Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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XXXII.
Learch an Aristipp.

Der Antheil, den du, mit Kleonidas und Musarion, vermuthlich nie aufhören wirst an den Schicksalen der schönen Lais zu nehmen, macht es mir als einem gemeinschaftlichen Freunde zur Pflicht, Euch von ihrer dermahligen Lage ausführlich zu unterrichten, da Euch vielleicht Gerüchte oder Nachrichten aus minder lautern Quellen zukommen möchten, die Euch ihrentwegen mehr beunruhigen könnten, als, vor der Hand wenigstens, nöthig seyn möchte. Du kennst sie zu gut, lieber Aristipp, um dich nach diesem Eingang nicht auf einen von den wunderlichen Streichen gefaßt zu halten, deren ihre Fantasie und Laune ihr schon mehrere gespielt haben: aber des Abenteuers, worin sie dermahlen verwickelt ist, dürftest du dich doch schwerlich versehen haben. Ich will Euch mit keinem langen Vorbericht aufhalten; aber der Vollständigkeit wegen werde ich dennoch etwas weit aushohlen müssen, und nicht vermeiden können, des Antheils, den ich selbst an dieser Geschichte habe, umständliche Erwähnung zu thun.

Antipater hat dir schon vor geraumer Zeit von der Veränderung Nachricht gegeben, welche Sie bald nach ihrer Zurückkunft aus Thessalien in ihrer Lebensweise vorzunehmen nöthig fand. Es wurde in und außerhalb Korinth viel Schiefes darüber geschwatzt, vermuthet und gefabelt: das Wahre ist, daß diese Veränderung nicht plötzlich sondern stufenweise vorging, und daß die immer zunehmende Menge und die unbescheidene Zudringlichkeit ihrer öffentlich erklärten Liebhaber diese Maßregel schlechterdings nöthig machte. Unter jenen Beschwerlichen befanden sich mehrere Auswärtige, welche die Reise nach Korinth nicht vergebens gemacht haben wollten, da sie bloß der schönen Lais wegen gekommen waren. Überhaupt schienen die Herren durch die letzte Wanderung unsrer Freundin sich berechtigt zu glauben, ihren Ansprüchen einen Nachdruck zu geben, der dem Stolz und dem Zartgefühl einer Frau von so seltnen Vorzügen gleich anstößig seyn mußte. Die Reichsten (meist Einheimische) glaubten sich durch die prächtigen Feste, die sie ihr gaben, ein Recht an ihre Dankbarkeit zu erwerben. Andere hingegen spielten geradezu die Freyer der Penelope, und nahmen von ihrem nur allzu gastfreyen Hause Besitz, als ob sie immer da zu bleiben gedächten; in Hoffnung, sie werde sich durch die unverschämte Art, wie sie darin schalteten, genöthiget sehen, sich desto bälder mit ihnen abzufinden. Die Sache hörte in der That bald genug auf kurzweilig für sie zu seyn; wie sie aber gewohnt ist alles mit guter Art zu thun, so fing sie damit an, sich den Festen und Aufwartungen meiner Korinthischen Mitbrüder nach und nach zu entziehen, und immer seltener große Gastmahle in ihrem eigenen Hause zu geben. Die Fremden, welche auf allerley Wegen Mittel gefunden hatten Empfehlungen an Sie zu erhalten, wurden zwar noch immerfort aufs beste bewirthet; aber Sie selbst erschien, unter mancherley Entschuldigungen, selten bey Tische und im Gesellschaftssahle, und wurde zuletzt, einer vorgeblichen Unpäßlichkeit wegen, gänzlich unsichtbar: und weil die Herren auf den Einfall kommen konnten, die Freyer der Penelopeia auch in den Entschädigungen, welche diese sich zu verschaffen wußten, nachzuahmen, so wurde allen ihren Gesellschafterinnen und Sklavinnen aufs schärfste untersagt, sich vor keinem von ihnen sehen zu lassen, geschweige das geringste zu ihrer Unterhaltung beyzutragen. Dieses Mittel konnte seine Wirkung nicht verfehlen; und da sie sich vollends auf einige Zeit Geschäfte halber von Korinth entfernte, so mußten die Beschwerlichen endlich das Feld räumen, und Lais war nun nach Ihrer Zurückkunft für niemand mehr zu Hause, als für etliche Freunde vom engeren Ausschuß, die durch einige persönliche Eigenschaften und ein gehöriges Betragen diese Unterscheidung verdienten.

Ich glaube nicht daß Lais einen ältern Bekannten hat als mich. Die vertraute Freundschaft, welche zwischen meinem Vater und dem Eupatriden Leontides Statt hatte, gab mir schon in meiner frühen Jugend Gelegenheit, im Hause des letztern ein- und auszugehen, und ich erinnere mich noch sehr wohl, die kleine Lais als ein Mädchen von elf oder zwölf Jahren gesehen zu haben. Der Alte fand großes Vergnügen daran, seinen kleinen Liebling loben zu hören, und seine Freunde zu Zeugen der außerordentlichen Anlagen zu machen, die sie in der Musik und Tanzkunst zeigte. Ich hatte damahls etwa achtzehn Jahre, und natürlich konnte mir das schönste Mädchen, das ich noch gesehen hatte, nicht gleichgültig seyn; aber die angenehmen Eindrücke, die Sie auf mich machte, streiften nur leicht an mir hin; ich wußte daß Laiska nicht mein seyn konnte; es fehlte nicht an hübschen Mädchen in Korinth; überdieß war ich keiner von denen, die sich einbilden, sie müssen alles Schöne, was ihnen zu Gesichte kommt, haben, es koste was es wolle; und es gab viele Dinge, die mir noch lieber waren als ein hübsches Mädchen. Eine Abwesenheit von mehreren Jahren brachte mir den kleinen Abgott des alten Leontides gänzlich aus dem Sinne. Als ich nach Korinth zurückkam, fand ich Sie auf dem Punkt ihrer schönsten Blüthe, im Besitz der reichen Erbschaft ihres Patrons und einer gänzlichen Unabhängigkeit, von einer Menge Freyer und Anbeter umgeben, mit denen Sie sich auf einen solchen Fuß setzte, daß keiner ohne alle Hoffnung war, wenige sich eines merklichen Vorzugs, und niemand dessen, wornach sie alle trachteten, zu rühmen hatte.

Keinen Zutritt im Hause der schönen Lais zu haben, wurde damahls in Korinth für ein unzweifelhaftes Zeichen eines schlecht erzogenen und von allen Grazien verabsäumten Menschen angesehen. Ich unterließ also nicht, von der allgemeinen Freyheit, die Sie allen Meinesgleichen zugestanden hatte, Gebrauch zu machen, zumahl da ich nirgends bessere Gesellschaft, und mehr Gelegenheit mit interessanten Fremden bekannt zu werden, finden konnte als in ihrem Hause. Lais, die ihre eigentlichen Liebhaber so ziemlich auf dem nehmlichen Fuß behandelte, wie andere Schönen ihre Schoßhündchen, Katzen, Wachteln und Sperlinge, ermangelte nicht diejenigen zu unterscheiden, deren Anhänglichkeit an sie mehr auf die seltnen Vorzüge ihres Geistes, als auf übel verhehlte Ansprüche an ihre Schönheit, gegründet war; und da ich das Glück hatte einer von jenen zu seyn, so fand sich unvermerkt, daß ich mich unter die Wenigen zählen durfte, denen Sie eine schmeichelhafte Art von Achtung dadurch bewies, daß sie von ihren häuslichen Angelegenheiten mit ihnen sprach, sie mit kleinen Aufträgen beehrte, und bey wichtigern Vorfallenheiten sich ihres Rathes oder ihrer Dienste bediente. Dieß, Freund Aristipp, war ungefähr das Verhältniß, worin ich mit der schönen Lais stand, bis sie Milet zu ihrem Aufenthalt wählte, und dort mit dem vornehmen Perser bekannt wurde, der (wenn ich nicht irre) nach dir selbst der erste war, der sich ihres Besitzes rühmen konnte; mit dem kleinen Unterschied, daß du Sie besaßest, Er hingegen von Ihr besessen war. Nach ihrer Zurückkunft von Sardes lebte sie eine Zeit lang mit dem Prunk einer morgenländischen Fürstin unter uns; und, während sich jedermann zudrängte ihren Hof vergrößern zu helfen, hielt ich mich so lange in geziemender Entfernung, bis sie für gut fand, sich allmählich wieder auf einen bescheidenern Fuß zu setzen. Ohne den großen Gesellschaften gänzlich zu entsagen, oder ihr Haus vor irgend jemand zu verschließen, der sich berechtigt halten durfte jedes gute Haus offen zu finden, lebte sie jetzt am liebsten mit einer kleinen Zahl auserlesener und vertrauter Personen, und unter diesen fand dann auch dein Freund Learch seinen alten Platz wieder. Ich muß gestehen, daß bey dieser Erneuerung unsrer alten Verhältnisse auf meiner Seite unvermerkt einige Veränderung vorging. Mir war als hätte ich die schöne Lais, sogar in ihrer höchsten Blüthe selbst, nie so unwiderstehlich reitzend und liebenswürdig gesehen als jetzt, und der Wunsch, Ihr mehr zu seyn als andere, ward immer lebhafter: aber Eufranor hatte sich durch seine Kunst Verdienste um sie gemacht, und ich war zu sehr sein Freund, um ihm den Vorzug, den Sie ihm zu geben schien, zu mißgönnen.

Inzwischen warest du von deiner langen Wanderschaft nach Athen zurückgekommen. Sie begab sich, nach dem bekannten Abenteuer mit dem jungen Aspendier, auf ihr Gut zu Ägina, wo sie einen Besuch von dir erwartete, und wohin ich, wiewohl eingeladen, ihr nicht eher folgen wollte, als ich für nöthig hielt, um dich noch ein paar Tage dort zu sehen. Aber du hattest dich bereits wieder entfernt, und ich glaubte eine Veränderung an Lais wahrzunehmen, die ich mir nicht erklären konnte, bis ihre Vertraute (die schon lange auch die meinige ist) mir den Schlüssel zu dem Räthsel gab. Es brauchte also nichts als einen einzigen jungen Menschen, – der (wie er mir in der Folge selbst gestand) mehr aus Schüchternheit und Eigensinn, als aus einem mächtigen Drang den Hippolytus mit ihr zu machen, sich bey einer hartnäckigen Gleichgültigkeit gegen ihre Reitzungen zu erhalten wußte, – es bedurfte nichts als diese kleine Demüthigung, um ihrer gekränkten Eitelkeit eine unumschränkte Gewalt über die bessere Seele zu verschaffen! Mit einem kaum verhehlbaren Unwillen war ich ein Augenzeuge der Thorheiten, wozu sie sich erniedrigte; und sie sank damahls beynahe noch tiefer in meinen Augen, indem sie in den Anbetern, mit welchen sie sich umringt hatte, durch alle nur ersinnliche Hetärenkünste eine Leidenschaft zu entzünden suchte, welche sie nicht zu erwiedern gesonnen war, als wenn sie sich, wie eine gemeine Priesterin der Pandemos, einem nach dem andern Preis gegeben hätte.

In dieser Stimmung war ich nicht sehr aufgelegt, ihr Abenteuer mit dem Thessalier in dem mildesten Lichte zu betrachten, wie der Ton, worin ich dir darüber schrieb, nur zu sehr verrathen haben wird. Daß sie aber durch ihren letzten Aufenthalt in Ägina und die Thessalische Reise auch in der öffentlichen Meinung gesunken war, zeigte sich nach ihrer Wiederkunft, in der Art, wie unsre jungen Leute bey Erneuerung ihrer Bewerbungen zu Werke gingen. Sie konnte bald genug gewahr werden, daß man es als etwas Ausgemachtes voraussetze: nachdem sie dem Neffen des Darius einen Thessalischen Centaurensohn zum Nachfolger gegeben, dürfe sich jeder »hellumschiente Achäer« ohne Übermuth berechtigt halten, Ansprüche an die Gunst einer Schönen zu machen, deren eigentliche Klasse keinem Zweifel mehr unterworfen sey. Du kannst dir vorstellen, wie empfindlich ihr Stolz sich durch diese Wahrnehmung gekränkt fühlen mußte. Gleichwohl hielt sie noch eine Zeit lang Stand, in Hoffnung durch ein gewisses vornehmes Ansichhalten, und eine völlige Gleichheit ihres Betrages gegen alle ihre Liebhaber, die Sachen wieder auf den alten Fuß zu setzen. Als aber die Abnahme der hohen Achtung, an welche sie schon so lange gewöhnt war, täglich sichtbarer ward, blieb ihr kein anderer Ausweg, als sich auf die bereits erwähnte Art aus der Gesellschaft zurückzuziehen; eine Maßnehmung, worüber zwar Anfangs ganz Korinth in Aufruhr gerieth, die man aber, da Lais von allem, was über sie geschwatzt, gewitzelt und geverselt wurde, keine Kunde nahm und fest bey ihrem neuen Lebensplan beharrete, sich endlich gefallen lassen mußte, und deren man bereits so gewohnt ist, daß von der weltberühmten Lais vielleicht nirgends weniger die Rede ist als zu Korinth, wo sie lebt, aber schon seit mehr als Einem Jahre, außer dem Bezirk ihres Hauses und seiner Gärten, nirgends, und auch dort nur für wenige sichtbar ist.


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