Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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XXXIX.
An Ebendenselben.

Seit kurzem giebt uns Dionysius ein Schauspiel zu Syrakus, dessen gleichen vielleicht noch nie in der Welt gesehen worden ist. Alles was in den fünf Städten, woraus diese ungeheure Stadt besteht, Hände und Füße hat, ist in Bewegung; alle Häuser, Straßen und Märkte wimmeln von geschäftig hin und her eilenden Menschen; auf allen Schiffswerften, auf allen großen Plätzen in und außerhalb der Stadt, arbeiten Zimmerleute und Schmiede zu Tausenden; die Ufer ringsumher sind mit Schiffbauholz und Mastbäumen bedeckt, wovon täglich große Schiffsladungen vom Ätna und aus den Apenninischen Gebirgen anlangen, und Myriaden von Zeug- und Waffenschmieden und andern Handarbeitern machen den ganzen Tag ein Getöse, wovon einem Tauben die Ohren gellen möchten. Mit Einem Worte, Dionysius hat gerade zur gelegensten Zeit den glücklichen Gedanken gefaßt, Sicilien von den Überfällen der Karthager auf immer zu befreyen, und macht zu diesem Ende Zurüstungen und Anstalten, welche hinlänglich scheinen könnten, wenn er den ganzen Erdboden zu erobern gesonnen wäre. Aber was noch mehr ist, er hat Mittel gefunden, die Syrakusaner für seinen Plan einzunehmen und in eine so fanatische Begeisterung zu setzen, daß jedermann sich in die Wette beeiferte seine Absichten zu befördern, seine Befehle zu vollziehen und seinen Beyfall zu verdienen. Außer seinen Syrakusiern und andern Sicilianern hat er aus Italien und Griechenland die erfindsamsten Köpfe und die geschicktesten Mechaniker und Kunstarbeiter zusammen gebracht. Er selbst ist die Seele, die alle Verrichtungen dieser ungeheuern Masse von Menschen leitet und belebt. Für alles was gearbeitet wird, besonders für allerley neue Kriegsmaschinen, die eine erstaunliche Wirkung thun sollen, und eine Art von Galeeren mit fünf Reihen Ruder, von seiner eigenen Erfindung (sagt man) hat er Modelle verfertigen lassen, nach welchen alles in der möglichsten Vollkommenheit gearbeitet wird; und ansehnliche Preise sind für diejenigen ausgesetzt, die in jedem Fache die beste Arbeit liefern. Dionysius selbst ist überall persönlich zugegen, sieht und beurtheilt mit der Schärfe und Billigkeit einer echten Sachkenntniß was gethan wird, spricht freundlich mit den Arbeitern, muntert ihren Fleiß durch Lob und kleine Belohnungen auf, zieht sogar jeden, der sich in seinem Fache besonders hervorthut, an seine Tafel, kurz, bezaubert alle diese Menschen durch eine Leutseligkeit und Popularität, die ihm alle Herzen – auf wie lange möcht' ich nicht sagen – aber gewiß so lang' als er ihrer und sie seiner bedürfen, gewinnen muß. Seine bittersten Feinde, die Aristokraten, sehen sich genöthigt mit dem Strom des allgemeinen Enthusiasmus fortzutreiben, ihren Ingrimm hinter lächelnde Hofgesichter zu verstecken, und durch den thätigen Antheil, den sie an seinen Anstalten nehmen, ihren – Patriotism zu erproben.

Einem Staatsmann von deiner Einsicht, edler Learchus, habe ich durch diese bloße kunstlose Angabe dessen was ich hier täglich sehe, einen tiefern Blick in den Karakter des merkwürdigen Mannes eröffnet, der jetzt an der Spitze der Sicilier steht und die Aufmerksamkeit aller Griechen erregt, als ich durch die mühsamste Aufzählung eines jeden einzelnen Zugs vielleicht bewirkt hätte. Dionysius versichert sich nicht allein durch alle diese Vorbereitungen des Sieges über den mächtigen Feind, den er zu bekämpfen haben wird; er versichert sich zugleich der Zuneigung des Volks, das ihn, anstatt wie andre Herrscher sich dem Müßiggang und den Wollüsten zu überlassen, mit großen Planen zum allgemeinen Glück Siciliens beschäftigt sieht; er benimmt dadurch seinen Feinden den Muth etwas gegen ihn zu unternehmen, und legt einen so festen Grund zu einer lange daurenden Regierung, daß ich eine große Wette eingehen wollte, er wird, wo nicht immer eben so ruhig, doch gewiß eben so sicher auf seinem usurpierten Throne sitzen, als ob er kraft eines längst verjährten Erbrechts zum König geboren wäre.

Du kannst dir nun selbst vorstellen, Learchus, – du der den Geist des Volks, der sich allenthalben gleich ist, kennt – wie stolz die große Mehrheit der Syrakusaner in diesem Augenblick auf ihren Fürsten seyn muß; wie geschmeichelt sie sich durch den Antheil fühlen, den er sie, mit der schlauesten Popularität, an seiner Größe nehmen läßt; und wie gewaltig sie der Anblick aller der Wunder verblendet, die sie täglich vor ihren Augen entstehen sehen, und die er freylich ohne alle Hexerey bloß dadurch bewirkt, daß er, mittelst kluger Anwendung der Kräfte und Schätze einer mächtigen Republik, so viele Köpfe, Arme und Hände zu einem einzigen großen Zweck in zusammen stimmende Thätigkeit zu setzen weiß. Kurz, Dionysius hat das wahre Mittel gefunden, die Syrakusaner (eine Zeitlang wenigstens) vergessen zu machen, daß er einst ihr Mitbürger war; er erscheint vor ihren Augen im vollen Glanz des homerischen Agamemnons, den Göttern gleich und der Herrschaft würdig, die dem tapfersten, klügsten und thätigsten, so lange der Enthusiasm, den er einhauche, währt, zu allen Zeiten so willig eingeräumt worden ist.

Ich habe, seitdem ich ihm vom Filistus und Hippias vorgestellt wurde, öfters Gelegenheit gehabt ihn reden zu hören und handeln zu sehen, und werde täglich mehr in der Meinung bestärkt, daß jedes an die Monarchie gewöhnte Volk sich unter einem Fürsten wie er glücklich achten würde. Schon sein Äußerliches kündigt einen Mann an, der besser zum Regieren als zum Gehorchen taugt. Er ist groß und stark gebaut; seine Gesichtsbildung edel, männlich, und wofern mich mein fysiognomischer Sinn nicht betrügt, mehr Klugheit und Gewalt über sich selbst, als Unerschrockenheit und Selbstvertrauen bezeichnend; seine Augen klein aber feurig; sein Blick scharf, umherspähend und beynahe laurend; seine Miene, so bald er will, einnehmend, aber, so wie er sich vergißt, kalt, finster, abschreckend, und wenn er zum Zorn gereitzt wird, fürchterlich. Daß er überhaupt eher das Ansehen eines Demagogen als eines Königs hat, scheint ihm in seiner Lage vielmehr vortheilhaft als nachtheilig, und ist eine eben so natürliche Folge des Standes worin er geboren, und der Bestimmung, für welche er erzogen wurde und sich selbst ausbildete, als daß er unendlich mehr Kenntnisse besitzt, und alles was er weiß viel gründlicher weiß, als bey Personen gewöhnlich ist, die das durch den Zufall der Geburt sind, was er durch sich selbst geworden ist. Aus eben diesem Grunde kann ihm, däucht mich, zu keinem besondern Verdienst angerechnet werden, daß er, der selbst ein Gelehrter und ein Mann von Talenten ist, Wissenschaft und Kunst liebt, Gelehrte und Künstler ehrt, und sich besser in ihrem Umgang gefällt als unter Leuten, die sich durch ihren Stammbaum oder ihre glänzenden Glücksumstände über die Nothwendigkeit eines persönlichen Werths erhaben glauben. Hingegen scheint es mir auch unbillig, ihm (wie viele thun) einen Vorwurf daraus zu machen, daß er in seinen Erhohlungsstunden – Verse macht, und vielleicht bessere als von königlichen Versen gefordert werden kann. Bis jetzt wenigstens scheint er seinen Umgang mit der tragischen Muse, in die er stark verliebt seyn soll, noch sehr geheim zu halten; und in der That fordert die große Tragödie, die er selbst zu spielen vorhat, seine ganze Thätigkeit in einem so hohen Grade, daß ihm weder Zeit noch Lust übrig bleiben kann, sich in einen Wettlauf mit Sofokles und Euripides einzulassen.

Über seinen Karakter urtheilen zu wollen, würde von mir in zweyfacher Rücksicht verwegen seyn; nur dieß wage ich zu behaupten, daß er von Natur nichts weniger als so gefühllos und grausam ist, wie ihn seine Gegner schildern. Um ihn zu dem kühnen Entschluß zu bringen, dessen guten Erfolg er viel weniger dem Glück als seiner Klugheit und Geschicklichkeit zu danken hat, brauchte es nur zwey Blicke, einen auf Syrakus und Sicilien überhaupt, und einen in sich selbst. Jenen war nur durch Vereinigung unter Einen unbeschränkten Herrscher zu helfen, und das Talent, dieser Herrscher zu seyn, fühlte er in sich. Als der Entschluß einmahl gefaßt und das Spiel angefangen war, mußte er nun alles darauf setzen. Alles gewinnen oder alles verlieren! ein drittes gab es jetzt nicht mehr für ihn. Natürlich war das erste sein Zweck, und wer den Zweck will, will die Mittel. In seiner Vorstellungsart konnten die Kämpfe mit den Aristokraten und Demagogen, wenn sie auch noch weit mehr Köpfe und Proscripzionen gekostet hätten als sie wirklich kosteten, kein Grund seyn, der reitzenden Basileia nicht nachzustreben. Aber daraus schließen zu wollen, er müsse nothwendig grausam, blutdürstig und der unmenschlichsten Gräuel fähig seyn, wäre ein eben so falscher als unbilliger Schluß. Was er that, war nicht mehr als wozu er theils durch den wüthenden Widerstand der Gegenpartey gezwungen, theils durch ihre mehr als barbarische Mißhandlung seiner Gemahlin auf eine Art gereitzt wurde, die den sanftesten aller Menschen zum Wütherich gemacht hätte. Auch ist gewiß, daß seine Feinde das, was wirklich geschah, sehr übertrieben haben; und ich zweifle sehr, ob unter denen, die er auf seinem Wege zum Thron, weil sie sich selbst unter die Räder seines Wagens warfen, zertreten mußte, oder den racheschreyenden Manen einer geliebten Gattin opferte, nur ein einziger war, dessen Tod ein Verlust für den Staat gewesen ist.

Wie dem aber auch seyn möchte, daß er, seitdem man ihn ruhiger regieren läßt, seinen höchsten Stolz darein setzt, zum Glück Siciliens zu regieren, beweisen alle seine Handlungen, und (wie ich neulich dem Syrakusaner sagte) wofern er in der Folge mehr in Hierons als in Gelons Fußstapfen treten sollte, so wird niemand Schuld daran seyn als die Syrakusaner selbst. Dieß, edler Learch, ist dermahlen alles, was ich dir vom Dionysius zu sagen weiß, und ich setze nur hinzu, daß Hippias über dieß alles mit mir gleicher Meinung ist.

Ob die Griechen des festen Landes Ursache haben, über die immer wachsende Macht dieses Fürsten eifersüchtig zu seyn, zumahl wenn es ihm (was vielleicht bey seiner Unternehmung gegen Karthago seine Hauptabsicht ist) gelingen sollte, sich von ganz Sicilien Meister zu machen, überlasse ich deiner tiefer sehenden Staatsklugheit. Mir (wenn ich im Vorbeygehen meine unbedeutende Meinung sagen darf) scheint Korinth bey seinen ehrgeitzigen Planen am wenigsten gefährdet zu seyn, aber wohl im Gegentheil sich, durch eine gelegenheitliche Verbindung mit ihm, eine kräftige Stütze gegen die Übermacht und die Anmaßungen der Athener und Spartaner verschaffen zu können. Übrigens bedarf es bey dir wohl keiner Versicherung, daß ich nicht den geringsten Vortheil dabey suche noch finde, wenn ich den Syrakusischen Tyrannen aus der düstern, verzerrenden und grausenhaften Beleuchtung, in welche sein Karakter mit absichtlich bösem Willen von seinen Feinden gesetzt wird, in das reine, nichts verbergende noch verfälschende Sonnenlicht gestellt habe. Er bedarf meiner so wenig als ich seiner; und da ich im Begriff bin Sicilien wieder zu verlassen, was könnte mich bewegen, mich des Vorrechts eines Ausländers, unparteyisch zu seyn, von freyen Stücken zu begeben? Die neuesten Nachrichten, die mir aus Cyrene zugekommen sind, melden mir, daß Ariston den übel bedachten Versuch, den Dionysius nachzuahmen ohne ein Dionysius zu seyn, bereits mit seinem Leben bezahlt hat. Noch ist die öffentliche Ruhe und Ordnung nicht wieder hergestellt; aber beide Parteyen scheinen geneigt, sich auf billige Bedingungen zu vergleichen, und ich verspreche den angefangenen Unterhandlungen einen guten Erfolg, da mein Bruder Aristagoras und mein Freund Demokles an der Spitze der Parteyen stehen. Was mich zur Rückkehr nöthigt, ist daher nicht sowohl die Hoffnung, meinem Vaterlande bey dieser Gelegenheit vielleicht einige Dienste thun zu können, als die Nachricht, daß mein Vater, (ein alter Freund des deinigen) seinem Ziele nahe zu seyn glaubt, und mich im Leben noch zu sehen verlangt. Ich beurlaube mich also hiermit von Griechenland und von dir, edler und gastfreundlicher Learch. Mein nächster Brief wird dir aus Cyrene zukommen; indessen gehabe dich wohl!


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