Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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Wiewohl ich nun diese angenehmen Empfindungen, wovon bisher die Rede war, als die Elemente betrachte, woraus alles sichtbare, hörbare und fühlbare Schöne zusammengesetzt ist; so würden sie uns doch, jede für sich allein, nie auf den Begriff der Schönheit geführt haben. Denn wie lebhaft auch die angenehme Empfindung seyn mag, die z.B. durch eine gewisse Farbe oder einen gewissen einzelnen Ton in uns erregt wird; so würde doch eine lange Dauer derselben unser Auge oder Ohr ermüden, und uns erst gleichgültig, dann langweilig, endlich widrig und unerträglich werden. Verschiedenheit und öftere Abwechslung der angenehmen Eindrücke sind sowohl zum Vergnügen als zur Erhaltung der Organe gleich nothwendig: aber im Verschiedenen muß Ähnlichkeit seyn, die Abwechslung durch sanfte Übergänge bewirkt werden, und das Mannigfaltige, von Harmonie zusammengefaßt, zu einem Ganzen, dessen Totaleindruck uns angenehm ist, verschmolzen werden; und dieß allein ist es, was die Idee der Schönheit in uns erzeugt.

Laß uns nun einen höhern Standort nehmen. Die Natur ist alles was ist, war, und seyn wird, also auch die Quelle, so wie die Summe alles Schönen. Wär' es möglich einen Augenpunkt zu finden, aus welchem sich die ganze Natur mit Einem Blick von uns überschauen ließe, so würden wir das wahre Urbild alles Schönen in der Wirklichkeit vor uns sehen. Aber unser Auge ist auf ein enges Hemisfärion eingeschränkt, und die Natur unermeßlich. Was sie unsern Sinnen darstellt, sind nur unendlich kleine Abschnitte und Bruchstücke eines grenzenlosen Ganzen. Aber das Wundervolle und Göttliche in ihr, das, wodurch sie sich so unendlich weit über die Kunst des Menschen erhebt, ist, daß jedes der kleinsten Gliedmaßen, aus welchen sie zu einem einzigen Leben- und Seelenvollen Körper innigst verwebt ist, eine Welt voll harmonischer Mannigfaltigkeit, eine unendliche Menge von organisierten Theilen enthält, deren jeder wieder als ein neues Ganzes betrachtet werden könnte, wenn die Werkzeuge unsrer Sinne fein und scharf genug wären, die besondern Eindrücke, die er auf uns macht, zu unterscheiden.

Hier verliert sich der Gedanke in einem uferlosen Ocean, und uns bleibt nichts übrig, als uns wieder in die Schranken unsrer eigenen Natur zurückzuziehen, und, dem Gesetz der Nothwendigkeit gehorchend, uns selbst (so klein wir sind) als den Kanon der Natur, unser Empfindungsvermögen als das Maß ihrer Schönheit, und unsre Kunstfähigkeit als eine schaffende Macht zu betrachten, welche berechtigt ist, den uns überlaßnen Erdschollen, unsre Welt, nach unsern eigenen Bedürfnissen, Zwecken und Begriffen zu bearbeiten, und in ein beschränktes Ganzes für uns zu unserm Nutzen und Vergnügen umzuschaffen.

Daher kommt es nun, daß wir die Natur nur in so fern schön finden, als das Schauspiel, womit sie uns umgiebt, oder der einzelne Gegenstand, den wir daraus absondern, und für sich betrachten, unsern Sinnen angenehm ist. Eben dieselbe Landschaft, die uns bey heiterem Himmel unter einem gewissen Winkel von der Sonne beleuchtet, in Entzücken setzt, giebt bey trüber Luft einen sehr gleichgültigen Anblick; eben dieselben Gegenstände, z. B. ein sumpfiger Boden, umgestürzte, ausgefaulte Baumstämme, schroffe mit schmutzigem Moose bewachsene Felsenstücke, tiefe finstre Höhlen, wildes struppichtes Gebüsche, – lauter Dinge, welche, einzeln und in der Nähe betrachtet, Unlust, Ekel und Grauen erregen, erscheinen aus einem entfernten Gesichtspunkt, und durch eine gewisse Beleuchtung in ein Ganzes verbunden, als ein reitzendes Gemählde. Vorzüglich aber erklärt sich daher, daß der Mensch keine schönere Gestalt kennt als seine eigene, und sich selbst, ohne sich dessen bewußt zu seyn, zum Typen aller schönen Formen macht. Da alles was die Natur hervorbringt, in seiner Art vollendet und vollkommen ist, wie käme der Krokodil oder die Kröte dazu, daß wir sie so häßlich und abscheulich finden, wenn nicht daher, weil der Kontrast ihrer Bildung und Gestalt mit der unsrigen so ungeheuer groß ist; da wir hingegen alle Arten von Thieren desto schöner finden, und um so viel mehr Anmuthung zu ihnen fühlen, je mehr die Formen und Proporzionen ihrer Bildung sich den unsrigen nähern; eine Bemerkung, die du sogar an solchen Naturgeschöpfen, welche die wenigste Ähnlichkeit mit uns zu haben scheinen, an Blumen, Stauden und Bäumen, bestätigst finden wirst, und wovon der Affe allein eine Ausnahme macht, weil er, durch einen Anschein von Ähnlichkeit, die mit der widerlichsten Häßlichkeit verbunden ist, der menschlichen Gestalt zu spotten, und den höchsten Grad von Verunstaltung und Abwürdigung derselben darzustellen scheint.

Es scheint mir nun ein leichtes, die verschiedenen Meinungen deiner Symposiasten nach dieser Ansicht der Sache zu vereinbaren oder zu berichtigen. Wenn wir zwischen dem, was ich die Elemente des Schönen nenne, und den schönen Naturerzeugnissen oder Kunstwerken, die daraus zusammengesetzt sind, gehörig unterscheiden, so heben sich alle Schwierigkeiten von selbst. Wir können von jenen keinen andern Grund angeben warum sie uns gefallen, als weil sie einen angenehmen Eindruck auf unsre Organe machen: bey diesen hingegen liegt der Grund tiefer, nehmlich in der Natur unsrer Seele selbst, welcher das innigste Wohlgefallen an Ordnung, Harmonie und Vollkommenheit wesentlich ist. Indessen ist auch bey dieser zusammengesetzten und vielgestaltigen Schönheit nicht zu vergessen, daß das, wodurch sie uns wirklich als schön erscheint und gefällt, bloß die schnell auf Einen Blick oder in einem untheilbaren Moment gefühlte Einheit im Mannigfaltigen ist; indem dieses Gefühl und mit ihm die Idee der Schönheit so bald verschwindet, als wir den Gegenstand zergliedern oder in seinen einzelnen Theilen und Elementen stückweise betrachten. Mit dem, was Eufranor über die Platonische Idee der Schönheit sagt, bin ich in so fern einverstanden, als ich sie für die Frucht einer natürlichen Täuschung halte, die daher entsteht, daß uns selten ein Gegenstand, sey es ein Werk der Natur oder der Kunst, vor die Augen kommt, der, unsrer Einbildung nach, nicht schöner seyn könnte als er uns erscheint. Indem wir dieß zu fühlen glauben, erzeugt sich in unsrer Fantasie ein mehr oder weniger klares Bild dieser höhern Schönheit, welches wir (dünkt uns) sogleich darstellen könnten, wenn wir die dazu nöthige Kunstfertigkeit besäßen; und daß es nichts anders ist, scheint mir daraus klar, daß so bald ein schöner Gegenstand uns gänzlich befriedigt, wir unser Ideal in ihm realisiert, ja wohl gar noch übertroffen zu sehen wähnen. Daß es solche Gegenstände gebe, kann wohl kein Unbefangener bezweifeln, der aus den Unsterblichen den Jupiter oder die Minerva des Fidias, und aus den Sterblichen die schöne Lais gesehen hat.

Ich müßte mich sehr irren, oder meine Filosofie des Schönen (wenn ich ihr anders einen so vornehmen Nahmen geben darf) ist auch auf das, was wir in sittlichem Verstande schön nennen, anwendbar. Auch hier finde ich meinen Unterschied zwischen den Elementen desselben und dem, was unser Verstand daraus zusammensetzt, wieder. Aufrichtigkeit, Unschuld, Güte, Treue, Dankbarkeit, Bescheidenheit, Sanftheit, Großherzigkeit, Geduld, Seelenstärke, und alle aus diesen Eigenschaften oder Tugenden entspringende Gefühle, Gesinnungen und Thaten nennen wir schön; weil sie uns, vermöge einer in unsrer Natur gegründeten Nothwendigkeit, gefallen, anziehen, Achtung und Liebe einflößen, wo, wann, und an wem wir sie gewahr werden, ohne alle Rücksicht auf das Nützliche, das sie für uns haben oder haben könnten. Im Gegentheil eine schöne That erscheint uns desto schöner, je mehr Selbstüberwindung und Aufopferung eigener Vortheile sie erfordert, und unser besonderes Ich kommt dabey so wenig in Betrachtung, daß, wofern der Mond Einwohner hätte und man erzählte uns irgend eine schöne That, die ein Mann im Monde vor zehen tausend Jahren gethan hätte, die Vorstellung derselben eben so auf uns wirken würde, als wenn sie vor wenig Tagen mitten unter uns geschehen wäre. Dieß erstreckt sich sogar auf die Thiere, an welchen wir etwas dieser oder jener Tugend ähnliches zu sehen glauben, ja noch weiter hinab bis ins Pflanzenreich, wo es, z. B. Blumen giebt, die uns durch Gestalt, Farbe und Wohlgeruch zu natürlichen Symbolen gewisser sittlicher Eigenschaften werden, und aus diesem Grunde, öfters auch ohne daß wir uns dessen bewußt sind, Personen von zärterem Gefühl eine sonderbare Art von Anmuthung einzuflößen vermögen.

Einen aus jenen Eigenschaften, als den Elementen oder Grundzügen des Sittlichschönen richtig zusammen gesetzten Karakter nennen wir schön, weil und sofern er sich uns als ein mit sich selbst harmonisches und in sich selbst vollendetes Ganzes darstellt. Das schönste in dieser Art wäre also unstreitig ein ganzes Leben, welches, aus lauter schönen Gesinnungen und Thaten zusammengesetzt, uns das Anschauen der reinsten Harmonie aller Triebe und Fähigkeiten eines Menschen zu Verfolgung des großen Zwecks der möglichsten Selbstveredlung und der ausgebreitetsten Mittheilung gewähren würde. Ein solcher Karakter in einem solchen Leben dargestellt, würde für die Formen und Proporzionen des sittlichen Menschen eben das seyn, was der Kanon des Polykletus für die richtigsten Verhältnisse des menschlichen Körpers. Denn unleugbar giebt es in beiden ein Schönstes, über welches die Fantasie nicht hinausgehen darf, wenn sie des wahren Ebenmaßes nicht verfehlen, und statt schöner Gestalten schöne Ungeheuer hervorbringen will. Die Einbildung, daß sich immer noch etwas schöneres denken lasse als das Schönste was uns die Natur wirklich darstellt, ist bloße Täuschung; und ich bin auch über diesen Punkt gänzlich der Meinung deines Freundes Eufranor, der es zu verdienen scheint, daß du ihm hierin zur vollständigsten Überzeugung verhelfest.

Deiner Einladung zur Feier der bevorstehenden Poseidonien in Ägina (denn dafür darf ich doch wohl ohne mir zu viel zu schmeicheln die Frage am Schluß deines Briefes nehmen?) würde ich mit der lebhaftesten Dankbarkeit entgegen fliegen, wenn ich mich nicht gegen einen der angesehensten Rhodier verbindlich gemacht hätte, seinen Sohn auf einer Reise nach Cypern zu begleiten. So fern von Ägina als ich dann seyn werde, könnt' ich mich um so leichter versucht fühlen, meine Wanderungen zu Wasser und zu Lande noch eine gute Strecke weiter auszudehnen. Den Vorsatz trage ich schon lange mit mir herum, und soll er jemahls ausgeführt werden, so muß es jetzt geschehen, da die Entfernung von dir schon so groß ist, daß etliche tausend Parasangen mehr oder weniger keinen sonderlichen Unterschied machen.


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