Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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XXVI.
Aristipp an Lais.

Es war der allesvermögenden Lais Anaximandra vorbehalten, uns an Sokrates eine Seite zu zeigen, die ohne sie entweder gar niemahls, oder wenigstens in keinem so schönen Lichte, sichtbar geworden wäre. Die ganze Art seines Benehmens gegen dich macht ihn in meinen Augen sehr ehrwürdig, und besonders am letzten Tage ist er so ganz Sokrates, so ganz, was nur er allein seyn kann, der seltenste, oder soll ich sagen seltsamste, Hermafrodit von Vernunft und Schwärmerey, den die menschliche Natur vielleicht jemahls hervorgebracht hat! Wirklich glaube ich, daß du dir nicht zu viel schmeichelst, wenn du ihn (wiewohl nur im Scherz) unter deine Liebhaber zählest. Wer weiß, ob du nicht wohl gar diesen filosofischen Herkules so weit hättest bringen können als weiland deine Zauberschwester Omfale den Thebanischen, wenn es nicht Grundsatz bey ihm wäre, in solchen Nothfällen sich eines schnellwirkenden Hausmittels zu bedienen. Ich wollte wetten, seine griesgrämische Xantippe hat ihn in zwanzig Jahren nicht so zärtlich gesehen, als während deines Aufenthalts in Athen.

Schön war es von dir, liebe Laiska, daß du ihm noch in den letzten Augenblicken deinen wahren Nahmen entdecktest, und noch schöner das Spiel des Zufalls, daß du ihm nichts offenbartest als was er schon wußte. Vermuthlich muß er dem Eurybates das Geheimniß abgelockt haben; denn er besitzt einen zu scharfen Spürsinn, als daß er nicht hätte merken sollen, daß es mit der Anaximandra von Cyrene, Aristipps Verwandtin, nicht ganz richtig sey. Übrigens hoffe ich, durch deinen genialischen Einfall, dich in persönliches Verhältniß mit Sokrates zu setzen, ein beträchtliches bey ihm gewonnen zu haben; oder, wofern er mich nach meiner Zurückkunft nicht mit günstigern Augen ansieht, werde ich geradezu behaupten, daß es bloße Eifersucht darüber sey, daß meine Weisheit mir nicht verbietet – glücklicher zu seyn als er. Wirklich zieht mich die Neugier, zu sehen wie er mich aufnehmen wird, mächtig nach Athen zurück. Aber ich bin seit etlichen Tagen zu Lemnos, und dem Schauplatze der Homerischen Gesänge zu nahe, um es bey den Musen verantworten zu können, wenn ich nicht nach der Trojanischen Küste vollends hinüber setzen wollte. Indessen hoffe ich längstens in acht Wochen, mit Hülfe der nördlichen Winde, die um diese Zeit regieren, wieder in Athen zu seyn; und dort, schöne Lais, schmeichle ich mir einen Brief von dir zu finden, der mir sagt, ob dir indessen irgend ein günstiger Wind einen Liebhaber zugeweht hat, der dich des alten Sokrates vergessen machen kann.


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