Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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Ein edler junger Athener trat mit einem zierlich gekleideten fremden Jüngling Arm in Arm in die Gallerie. Sie eilten mit flüchtigen Blicken von einem Bilde zum andern, und blieben endlich vor dem Tode des Sokrates stehen.

Kein unfeines Stück, sagte der Athener mit einer kalten Kennermiene.

DER FREMDE. Was es wohl vorstellt?

ICH. Vermuthlich Sich Selbst.

DER FREMDE. Wie meinst du das?

ICH. Um mich deutlicher zu erklären, es ist eine Art von Räthsel, oder Hieroglyf.

ATHENER. Das nenn' ich sich deutlich erklären! Es gehört also ein Schlüssel dazu?

ICH. Er steckt im Gemählde.

DER FREMDE. Wie kriegt man ihn aber heraus?

ICH. Jeder muß ihn selbst finden; darin liegt ja der Spaß bey allen Räthseln.

DER ATHENER. Wenn's der Mühe des Suchens werth ist.

DER FREMDE. Ich wollte wetten, dieses hier stellt den Tod des Sokrates vor.

ICH. Ich auch; aber wenn du darauf wetten wolltest, warum fragtest du?

DER FREMDE. Um meiner Sache gewiß zu seyn. Nun sehe ich wohl, je länger ich's betrachte, daß es nichts anders ist. Ich kenne die meisten dieser Männer von Person; sie sind zum Sprechen getroffen. Den alten Filosofen hab' ich freylich nicht mehr besuchen können, weil er schon lange todt war; aber man erkennt ihn auf den ersten Blick an seiner Silenengestalt, an der aufgestülpten Nase, und an dem Giftbecher, den er so eben aus der Hand des Nachrichters empfangen hat.

ICH. Gut für mich, daß der Mahler dieses Bildes uns nicht zuhört.

DER FREMDE. Wie so, wenn man fragen darf?

ICH. Weil er seine Arbeit in den nächsten Ziegelofen werfen würde, wenn er dich so reden hörte.

DER FREMDE. Ich dächte doch nicht, daß ich etwas so unrechtes gesagt hätte. Es verdrießt dich doch nicht, daß ich den Schlüssel zu deinem Räthsel so leicht gefunden habe?

ICH. Als ob man dir so was nicht auf den ersten Blick zutraute!

DER FREMDE. Gar zu schmeichelhaft! Ich gebe mich für keinen Ödipus aus; aber das darf ich sagen, mir ist noch kein Räthsel vorgekommen, das ich nicht errathen hätte.

ICH. Mit Erlaubniß, was bist du für ein Landsmann?

DER FREMDE. Ein Abderit, zu dienen.

ICH. So denk' ich, wir lassen das Gemählde wo es ist.

DER FREMDE. Zum Verbrennen wär' es wirklich zu gut.

DER ATHENER. Das sollt' ich auch meinen. Wenn es dir über lang oder kurz feil werden sollte, lieber Aristipp, so bitt' ich mir den Vorkauf aus. Es hat ein warmes Kolorit, und sollte sich nicht übel in der Gallerie ausnehmen, die ich nächstens von meinem alten Oheim, dem General, zu erben hoffe. Und hiermit schlenderten die jungen Gecken wieder fort. Das lustigste ist, daß der Fremde (der sich Onokradias nennt, und ein Sohn des Archon von Abdera seyn soll) von dieser Stunde an eine sonderbare Anmuthung zu meiner Person äußert, und mich allenthalben, wo es nur immer angehen will, wie mein Schatten begleitet. Du wirst lachen, Kleonidas, aber ich habe wirklich große Lust einen Versuch zu machen, ob ich aus diesem Stück Feigenholz, wo nicht einen Merkur, wenigstens – einen leidlichen Abderiten schnitzeln könne. Der junge Mensch zeichnet sich durch eine ganz eigene Mischung von treuherziger Albernheit, und plattem instinktartigen Hausverstand, mit einer Porzion gutlauniger Schalkheit und angeborner Arglosigkeit versetzt, so sonderbar zu seinem Vortheil aus, daß ich mich leicht an seine Gesellschaft gewöhnen könnte. Vermuthlich um sich in desto größere Achtung bey mir zu setzen, machte er mich ungefragt mit seiner ganzen Familie bekannt. Sein Vater, zur Zeit erster lebenslänglicher Vorsteher der Republik Abdera, nenne sich, (sagte er) Onolaus der zweyte. Mein Großvater, fuhr er fort, der als Nomofylax starb, führte meinen Nahmen, oder vielmehr ich den seinigen; denn ihm zu Ehren nannten sie mich Onokradias. Mein Ältervater Onages folgte seinem Vater Onolaus dem ersten in der Würde eines Stadthauptmanns; und so gings immer in aufsteigender Linie fort, so daß ich mich im Nothfall rühmen könnte, von einem der ältesten und verdientesten Häuser unsrer Republik abzustammen. – Aber, fragte ich ihn, was kann wohl, wenn diese Frage nicht unbescheiden ist, die Ursache seyn, warum deine Vorältern eine so sonderbare Vorliebe zu dem Worte onos gefaßt haben, daß von dem Ältervater des Ältervaters her alle euere Nahmen mit onos zusammengesetzt sind? Nicht, als ob es Euch in meinen Augen nicht zur Ehre gereichen sollte, daß ihr das Vorurtheil verachtet, welches gewissen Nahmen einen gewissen Einfluß – Ich verstehe, fiel er mir lachend in die Rede: wir könnten wohl mit gutem Fug stolz darauf seyn, daß wir vielleicht die Einzigen sind, die einem ungerechter Weise zurückgesetzten wackern Hausthiere die ihm gebührende Ehre nicht versagen. Wenigstens sehe ich nicht, warum Löwe und Wolf, oder Pferd und Ochs, die sich in so vielen Griechischen Nahmen hören lassen, hierin ein Vorrecht vor dem Esel haben sollten. Aber das ist denn doch die wahre Ursache dieser sonderbaren Familiensitte unsers Hauses nicht: dieser liegt eine eben so sonderbare Begebenheit zum Grunde. Einer meiner Ahnherrn lag an einem Brustgeschwür so krank darnieder, daß die Ärzte versicherten, der Augenblick, da es aufbräche, würde der letzte seines Lebens seyn. In banger Erwartung standen alle seine Kinder und Hausgenossen um ihn her, als der Kranke durch die offne Thür seines Gemachs einen Esel erblickte, der von ungefähr über einen großen Korb voll Feigen gerathen war, und während er mit der gierigsten Freßlust in dieses ihm so ungewohnte Ambrosia hineinarbeitete, sein eselhaftes Wohlbehagen durch die seltsamsten Maulverzerrungen zu erkennen gab. Dieser Anblick kam dem Kranken so possierlich vor, daß er in ein heftiges Gelächter ausbrach, wovon das besagte Geschwür so glücklich zerplatzte, daß seine Brust in wenig Augenblicken wieder frey ward, und es dem Arzte nun ein leichtes war, den Kranken in kurzer Zeit gänzlich wieder herzustellen. Sofort beschloß mein Ahnherr im ersten Feuer seiner Dankbarkeit, das Andenken einer so wunderbaren Rettung auch auf eine außerordentliche Art in seiner Familie zu verewigen. Er nahm nicht nur selbst auf der Stelle den Namen Onogelastes an, sondern legte zugleich seinem Sohn und seinem Enkel die Nahmen Onobulus und Onomemnon bey, und verordnete als ein unverbrüchliches Familiengesetz, daß von nun an zu ewigen Zeiten alle seine Abkömmlinge männlichen Geschlechts keine andern als mit onos zusammengesetzte Nahmen führen sollten. Überdieß machte er auch eine Stiftung, aus welcher, bereits über drey hundert Jahre lang, jährlich an dem Tage des besagten Wunders allen Eseln in ganz Abdera zehen trockne Feigen auf den Kopf gereicht werden; daß also das Gedächtniß dieser Begebenheit sogar die gänzliche Erlöschung unsrer Familie (welche die Götter verhüten wollen!) überleben, und wenigstens so lange dauern wird, als die Stadt Abdera auf ihren Fundamenten stehen bleibt.«

Ich weiß nicht, Kleonidas, ob ich dich um Vergebung bitten muß, daß ich dich mit solchen Albernheiten unterhalte; mir ist ein Mensch wie dieser Onokradias in seiner Art eben so merkwürdig, als irgend ein anderer ausgezeichneter Mann in der seinigen. Der Fehler ist nur, daß ich dir den Ton und die Miene des ehrlichen Abderiten nicht unmittelbar darstellen kann. Gewiß, du würdest finden, daß ich nicht so Unrecht habe, diesen würdigen Abkömmling des edeln Onogelastes in mein Herz zu schließen.

Eurybates erinnert sich euer oft und mit vielem Wohlwollen. Die schöne Droso besitzt nicht nur die Gabe glänzende Eroberungen zu machen; sie weiß sich auch in ruhigem Besitz derselben zu erhalten, und unser Freund scheint die leichten goldnen Kettchen, womit sie ihn an sich gefesselt hat, mit sehr guter Art zu tragen. Sie hat ihn mit einem Sohne beschenkt, der ihm an Gestalt und Sinnesart so ähnlich ist, daß er sich (was nicht bey allen Athenern der Fall seyn soll) ohne sich selbst oder andern lächerlich deswegen vorzukommen, ganz laut zu ihm bekennen darf.

Ich brauche dir nicht zu sagen, wie groß mein Verlangen nach guten Nachrichten von meinen Geliebten in Cyrene ist, und wie sehr ich dirs danken werde, wenn du einen Weg ausfindig machst, wie wir uns oft und sicher schreiben können. Melde mir auch mit zwey Worten, wie das neue Räderwerk eurer Republik geht, und sage meinem guten Bruder viel freundliches in meinem Nahmen.


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