Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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XXXIV.
Aristipp an Kleonidas.

Ich rechne es der schönen und guten Musarion zu keinem kleinen Verdienst an, daß es ihr, wie du mir schreibst, so wohl in Cyrene gefällt; nicht, als ob es mir an kindlicher Liebe zu meiner Vaterstadt so sehr gebräche, daß ich von allem, was zu ihrem Lobe gesagt werden kann, auch nur ein Leucippisches Sonnenstäubchen abgehen lassen wollte! Aber wir haben Athen und Korinth und Syrakus und Milet und Efesus gesehen; und blühete nicht Musarion in den Zaubergärten der Lais zu Ägina auf? Wahrlich, wenn sie die Gärten der Hesperiden um Cyrene zu sehen glaubt, und die Aussicht vom Altan ihres Hauses in die unendlichen Kornfelder und mit lauter Silfium bedeckten Anhöhen um Cyrene so reitzend findet, so kann ich wohl schwerlich irren, wenn ich es einer Ursache beymesse, welche sogar die kahlen Felsen von Serifos an der Seite ihres Kleonidas zur Insel der Kalypso für sie machen würde.

Warum hat doch die Natur diesen zarten Liebessinn, der sich auf Einen Gegenstand beschränken und in dessen Glückseligkeit seine eigne höchste Befriedigung finden kann, nicht auch unsrer schönen Freundin Lais eingepflanzt? – Eine närrische Frage, ich gesteh' es, – denn da wäre sie nicht Lais – Aber, wenn ich mir vorstelle, daß ein so herrliches Weib, aller Wahrscheinlichkeit nach, in der zweyten Hälfte ihres Lebens nicht glücklich seyn wird; so kann ich mich dennoch des Wunsches nicht erwehren, daß es möglich seyn möchte, die sanfte, genügsame, liebende Seele unsrer Musarion zu haben, und doch Lais zu seyn. Ich sehe voraus, daß der fürstliche Arasambes das Glück worauf er stolz ist, das schönste Weib des Erdbodens zu besitzen, theurer bezahlen wird als er gerechnet hat. Ich meine damit nicht, daß er seine Schätze verschwendet, um alle ihre Tage zu Festen zu machen; das rechnet er selbst für nichts. Aber wenn er sehen wird, daß er es, mit allem was er für sie thut, nicht in seine Macht bekommt, die, die ihn unendlich glücklich machen würde wenn sie es selbst wäre, in eben dieselbe Täuschung zu versetzen, in welcher er, so lang' er sie für Wahrheit hielt, sich den Göttern gleich fühlte; wenn er sehen wird, daß diese Zauberin, die alles was ihre Augen erreichen in Flammen setzt, selbst, gleich dem Salamander mitten im Feuer, kalt bleibt, und daß der Mann, der sich ihr ganz aufopfert, wie liebenswürdig er auch seyn mag, doch immer einen alle seine Beeifrungen vereitelnden Nebenbuhler in ihr selbst finden wird: was muß die natürliche Folge einer solchen Entdeckung seyn? Und wie lange glaubst du, daß die stolze Lais auch nur die ersten Symptomen der Eifersucht, den stillen Mißmuth, die geheime Unruhe und die halberstickten Seufzer eines unbefriedigten Liebhabers ertragen wird?

Ihre ersten Briefe von Sardes waren freylich von der besten Vorbedeutung, und hätten mich, wenn ich sie nicht genauer kennte, beynahe überreden können, daß es dem schönen Perser gelungen sey, eine glückliche Veränderung in ihrem Innern zu bewirken. Die Neuheit des Schauplatzes, auf dem sie im Glanz einer Königin auftrat; das schmeichelnde Gefühl sich von jedem, der ihr nahen durfte, als die sichtbar gewordene Göttin der Schönheit angebetet zu sehen; eine ununterbrochne Folge von Festen, deren immer eines das andere auslöschte; die Macht über die Schätze ihres Liebhabers nach Gefallen zu gebieten; die fliegende Eile, womit jeder ihrer Winke befolgt, jeder ihrer leisesten Wünsche ausgeführt wurde; und (was vielleicht noch stärker als dieß alles auf sie wirkte) der Anblick der schwärmerischen Wonnetrunkenheit des glücklichen Arasambes, die ihr Werk war, und, weil sie ihr das schmeichelhafteste Selbstgefühl gab, den Willen in ihr hervorbrachte, ihn in der That so glücklich zu machen als es in ihrem unerschöpflichen Vermögen steht: wie hätte nicht alles dieß auch sie in eine Art von Berauschung setzen sollen, die der gute Arasambes für Liebe hielt, und Sie selbst vielleicht eine Zeit lang dafür halten mochte? Aber was mir mein Herz schon lange weissagte, scheint bereits erfolgt zu seyn. Der magische Taumel ist vorüber; das alltäglich Gewordene rührt sie nicht mehr; sie hat alles, was tausend andere – Matronen und Hetären – mit Tantalischer Begierlichkeit wünschen oder verfolgen, und nie erreichen werden, bis zur Sättigung genossen; ihr unbefriedigter Geist verlangt neue unbekannte Gegenstände, wünscht vielleicht sogar die alten zurück, die aus dem Medeen-Kessel der Fantasie, aufgefrischt und in jugendlichem Glanze, vor ihr aufsteigen. In dieser Stimmung dürfte sich ihr der Gedanke, daß Arasambes sie als sein Eigenthum betrachte, nur von ferne zeigen, sie wäre fähig ihn und alles zu verlassen und nach Korinth zurück zu kommen, bloß um sich selbst zu beweisen, daß sie frey sey.

Mein Verhältniß zu dieser seltenen Frau war vom ersten Augenblick unsrer Bekanntschaft an so einzig in seiner Art, als sie selbst. Wir gefielen einander, und gleiteten in sympathetischer Unbefangenheit, auf dem sanften Strom einer leisen Ahnung dessen was wir einander seyn könnten, still und sorglos dahin. Nie, oder doch nie länger als eine leichte Berauschung in Wein von Lesbos dauert, habe ich das, was man leidenschaftliche Liebe nennt, für sie gefühlt: aber der wärmste ihrer Freunde werd' ich bleiben so lang' ich athme; und wie wenig ich mir auch Hoffnung mache, daß es mir gelingen werde, so will ich doch nie aufhören ihrem bösen Genius entgegen zu streben. Sie hat nun (da sie doch weder wünschen noch hoffen kann, Königin von Persien zu werden) die Erfahrung gemacht, von welcher Art die Glückseligkeit sey, die ein Geist wie der ihrige aus dem, was gewöhnlichen Menschen das Höchste ist, schöpfen kann. Sollt' es denn wirklich unmöglich seyn, sie zu überzeugen, daß sie, wofern sie es nur ernstlich wollte, das einzige Gut, das ihr noch unbekannt ist, Zu friedenheit und Seelenruhe, zu Ägina, im Schooße der Natur, der Kunst und der Freundschaft finden könnte?

Ich halte mich, nachdem ich den ganzen Sommer damit zugebracht habe, beynahe alle Inseln des Ikarischen Meeres, die man die Sporaden zu nennen pflegt, eine nach der andern zu besuchen, dermahlen zu Rhodus auf, wo ich die neue Hauptstadt dieses Nahmens, gleich einer prächtigen hundertblättrigen Rose in der Morgensonne, sich ausbreiten und zu einer der schönsten Städte, die von Griechen bewohnt werden, emporblühen sehe. Weil ich hier sehr vieles finde, das meinem Reiseplan zu Folge meine ganze Aufmerksamkeit verdient, so gedenke ich bis zu Anfang des Thargelions hier zu verweilen, und hoffe, da der Verkehr zwischen Cyrene und Rhodus jetzt lebhafter als jemahls ist, binnen dieser Zeit mehr als einmahl gute Nachrichten von euch zu erhalten.


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