Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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Da dieser Brief bestimmt ist, dir einen genugthuenden Bericht über meine dermahlige Lage und Lebensweise zu geben, so erwartest du vermuthlich, daß ich dir auch ein Wort von den staatsbürgerlichen Obliegenheiten sage, durch welche meine weltbürgerliche Freyheit vielleicht enger eingeschränkt werden könnte, als sie in die Länge zu ertragen geneigt seyn möchte. Zu gutem Glück kommt meiner politischen Trägheit ein altes Gesetz zu Statten, vermöge dessen zwey Brüder niemahls weder im Senat noch andern höhern Stellen, zu gleicher Zeit Sitz haben können. Dagegen giebt es mancherley mehr und weniger bedeutende, mit der innern Polizey der Stadt beschäftigte Ämter und Ämtchen, denen wohlhabende Bürger, wenn die Reihe an sie kommt, sich nicht entziehen dürfen, zumahl da diese Ehrenstellen mit keinem Einkommen verbunden und von eingeschränkter Dauer sind. – Ämter dieser Art werde ich, ihrer vielfältigen Unannehmlichkeiten ungeachtet, desto williger übernehmen, da sie, um wohl verwaltet zu werden, Uneigennützigkeit, Besonnenheit und Geschicklichkeit die Menschen verständig zu behandeln, voraussetzen, und andern hierin ein Beyspiel zu geben von gutem Nutzen seyn kann.

Übrigens bin ich der Meinung, daß in jedem großen oder kleinen Staat ein Bürger aus derjenigen Klasse, zu welcher ich in Cyrene gehöre, sich um das Gemeinwesen schon verdient genug mache, wenn er seinem Hause wohl vorsteht, seine Güter zu verbessern und zu verschönern sucht, Künste und Gewerbe durch einen nicht unbescheidenen, aber seinem Vermögen angemessenen Aufwand unterhalten und beleben hilft, und durch eine edle Gastfreyheit seiner Stadt auch im Auslande Ehre macht.

Noch ein kleines Verdienst hoffe ich mir um Cyrene dadurch erworben zu haben, daß ich ein zu meinem Gute gehöriges Lustwäldchen, das mit Schattengängen und Lauben, und einem Sahl mit einer bedeckten Halle versehen ist, den Musen geheiligt, und zu einer Art von öffentlichem Versammlungsort für Gelehrte und Künstler bestimmt habe, wo auch bloße Liebhaber von Wissenschaft und Kunst, Fremde, und überhaupt alle rechtliche Leute den Zutritt haben. Die Halle ist mit Gemählden und Bildsäulen, der Sahl mit Bücherschränken versehen, wo keines der Werke der Griechischen Dichter, Geschichtschreiber und übrigen Schriftsteller, die in einigem Ruf stehen, leicht vermißt werden soll. Beide sind täglich zu gewissen Stunden offen, und einer meiner Hausgenossen ist immer gegenwärtig, um den Liebhabern die Bücher, worin sie lesen wollen, hervor zu langen, und wenn der Sahl geschlossen wird, wieder an ihren Ort zu legen. Dieses Museon kostet mich vielleicht den vierten Theil des baren Geldes, das mein Oheim mir hinterlassen hat: aber wer mit so weniger Mühe zu einem beträchtlichen Vermögen kommt, hat, meiner Meinung nach, eine besondere Obliegenheit auf sich, es auf eine edle und gemeinnützliche Art zu verwenden.

Auf den Fall, lieber Eurybates, daß dir dieser vielleicht allzu weitläufige Bericht über einen so wenig bedeutenden Gegenstand, als mein kleines Cyrenisches Ich ist, etwas lange Weile gemacht haben sollte, ist es nicht mehr als billig, daß ich dich mit einer kurzweiligen Zugabe dafür entschädige.

Hättest du dir wohl einfallen lassen, daß der Abderit Onokradias (der zu unvergeßlich ist, als daß du dich nicht erinnern solltest, ihn mehrmahls bey mir und bey dir selbst gesehen zu haben) meiner Person einen so großen Geschmack abgewonnen haben könnte, um mich bis in Cyrene aufzusuchen? Das eigentliche an der Sache ist: daß er, da er jetzt auf seiner großen Reise begriffen ist, und, von Ägypten aus, den Tempel des Jupiter Ammon besucht hat, »nicht umhin konnte (wie er sagt) einen Abstecher nach Cyrene zu machen, um seinen Freund und Gönner Aristipp zu besuchen,« und ihm seine Dankbarkeit dafür zu bezeugen, daß er ihn zu Athen – seinen Tischgesellschaftern so oft zum Besten gab. Dem sey wie ihm wolle, genug, an einem schönen Morgen, da ich mich eher alles andern versehen hätte, kommt der hoffnungsvolle Sohn Onolaus des Zweyten auf mich zugerennt, und erdrückt mich beynahe in seinen herkulischen Armen. Es gab (wie du denken kannst) eine rührende Erkennungsscene, die noch rührender gewesen wäre, wenn sie nicht so nah ans Lächerliche gegränzt hätte. Es versteht sich, daß ich ihn sogleich in mein Haus führte, und daß von Stund an eine ewige Gastfreundschaft zwischen mir und meiner Nachkommenschaft und den edeln Sprößlingen des Onogelastischen Geschlechtes in allen seinen Ästen und Zweigen errichtet wurde. Der gute Mensch konnte sich, als ich ihn Kleonen vorstellte, nicht genug verwundern, wie ich zu einer so schönen Frau gekommen sey, und schwur bey Latona und Jasons goldnem Hammelsfell, daß er, wenn ihm ein Mädchen mit so blauen Augen und so schwarzen Wimpern in den Wurf kommen sollte, sie stehendes Fußes heirathen werde, wenn sie gleich nichts als das Hemd auf dem Leibe hätte. – Du glaubst nicht, was für Glück die genialische Albernheit dieses jungen Abderiten in Cyrene macht. Er erhält so viele Einladungen, daß er kaum den zehnten Theil bestreiten kann; und ich glaube wir hätten ihn noch lang' am Halse, wenn er die Geschichte seines Stammvaters Onogelastes und des feigenschmausenden Esels nicht gar zu oft erzählen müßte. Übrigens gefall' es ihm (sagt er) in Cyrene so wohl, daß er oft mitten in Abdera zu seyn glaube. Alles was er bey uns sieht, haben sie in Abdera auch; ein solches Odeon, ein solches Theater, solche Bäder, solche öffentliche Gesellschaftssähle; ihr Jasonstempel hat sogar noch zwey Säulen auf der Giebelseite mehr als unser Tempel des Apollo. Nur ihr neues Theater, das muß er gestehen, ist nicht völlig so schön als das unsrige, und, die Sache rund heraus zu sagen, etwas eng und unbequem. Aber das Cyrenische, meint er, müßte auch ohne Vergleichung mehr gekostet haben: das ihrige wäre der Republik nicht viel über hundert und zwanzig Talente zu stehen gekommen. Man sagte ihm: er hätte sich sehr geirrt; das unsrige koste kaum den dritten Theil dieser Summe; denn wir hätten die Steine dazu aus unsern eigenen Marmorbrüchen gezogen. – »Das ist freylich ein anders, versetzte der Abderit; die Pfeiler und Säulen des unsrigen sind nur von Backsteinen, und wie bunter Marmor angestrichen; aber für das, was sie gekostet haben, könnten sie von Jaspis seyn. Ihr wundert euch wie das möglich war? Es ging ganz natürlich zu. Wir Abderiten habens nun einmahl in der Art, daß wir etwas rasch im Denken und Handeln zu Werke gehen; einem Dinge lange nachzusinnen, oder es auf alle Seiten herum zu kehren, ist unsre Sache nicht. Der Entwurf wurde gemacht, dem Senat vorgelegt, angenommen, Hand angelegt, alles in Einem Zug. Wie das Werk nahezu halb fertig war, bemerkte jemand, daß es sich auf der einen Seite senke; die Sache wurde untersucht; es mußte ein neuer Grund gelegt werden. Die bisherige Arbeit war größtentheils vergeblich; aber wir dankten den Göttern, daß der Fehler noch in Zeiten entdeckt worden war, und das Werk ging wieder hurtig von der Hand. Nach einer Weile kam einem unsrer Ober-Bauherren ein Gedanke, wie dieß und jenes zierlicher und geschmackvoller seyn könnte. Flugs wurde wieder eingerissen und verändert. Aber andre Leute hatten auch Einfälle und Geschmack, und hatten zu Athen, und Korinth und Syrakus und Milet und Samos und Mitylene und allenthalben Theater gesehen, und jeder wollte das Seinige zu einem Bau, wovon Abdera Ehre haben sollte, beytragen. So war denn immer etwas zu tadeln und anders zu machen. Bald mußte die Orchestra erhöht, bald die Vorbühne erweitert werden; bald war der Raum für die Chöre zu klein, bald fehlte es an etwas anderm. Die Säulen waren erst Ionisch, und mußten nach Jahr und Tag mit großer Mühe und Arbeit in Korinthische verwandelt werden. Das alles förderte nun das Werk nicht sonderlich; indessen wer immer zwey Schritte vorwärts gegen Einen rückwärts macht, kommt zuletzt doch ans Ziel. Kurz und gut, der Bau wurde fertig, und es war großer Jubel in ganz Abdera, und anstatt zu klagen daß er soviel kostete, thaten sich unsre Bürger viel darauf zu gute; denn (ohne uns zu rühmen) was unsrer Stadt Ehre macht, ist uns nie zu theuer. Wir hatten für unsre hundert und zwanzig Talente ein neues Theater, das sich sehen lassen durfte; nur Schade, daß sichs erst bey der Einweihung zeigte, daß die Stufensitze um funfzehn bis zwanzig Ellen höher und weiter hätten seyn sollen; denn wir saßen so zusammengedrängt wie die Salzfische in einer Byzantinischen Tonne. Es kommt nur auf eine kleine Gewohnheit an, sagte der Nomofylax, der die Oberaufsicht über den Bau gehabt hatte; und so war es auch: in kurzem beklagte sich kein Mensch mehr, und wir saßen doch nicht bequemer als das erste Mahl.« Der ehrliche Onokradias lachte herzlich mit, wie er sah, daß wir uns nicht länger halten konnten in ein lautes Lachen auszubersten. Es ist wirklich lustig, fuhr er fort, zumahl wenn man bedenkt, wie viele kluge Köpfe zur Sache zu reden hatten, und wie viele Sitzungen die armen Bauaufseher, in den sechs Jahren daß am Theater gebaut wurde, halten mußten! Man kann sich vorstellen, ob die Herren fleißig genug zusammen kamen, da über drey hundert Eimer Thasierwein nach und nach dabey geleert wurden. Denn daß die Herren hätten trocken sitzen sollen, war ihnen doch nicht zuzumuthen. Aber freylich, wenn mans sagen dürfte, da liegt eben der Hund begraben! Viele Köche versalzen den Brey; um sich nicht zu zanken, trinkt man; da wird man denn bald einig, und der Ausführung halber verläßt sich einer auf den andern. Wir Abderiten haben das so in der Art; unser Gemeinwesen ist nie schlechter berathen als wenn wir alle Einer Meinung sind.«

Die treuherzige Unbefangenheit, womit der ehrliche Abderit sich selbst und seine Mitbürger auf diese Weise zum Besten giebt, macht daß man ihm mit aller seiner albernen Geschwätzigkeit gut seyn muß; denn er ist die wohlmeinendste Seele von der Welt. Zu allem Glück ist er reich, und so kann man sich unbedenklich an ihm belustigen; hätte das Glück weniger dafür gesorgt, daß er unsers Mitleidens nicht bedarf, so wär' es grausam über ihn zu lachen. Er hat nun in Cyrene die mittägliche Grenze der Griechischen Sprache erreicht, und ist im Begriff nach Sicilien abzusegeln, von da aus das südliche Italien zu bereisen, und dann in seine liebe Vaterstadt zurückzukehren; ungefähr so klug als er ausgezogen war, aber so reich an Dingen die er gesehen und gehört hat, daß er seinen Abderiten sechzig Jahre lang genug zu erzählen haben wird. Er verläßt sich darauf (und ich stehe ihm dafür) daß seine Mitbürger große Freude an ihm haben werden; »denn eine Reise wie die meinige (sagt er) hat, außer dem närrischen Filosofen Demokritus, noch kein Abderit gemacht.« Sollt' ich ihm in drey oder vier Olympiaden seinen Besuch zurückgeben, so bin ich gewiß, ihn an der Spitze seiner Republik zu finden; und die Götter mögen wissen, ob ihre Sachen darum schlimmer oder besser gehen werden!

Speusipp schreibt mir: seitdem ich Athen auf immer verlassen zu haben scheine, spreche sein Oheim Plato in Gesellschaften, wenn meiner gedacht werde, sehr glimpflich von mir, als von einem feinen Weltmann und angenehmen Gesellschafter. Aristipp, sagt er, hat sich eine Art von Filosofie gemacht, womit er sich, wie ich glaube, für seinen eigenen Gebrauch gut genug behelfen mag; aber allgemein gemacht würde sie böse Früchte tragen. – Ist es mit der seinigen etwa anders? Zum Glück (wenn ja die Gefahr so groß seyn sollte) hat die Natur selbst dafür gesorgt, daß keine von beiden allgemein werden kann. Wäre dieß aber nicht, so würde meine Filosofie noch immer den Vorzug haben, daß sie nur durch Mißverstand und Mißbrauch schädlich werden kann; da hingegen die seinige geraden Weges zu einer Art von Schwärmerey führt, deren natürliche Folgen, außer seiner Wolkenkuckuksheimischen Republik, allenthalben verderblich seyn würden.

Lebe wohl, mein edler Freund, und laß dir mein Andenken, und, wofern du es nöthig findest, auch meinen Ruf gegen den Muthwillen eurer witzelnden Müßiggänger und Spaßmacher empfohlen seyn, die von jedem Manne, dessen Nahme öfters genennt wird, so viele Geheimgeschichtchen zu erzählen wissen, alles gesehen haben wollen was er gethan, alles gehört haben was er gesprochen hat, und, um die Wahrheit ihrer Mittheilungen unbekümmert, zufrieden sind, wenn sie nur ihren Platz an den Tafeln der Reichen durch irgend ein lächerliches Mährchen oder eine auffallende Albernheit auf Unkosten eines bekannten Nahmens bezahlen können.


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