahme Agenor einflößt, das ihrige bey; denn niemand kann sich rühmen, ihn jemahls in der Nähe gesehen zu haben, und alles, was er mit ihnen zu verkehren hat, geht durch den Mund und die Hände seiner getreuen Sklavin.

Diagoras verlangte von mir zu hören, ob zur Zeit meines Aufenthalts in Athen noch die Rede von ihm gewesen sey, und was für eine Vorstellung ich mir, nach den Gerüchten die über ihn herumgegangen, von ihm gemacht hätte. Ich antwortete, alles, was ich für und wider ihn gehört, wäre mir so übel zusammenhängend und widersinnisch vorgekommen, daß ich, in der Ungewißheit was ich davon denken sollte, nur die vermeinte Unmöglichkeit beklagt hätte, die Wahrheit von ihm selbst zu erfahren. So hätte ich z. B. die Sage von der wahren Ursache seiner Atheisterey gar zu ungereimt gefunden, – O, die möcht' ich doch hören, fiel er mir ins Wort; ich bitte dich, was sagte die Sage? – »Es hieß, die eigentliche Veranlassung zu deiner erklärten Feindschaft gegen die Götter sey ein Rechtshandel gewesen, in welchen du mit einem gewissen Menschen gerathen, der dir ein ihm anvertrautes Gedicht unterschlagen und den Empfang desselben mit einem förmlichen Eide vor Gericht abgeläugnet, aber, nachdem er frey gesprochen worden, das Gedicht als sein eigenes Werk mit großem Beyfall bekannt gemacht habe. Dieser Handel, sagte man, hätte dich so tief gekränkt, daß du den Göttern nicht hättest verzeihen können, daß sie nicht auf der Stelle ein Zeichen an dem Meineidigen gethan; kurz, das erlittene Unrecht hätte dich in deinem Glauben so irre gemacht, daß du endlich auf den Gedanken verfallen seyest: da die Götter, wofern Götter wären, einen solchen Frevel unmöglich ungestraft lassen könnten, so müßten nur gar keine Götter seyn. Das ist lustig, sagte Diagoras: man muß gestehen, für ein so witziges Volk, wie die Athener sind, räsonnieren sie zuweilen erbärmlich; und überhaupt ist nichts so ungereimt, das sie sich nicht weiß machen ließen, sobald es auf andrer Leute Kosten geht. Fürs erste, habe ich in meinem Leben (wenigstens seitdem ich nicht mehr in die Schule gehe) nichts gemacht das einem Gedicht ähnlich sähe. Hätte ich aber auch das Talent Verse zu machen, die gestohlen zu werden verdienten, so würde ich, anstatt den Dieb gerichtlich zu belangen, mein Recht an sie dadurch bewiesen haben, daß ich noch bessere gemacht hätte. Und gesetzt endlich, ich hätte mich in der ersten Hitze zu einem Rechtshandel gegen den Räuber hinreißen lassen, so würde ich wenigstens nicht so albern gewesen seyn, zu verlangen daß Jupiter, – der, um den Erdboden nicht gänzlich zu entvölkern, so viele tausend falsche Eide ungestraft lassen muß, – nun gerade meiner Verse wegen eine Ausnahme machen sollte. Wahrlich wäre der sparsame Gebrauch der Donnerkeile, und die Art, wie die Welt regiert wird, überhaupt, die schwächste Seite der Götter, sie würden von mir immer unangefochten geblieben seyn! Denn ich wüßte wirklich nicht wie sie es angreifen müßten, um die ungeheure Menge von Narren, Thoren und Schelmen, womit die Erde überdeckt ist, besser zu regieren, als wir im Ganzen regiert werden; aber eben daraus, daß wir so gut regiert werden, als es unsre Narrheit und Verkehrtheit nur immer zuläßt, schließe ich, die Welt werde nicht von unsern Göttern regiert. Denn, nach der Probe zu urtheilen, die sie in Homers Ilias abgelegt haben, müßte es noch zehnmahl toller zugehen, wenn die Zügel der Weltregierung in den Händen so selbstsüchtiger, launischer, ungerechter, stolzer, rachgieriger, wollüstiger und grausamer Despoten lägen, als der alte Sänger uns diese nehmlichen Götter schildert, die in allen Städten Griechenlands Tempel, Altäre und Priester haben. Ich sagte ihm: auch mir wäre jene Sage von der Ursache seines Götterhasses zu lächerlich vorgekommen, um den mindesten Glauben zu verdienen. Aber was ich mir nicht zu erklären gewußt hätte, wäre der Hang zu den geheimen Gottesdiensten, der bey ihm (wie man mir versichert) ehmahls bis zur Leidenschaft gegangen sey. Es war eine Zeit, sagt man, wo Diagoras im Glauben an Theofanien, Orakel und Wunderdinge aller Art eher zu viel als zu wenig that, und man weiß daß er den größten Theil seines Vermögens aufgeopfert hat, um in der ganzen bewohnten Welt herum zu reisen, und sich in alle Mysterien, so viele er deren ausspähen konnte, einführen zu lassen. Wie ein Mann, der die Religiosität bis zu diesem Grade von Schwärmerey getrieben, auf einmahl zum entgegen gesetzten Äußersten habe überspringen können, schien etwas so unnatürliches, daß man sich geneigt fühlte, selbst die ungereimteste Erklärung, die ein solches Wunder einiger Maßen begreiflich machte, für gut gelten zu lassen.


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