Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

I.
Aristipp an Kleonidas.

Schon zwey bis drey Monate, lieber Kleonidas, suche ich eine Gelegenheit, dich zu benachrichtigen, daß ich mich zum dritten Mahl wieder im Schutz der hehren Athene befinde, und durch Vorsorge unsres Freundes Eurybates eine bequeme Wohnung nicht weit vom Pompeion und dem Tempel der Demeter bezogen habe. Ich bin dadurch dem Hafen um so näher, wohin mein unbescholtener Äthiopier tagtäglich zweymahl traben muß, um sich zu erkundigen, ob irgend ein Fahrzeug aus euern Gegenden angekommen oder dahin abzugehen begriffen sey. Aber auch jetzt danke ich es bloß dem verwöhnten Gaumen der Athener, denen unser stinkendes Silfi zu einem unentbehrlichen Küchenbedürfniß geworden ist, daß ich endlich eine Gelegenheit aufgetrieben habe, diese Epistel an dich gelangen zu lassen.

Vor allen Dingen, Freund, laß dir sagen, daß die holden Kechenäer sich wieder auf der höchsten Spitze ihres stolzen Selbstgefühls wiegen: denn, um mit Einem Wort Alles zu sagen, sie haben wieder Mauern! und zwar noch höhere und festere als die alten, die ihnen Lysander vor zwölf Jahren niederreißen ließ: sie haben wieder neue Mauern, und (worauf sie sich am meisten zu Gute thun) ohne daß es sie einen Heller kostet. Du wunderst dich wie das zuging? Wisse also, daß der schlaue Konon, ihr zweyter Themistokles, (wie sie ihn zu böser Vorbedeutung nennen) Konon, ein eben so gewandter Staatsmann als braver Seeofficier, seinen berühmten Sieg über die Spartaner bey Knidos durch seinen Gönner den Satrapen Farnabaz in einen so hohen Anschlag bey dem großen Könige zu bringen gewußt hat, daß dieser eine sehr staatskluge Partey zu nehmen glaubte, wenn er den Athenern wieder zu ihrem ehemaligen Übergewicht über Sparta, seine zeitherige Feindin, und zum ersten Rang unter den Griechischen Republiken in Europa behülflich wäre. Die Wiederherstellung der Mauern von Athen (eine Kleinigkeit für die unerschöpflichen Schatzkammern des Königs der Könige) war zu dieser Absicht, und also (wie es freylich von Seiten der Perser gemeint war) zum Dienste des Königs unumgänglich. Konon betrieb das Werk mit unsäglichem Eifer; alles was Hände hatte wurde angestellt; von allen Enden Griechenlands strömten die Arbeiter schaarenweise herbey; der König bezahlte mit blanken Dariken, und der Satrap ließ sich den Auftrag geben, mit einer ansehnlichen Flotte, wozu die Griechischen Städte in Karien und Ionien Mannschaft und Schiffe lieferten, die Unternehmung zu beschützen.

Mehr brauchte es nicht, um den Attischen Autochthonen – die, so lange ihre von Lysandern erlittene Schmach durch die Offenheit ihrer Stadt und ihres Hafens noch augenscheinlich beurkundet wurde, die Flügel ziemlich demüthig sinken ließen – auf Einmahl ihren ganzen Übermuth wieder zu geben. Kaum erhoben sich ihre neuen Mauern, kaum hatte ihnen Konon mit der Persischen Flotte, deren Anführung ihm der Satrap überlassen hatte, wieder zu ihrer alten Tyrannie über die kleinern Inseln verholfen, so war auch alles Vergangene wieder rein vergessen; so betrachteten sie sich selbst wieder als die Herren der Welt, und den König, ihren Wohlthäter, als ihren bloßen Zahlmeister, der es sich noch zur höchsten Ehre rechnen müsse, der »weltberühmten, schönen, fetten, veilchenbekränzten Athenä« ihren uralten Glanz wiedergegeben zu haben, und dem sie nicht den geringsten Dank schuldig wären, wenn er ihre Mauern auch mit gediegenem Golde hätte überziehen lassen. Aus diesem Tone kann man sie wenigstens an allen öffentlichen Orten täglich blasen hören. Sie bauen nun wieder ein Nefelokokkygia über das andere ins Blaue hinein, immer voraussetzend die Schätze des großen Königs würden ihnen ewig zu Gebote stehen, ob sie es schon der Mühe nicht werth halten, sich seines Wohlwollens durch eine dauerhafte Verbindung seines Interesse mit dem ihrigen zu versichern. Was die Folgen dieses demokratischen Stolzes und der falschen Maßregeln, wozu er sie verleiten wird, seyn müssen, läßt sich, ohne daß man ein Tiresias zu seyn braucht, leicht voraus sehen. Aber die kurzsinnige Attische Aufgeblasenheit sieht nichts voraus, wird durch keine Erfahrung klüger, und begeht alle ihre großen und kleinen Thorheiten immer als ob es das erste Mahl wäre. – Doch, kein Wort weiter von Athenischen Staatsverhältnissen und demokratischen Albernheiten! Weiß ich denn nicht, wie widerlich und langweilig dir, mit Recht, diese Dinge sind? Auch soll es das letzte Mahl seyn, daß ich dich damit behellige! – Ein anderes wär' es, wenn ich dir von Zeit zu Zeit eine Aristofanische Komödie im Geschmack der Acharner, der Ritter und der Vögel mitzutheilen hätte, die dir ohne einen kleinen Kommentar nicht immer verständlich wären. Aber solche Früchte bringt der Attische Boden nicht mehr hervor. Die Wiederherstellung der Demokratie hat zwar das Gesetz gegen den Mißbrauch der ungezügelten Freyheit der alten Komödie ziemlich unkräftig gemacht: aber Zeit und Umstände scheinen unvermerkt auch auf diesen Zweig der öffentlichen Unterhaltung zu wirken, und ich betrachte die Komödie, wie ich sie seit meiner Zurückkunft finde, als den Übergang zu einer künftigen neuen Gattung, deren regelmäßigere und elegantere Form eine natürliche Folge der, in umgekehrtem Verhältniß mit der Abnahme der demokratischen Ungezogenheit, immer steigenden Verfeinerung des Geschmacks und der Sitten seyn wird. Indessen läßt gleichwohl die leichtfertige Muse des Dichters der Wolken weder ihrer unnachahmlichen Genialität noch ihrem gewohnten Muthwillen so enge Schranken setzen, daß sie sich nicht noch immer bald einzelne Hiebe mit derselben Geißel, die vor dreyßig Jahren einen Kleon bis auf die Knochen zerfleischte, bald Züge von eben demselben neckenden Spott, womit sie einst einen Lamachus, Euripides, Nicias, Alcibiades, ja den unsträflichen Sokrates selbst verfolgte, und bey jeder Gelegenheit die bittersten Sarkasmen über das Volk und die Regierung von Athen erlauben sollte. Sein neuestes Stück, der Weibersenat betitelt (welches ich für dich abschreiben lasse) enthält ziemlich starke Beweise hiervon, ist aber dabey so ekelhaft schmutzig, daß ich, wiewohl es von feinerem Witz und trefflichen Einfällen strotzt, mir doch kaum getraue, es dir vor die Augen zu bringen.

Eine meiner ersten Angelegenheiten, nachdem ich von meiner neuen Wohnung Besitz genommen hatte, war, die alte Bekanntschaft (Freundschaft kann ich sie ehrlicher Weise nicht wohl nennen) mit den Attischen Sokratikern zu erneuern. Der gute Kriton war seinem geliebten Freunde schon vor einigen Jahren in das unbekannte Land nachgezogen, wovon Plato in seinem Fädon so viel Wunderbares zu berichten hat. Stilpon lebt zu Megara, Cebes und Simmias sind nach Theben zurückgekehrt, und streuen dort guten sokratischen Samen aus. Unter den Anwesenden wurde ich von dem wackern Gerber Simon, von Kritobulus (der unserm Meister durch sein Leben als Hausvater und Bürger Ehre macht) und von Äschines, des Lysanias Sohn, am freundlichsten empfangen; von Plato kalt und vornehm, von Antisthenes (der mit den Jahren nicht milder geworden ist) ein wenig – cynisch. Es war als ob er mich erst von allen Seiten beschnuppern müßte, bevor er mich erkannte, und einige Freude über unser Wiedersehen äußerte; welches letztere übrigens alle bejahrte Leute zu thun pflegen, wenn ihnen ein jüngerer Bekannter nach langer Zeit wieder zu Gesichte kommt. Im Grunde ist es nicht so wohl das Vergnügen über unser Daseyn, als die Freude darüber, daß sie selbst noch da sind, was sie uns dadurch zu erkennen geben.

Ich fange an sehr lebhaft zu fühlen, daß uns beym Eintritt in die männlichen Jahre, eine bestimmtere Art von Beschäftigung immer unentbehrlicher wird. Ohne gerad' eine förmliche Schule zu eröffnen, und ein Aristofanisches Frontisterion aus meinem Hause zu machen, bin ich entschlossen, nach dem Beyspiel des Sokrates und in seiner Manier (so ferne ich sie ohne Anmaßung und Nachäfferey zur Meinigen machen kann) einen Theil meiner Zeit einigen fähigen Jünglingen, die sich zu mir halten wollen, zu widmen. Zu diesem Ende ist ein gegen den Garten offener Säulengang meines Hauses täglich einige Stunden einem jeden geöffnet, der sich darin ergehen und an der kleinen Gesellschaft, die sich da zusammen zu finden pflegt, als Mitsprecher oder als bloßer Zuhörer Antheil nehmen will. Diese Gallerie ist mit auserlesenen Gemählden geziert, und unter einigen Stücken von Polygnotus, Zeuxis, Pausias, Parrhasius und Timanthes, glänzen die trefflichen Kopeyen von deinem Tod des Sokrates und dem Ende des unglücklichen Kleombrotus so sehr hervor, daß sie gewöhnlich die Augen der hierher Kommenden zuerst auf sich ziehen, und am längsten festhalten. Mitunter fallen auch ziemlich komische Dialogen vor, wie z. B. der folgende, den ich dir, weil er mir noch ganz frisch im Gedächtniß liegt, zur Kurzweil mittheilen will.


 << zurück weiter >>