Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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Was meinst du nun, Glaukon (fährt Sokrates fort) sollten wir, wenn uns die Erhaltung unsrer Republik am Herzen liegt, nicht immer gerade einen solchen Mann zum Vor steher derselben nöthig haben? – Mit dieser leichten Wendung führt er uns zu der dritten Klasse seiner Staatsbürger, nehmlich zu den Archonten oder obrigkeitlichen Personen, deren die beiden ersten benöthigt sind, wenn diese unwandelbare Ordnung, Harmonie und Einheit in der Republik erhalten werden soll, in welcher ihr Wesen besteht, und wodurch sie sich von allen unsern ungesunden, baufälligen und ihrer Zerstörung, langsamer oder schneller, entgegen eilenden Republiken unterscheidet. Was er hier von dieser obersten Klasse seiner Staatsbürger überhaupt, und von dem Obervorsteher oder Epistaten des ganzen Staats sagt, ist zwar nur ein bloßer, mit wenigen Pinselstrichen entworfener Umriß, wovon er sich die Ausführung stillschweigend vorbehält; aber auch in diesem entwickelt sich alles so leicht und schön, ist alles so richtig gedacht, in so zierliche Formen eingekleidet, und erhält durch überraschende Wendungen einen so eigenen Zauber von Genialität und Neuheit, daß man ihm Tage lang zuhören möchte, wenn er sich in dieser Sokratischen Manier zu filosofieren so lange erhalten könnte.

Um so auffallender ist es, wenn wir seinen Sokrates, den wir eine geraume Zeit lang so verständig, wie ein Mann mit Männern reden soll, reden gehört haben, sich plötzlich wieder in den Platonischen verwandeln, und in eine andre Tonart fallen hören, welche wir (mit aller ihm schuldigen Ehrerbietung gesagt) uns nicht erwehren können, unzeitig, seltsam, und, mit dem rechten Wort gerade heraus zu platzen, ein wenig läppisch zu finden. »Wie wollen wir es nun anstellen (fragt er den Glaukon) um vornehmlich die Archonten unsrer Republik, oder doch wenigstens die übrigen Bürger, eine von den gutartigen Lügen glauben zu machen, von denen wir oben (als die Rede von den Fabeln und Lügen der Dichter war) ausgemacht haben, daß sie zuweilen zulässig und schicklich seyen?« – Glaukon, den diese unerwartete Frage vermuthlich eben so stark vor die Stirne stieß als uns, kann sich nicht vorstellen, was für eine Lüge Sokrates im Sinne habe. – »Sie ist nichts Neues, versetzt Sokrates; denn sie stammt schon von den Föniziern her, und hat sich, wie die Poeten mit großer Zuversichtlichkeit versichern,Daß Plato durch dieses Vorgehen seinem Mährchen eine Art von Beglaubigung geben wolle, ist klar genug: aber worauf er die Fönizische Abkunft desselben gründet, und wer die Dichter sind, welche versichern, es habe sich an vielen Orten zugetragen, weiß ich nicht. Denn daß er auf die bewaffneten Männer anspiele, die aus der Erde hervor gesprungen seyn sollen, als der Fönizier Kadmus die Zähne des von ihm erlegten Kastalischen Drachen in die Erde säete, oder auf die goldnen, silbernen, ehernen, heroischen und eisernen Menschen des Hesiodus, die nicht zugleich, sondern in auf einander folgenden Generazionen, nicht aus dem Schooß der Erde hervor sprangen, sondern von den Göttern gebildet und zum Theil gezeugt wurden, – ist mir nicht wahrscheinlich. Doch vielleicht will er mit dieser anscheinenden Beglaubigung seines in der That gar zu abgeschmackten Mährchens nicht mehr sagen, als mit dem etwas platt scherzhaften Zweifel seines Sokrates, »ob es sich künftig jemahls wieder zutragen dürfte.« vor Zeiten an vielen Orten zugetragen. In unsern Tagen ereignet sich freylich so etwas nicht mehr, und ich weiß nicht, ob es sich künftig jemahls wieder zutragen dürfte.« – Es muß etwas seltsames seyn, daß du so hinterm Berge damit hältst, sagt Glaukon. – »Wenn du es gehört haben wirst, antwortet Sokrates, wirst du finden daß ich Ursache hatte, nicht gern damit heraus zu rücken.« – Sag es immerhin und befürchte nichts. »Nun so will ichs denn sagen, wiewohl ich selbst nicht weiß, wo ich die Kühnheit und die Worte dazu hernehme.« Nachdem er durch diesen dramatischen Kunstgriff die Erwartung seiner Zuhörer aufs höchste gespannt hatte, mußte ihnen doch wohl zu Muthe seyn als ob sie aus den Wolken fielen, da er fortfuhr: »Vor allem also will ich mich bemühen, die Archonten meiner Stadt und die Krieger, und dann auch die übrigen Bürger dahin zu bringen, daß sie sich einbilden, alles was bisher mit ihnen vorgegangen und die ganze Erziehung, die wir ihnen gegeben haben, sey ein bloßer Traum gewesen. Dagegen sollen sie glauben, sie selbst sammt ihren Waffen und allem ihrem übrigen Geräthe seyen wirklich und wahrhaftig im Schooß der Erde gebildet, genährt und ausgearbeitet worden; und erst, nachdem sie in allen Stücken fertig und vollendet da gestanden, habe die Erde, ihre Mutter, sie zu Tage gefördert. Demnach sey es ihre erste Pflicht, das Stück Erde, welches sie bewohnen, als ihre Mutter und Erzieherin zu betrachten, jeden feindlichen Anfall von ihr abzuhalten, und alle ihre Mitbürger, ebenfalls Kinder derselben Erde, als ihre Brüder anzusehen.« – Nun begreif' ich freylich, sagt Glaukon, warum du mit einer so platten Lüge so verschämt zurück hieltest. – »Da hast du wohl Recht, versetzt Sokrates; aber höre nun auch den Rest des Mährchens. Ihr alle, (werden wir nun, die Fabel fortsetzend, zu ihnen sagen) so viele euer in dieser Stadt leben, seyd Brüder; aber der Gott, der euch bildete, vermischte den Thon, den er dazu nahm, mit ungleichartigem Metall. Bey denjenigen von euch, die zum Regieren tauglich sind, mischte er Gold unter den Thon, daher sind sie die geehrtesten von allen; zu denen, die er für den Soldatenstand bestimmte, Silber; Kupfer zu den Ackerleuten, und Eisen zu den übrigen Handarbeitern. Da ihr nun alle zu einer und eben derselben Familie gehört, so zeugt zwar meistens jeder seines gleichen; doch geschieht es auch wohl zuweilen, daß sich aus Gold Silber, und dagegen aus Silber Gold, und eben so auch Kupfer aus Silber, oder Gold aus Kupfer erzeugt, und so weiter. Diesem zu Folge macht der Gott, euer Schöpfer, den Regierern zur ersten und wichtigsten Pflicht, die Kinder, die unter euch geboren werden, genau zu untersuchen, mit welchem von den besagten vier Metallen ihre Seelen legiert sind, und wofern ihnen selbst kupfer- oder eisenhaltige geboren würden, sie ohne Schonung, wie es ihrer Natur gemäß ist, in die Klasse der Handwerker oder Ackerleute zu versetzen; hingegen, wofern diese letztern einen gold- oder silberhaltigen Sohn erzeugten, solchen in die Klasse der Regierer, oder der Vertheidiger der Republik zu erheben; und dieß einem Orakel zu Folge, welches dem Staat den Untergang ankündigt, wofern er je von Kupfer oder Eisen regiert würde.«

Was sagst du zu diesem Ammenmährchen, Eurybates? Sollte der göttliche Plato wohl eine so verächtliche Meinung von seinen Lesern hegen, daß er für nöthig hält, uns von Zeit zu Zeit wie kleine Knaben mit einem Fabelchen in diesem kindischen Geschmack zufrieden zu stellen, weil er uns nicht Menschenverstand genug zutraut, eine männlichere Unterhaltung, wie z.B. die unmittelbar vorhergehende, in die Länge auszuhalten? Wenn er es ja für dienlich hielt, zu mehrerem Vergnügen der Leser den Ton zuweilen abzuändern, wie konnt' er sich selbst verbergen, daß nur Kinder, die noch unter den Händen der Wärterin sind, an einem so platten Mährchen Gefallen haben könnten? Oder sollte er vielleicht die geheime Absicht, die ihm Schuld gegeben wird, wirklich hegen, die Ilias aus den Kinderschulen der Griechen zu verdrängen, und diesen Dialog bloß darum mit so vielen Fabeln und allegorischen Wundermährchen gespickt haben, um desto eher hoffen zu können, sich selbst dereinst an die Stelle des verbannten Homers gesetzt zu sehen? Beynahe muß man auf einen solchen Argwohn verfallen; zumahl wenn man die sonderbare Hitze bedenkt, womit er sich an mehrern Stellen dieses Werkes mit einer sonst kaum begreiflichen Ausführlichkeit beeiferte den sittlichen Einfluß der Werke unsrer Dichter auf die Jugend in das verhaßteste Licht zu stellen. Wie dem auch seyn mag, immer ist es lustig genug, zu sehen, wie er seinen Sokrates vorbauen läßt, daß die Leser sein fönizisches Mährchen nicht für so ganz einfältig und anspruchlos halten möchten als es aussieht. – Weißt du wohl ein Mittel, läßt er ihn den Glaukon fragen, wie man unsre Leute dieses Mährchen glauben machen könnte? Sie selbst nicht, antwortet Glaukon, aber wohl allenfalls ihre Söhne und Nachkommen und die andern Menschen der Folgezeit, sollt' ich denken. Ich merke wo du hinaus willst, versetzt Sokrates; es könnte doch immer dazu gut seyn, sie desto ernstlicher besorgt zu machen, daß die Absicht des Orakels erreicht werde; – nehmlich, daß die Republik nicht durch die üble Staatsverwaltung kupferner und eiserner Regenten zu Grunde gehe. – Wenn diese Reden nicht ganz ohne Salz seyn sollen, muß man, dünkt mich, annehmen, Glaukon und Sokrates werfen hier beide einen Seitenblick auf Athen und andere Griechische Städte, in welchen die schlechten Metalle dermahlen ein sehr nachtheiliges Übergewicht zu haben scheinen. Aber wozu hatte Plato – er, der an mehrern Stellen dieses Dialogs seinen Mitbürgern und Zeitgenossen die derbesten und ungefälligsten Wahrheiten ganz unverblümt ins Gesicht sagt – wozu hatte er gerade hier einer so zwecklosen Behutsamkeit nöthig?


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