Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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XIV.
Aristipp an Learchus von Korinth.

Der Syrakusier, der sich seit einiger Zeit bey uns aufhält, edler Learch, ist wirklich der nehmliche identische Filistus, von welchem Kundschaft einzuziehen du von einem Freund in Syrakus ersucht worden bist. Er macht kein Geheimniß daraus; zumahl da er nicht unterlassen hatte dem Dionysius schriftlich anzuzeigen, daß er seiner Gesundheit wegen eine Reise nach Rhodus und Kreta, und von da vielleicht nach Cyrene unternehmen würde. Daß er die Einwilligung des alten Fürsten nicht abgewartet oder vielmehr gar nicht um sie angesucht, kann ihm nicht zum Vorwurf gereichen: denn der Ort, wo er während seiner Verweisung aus Sicilien leben wolle, war in sein Belieben gestellt; und so gut als er von Thurium, wo er sich Anfangs einige Jahre aufhielt, eigenmächtig nach Adria ziehen konnte, stand es ihm frey, von Adria nach Rhodus, Cyrene oder Gades zu gehen, wenn er Lust dazu hatte. Er hat sich selbst dadurch um einige Tausend Stadien weiter von Syrakus verbannt, aber doch nicht weit genug, daß ihn Dionys nicht finden könnte, wenn er ihn wieder bey sich haben wollte; und ich sehe nicht, warum sein Besuch bey einem alten Bekannten (der überdieß noch von seiner Jugend her, ein erklärter Verehrer der Regierungstalente dieses Fürsten ist) ihm den mindesten Verdacht zuziehen könnte. Möge Dionysius noch lange vor allen andern Anschlägen so sicher seyn, als vor denen, die in Aristipps Hause gegen ihn geschmiedet werden!

Es sind nun über fünf und zwanzig Jahre, daß ich mit Filisten zu Syrakus (wohin ich, wie du weißt, den Sofisten Hippias begleitete) zufälliger Weise bekannt wurde. Damahls stand er bey dem so genannten Tyrannen noch in Gunsten, und schien Geschmack an mir zu finden: aber weder meine Absichten noch die Kürze meines Aufenthalts gestatteten mir ein näheres Verhältniß mit ihm anzuknüpfen, und ich gestehe, daß ich ihn in der Folge gänzlich aus meinem Gesichtskreis verlor. Dessen ungeachtet erkannten wir einander wieder, als er vor einigen Monaten ohne alle Vorbereitung bey mir erschien, und sich mir, unter dem Titel eines alten Bekannten, als Filistus des Archomenides Sohn von Syrakus ankündigte. Da er überall im Ruf eines Mannes von Geist und Talenten steht, und unleugbar einer der vorzüglichsten und gebildetsten unsrer Zeitgenossen ist, so wirst du dich eben so wenig wundern, daß er hier allgemeinen Beyfall findet, als daß sich nach und nach eine Art von Freundschaft zwischen ihm und mir entsponnen hat, so vertraut als sie zwischen dem planlosen Weltbürger Aristipp und einem ehrgeitzigen Syrakusischen Eupatriden möglich ist, der (wie es scheint) nie vergessen wird, daß seine Geburt, sein Vermögen, die wesentlichen Dienste, die er dem Dionysius geleistet und seine Verbindung mit einer Bruderstochter desselben, ihn zu Erwartungen berechtigten, die mit seiner schon so lange daurenden Verbannung in einem sehr unangenehmen Mißverhältniß stehen. Bey allem dem hat er sich selbst so sehr in seiner Gewalt, daß diese unfreywillige Auswanderung das Werk seiner eigenen Wahl zu seyn scheint; und allenthalben, wo die Rede von dem Zustand seines Vaterlandes und der Regierung des Dionysius ist, spricht er darüber so unbefangen mit, daß Niemand, der von seinen Verhältnissen nicht genau unterrichtet ist, weder in seinem Ton, noch in seiner Miene das geringste, was einen Mißvergnügten verriethe, gewahr werden kann. Daß er sich gegen mich, wenn wir ohne Zeugen von diesen Dingen sprechen, für jenen Zwang ein wenig entschädigt, ist natürlich; indessen kann ich dich versichern, er müßte entweder der verdeckteste und undurchdringlichste aller Menschen seyn, (was von einem so feuervollen Sicilier kaum zu glauben steht) oder er ist fest entschlossen, da alle bisherige Versuche, den nichts verzeihenden Herren zu seiner Zurückberufung zu bewegen, fruchtlos abgelaufen sind, sich nun vollkommen leidend zu verhalten, und den Zeitpunkt ruhig abzuwarten, der seinem Schicksal vermuthlich eine andere Wendung geben wird.

Filist ist ein so angenehmer Gesellschafter, daß es nur von ihm abhinge, zu Cyrene ein so müßiges und üppiges Leben zu führen als euere ausgemachtesten Sardanapale zu Korinth und Syrakus. Er hat aber in seiner Jugend schneller gelebt als rathsam ist, und scheint nun mit seinem Rest etwas behutsamer haushalten zu wollen. Er theilt sich nur gerade so viel mit, als nöthig ist sich bey meinen gastfreundlichen Mitbürgern von der ersten Klasse in Kredit zu erhalten, und hat die Übereinstimmung mit ihnen getroffen, sich monatlich nicht mehr als sechs Mahl einladen zu lassen; so daß er, wenn jeder Einmahl an die Reihe kommt, gerade ein volles Jahr braucht, um bey allen herum zu zechen. Seine meiste Zeit bringt er in meiner Akademie zu, wo ich ein eigenes Kabinet für ihn habe zubereiten lassen, um in der Nähe der Bibliothek ungestört an der Fortsetzung seiner Geschichte von Sicilien arbeiten zu können, die seit zwanzig Jahren seine Lieblingsbeschäftigung ist, wiewohl wir sie mehr seiner Verbannung aus dem schönsten Lande der Welt, als seiner Liebe zur historischen Muse zu danken haben mögen. Vermuthlich kennst du die neun Bücher dieses Werkes, welche bereits in den Händen der Bibliopolen sind, und wovon die beiden letzten die Geschichte der Regierung des Dionysius von der drey und neunzigsten bis zur hundertsten Olympiade enthalten. Man findet, wie ich höre, zu Athen lächerlich, daß Filistus, ohne den Geist, den Scharfblick und die Stärke des Thucydides zu besitzen, sich vermesse, seinen Styl, seine scharfen Umrisse, seine Trockenheit und nervige Kürze, und, wo es ihm damit nicht recht gelingen wolle, wenigstens seine Dunkelheit nachzuäffen. In der Akademie aber soll ihm hauptsächlich zum Verbrechen gemacht werden, daß er, wenigstens in den Büchern die den Dionysius betreffen, die Heiligkeit der Geschichte durch eine vorsetzlich verfälschte Darstellung der Begebenheiten verletzt und allen parasitischen Kunstgriffen aufgeboten habe, den Lastern des Tyrannen die Farbe der Tugend anzustreichen, seinen schlechtesten und grausamsten Handlungen edle Beweggründe und Absichten unterzulegen, und, kurz, den hassenswürdigsten Unterdrücker seines Vaterlandes der Nachwelt (wenn anders sein Buch so lange leben könnte) für das Modell eines vortrefflichen Fürsten aufzuschwatzen. Meiner Meinung nach geschieht Filisten durch die erstern Vorwürfe weniger Unrecht als durch die letztern. Wenn ich nicht irre, so hat er in den sieben ersten Büchern, worin er das Denkwürdigste der Geschichte Siciliens von der fabelhaften und heroischen Zeit an bis auf die Regierung Gelons und die Wiederherstellung der Oligarchie zusammen faßt, mehr den Herodot, in der Erzählung der Begebenheiten und Thaten des Dionysius hingegen mehr den Thucydides zum Muster genommen: da er aber keinen von beiden zu erreichen vermochte, hätte er allerdings besser für seinen Ruhm gesorgt, wenn er alles, was ihm das auffallende Ansehen eines Nachahmers giebt, vermieden, und Falls er nicht Kunst genug besaß, Herodots naive und angenehm unterhaltende Darstellungsgabe mit dem tiefblickenden Verstand und der scharfen Urtheilskraft des Thucydides auf eine ungezwungene, ihm eigenthümlich scheinende Art zu vermählen, sich lieber begnügt hätte, uns seine Geschichten mit Ordnung, Klarheit und möglichstes Anspruchlosigkeit zu erzählen. Aber um dieß zu können, ja, um es nur zu wollen, hätte Filist – der auch als Geschichtschreiber glänzen und mit den Ersten in diesem Fache wetteifern wollte – nicht Filist seyn müssen. Wir wollen ihm dieß nicht zumuthen: aber dafür mag er auch für alles büßen, was er als Filist sündiget. Leichter und (meiner Überzeugung nach) mit besserm Grunde wird er von dir und mir von dem, was in den Beschuldigungen der Platoniker das Verhaßteste ist, losgesprochen werden; denn, so viel ich weiß, sind wir beide über das, was an dem alten Dionysius zu loben und zu tadeln ist, ziemlich einverstanden. Der Tyrann (wie er sich nun Einmahl schelten lassen muß, da seine Feinde die öffentliche Meinung auf ihre Seite zu bringen gewußt haben) hat vor vielen Jahren das ungeheure Verbrechen begangen, sich über den göttlichen Plato, der ihn auf eine etwas linkische Art zu seiner Filosofie bekehren wollte, in seiner mitunter ziemlich sarkastischen Manier lustig zu machen, und, da sein sauertöpfischer Verehrer Dion durch eine übel verstandene Zudringlichkeit aus Übel Ärger machte, den Filosofen allerdings unsanfter als recht war nach Hause zu schicken. Das konnte freylich nie verziehen noch vergessen werden! Einer solchen Unthat war nur ein Abschaum der unmenschlichsten Laster fähig! Die Feinde des Tyrannen konnten ihm nun nachsagen was sie wollten, das Ärgste schien immer das Glaublichste. Mit Einem Worte, Dionysius wurde in der Akademie zu Athen zum Ideal eines Tyrannen erhoben, und es ist kein Zweifel, daß Plato, indem er im neunten Buch seiner Republik den vollständigen Tyrannen mit den häßlichsten Zügen und Farben eines moralischen Ungeheuers darstellt, ein getreues Bild des Dionysius aufgestellt zu haben glaubt. Wir beide, und viele andre, die, wie wir, weder Böses noch Gutes von diesem Fürsten empfangen haben, wissen indessen sehr gut, wie übertrieben und unbillig der schlimme Ruf ist, den ihm seine Sicilischen Feinde und die allzuheißen Anhänger des göttlichen Plato unter den übrigen Griechen gemacht haben, und um so leichter machen konnten, da der große Haufe schon voraus geneigt ist, von jedem, der sich der Alleinherrschaft über einen oligarchischen oder demokratischen Staat zu bemächtigen weiß, das schlimmste zu denken und zu glauben. Dionysius kämpfte lange gegen dieses allgemeine, und (in so fern ein Vorurtheil gerecht genannt werden kann) nicht ganz ungerechte Vorurtheil. Da aber weder die Befreyung Siciliens von dem Joch und den Verheerungen der Karchedonier, noch der Wohlstand, worin sich diese Insel unter seiner Oberherrschaft befindet, und sein Bestreben jede wesentliche Pflicht eines klugen und thätigen Regenten zu erfüllen, vermögend war, den Mangel eines unbestrittenen Rechtes an die eigenmächtig aufgesetzte Krone in den Augen der Menge zu rechtfertigen; da ihm alle seine Verdienste, alle seine Bemühungen, das Vertrauen und die Liebe der Syrakusier zu gewinnen, nichts halfen, und eine Strenge, die nicht in seinem natürlichen Karakter ist, endlich das einzige Mittel war, ihm vor den unermüdeten Anfechtungen seiner heimlichen und erklärten Feinde Ruhe zu verschaffen, kurz da man ihn wieder seinen Willen nöthigte, seinen bösen Ruf gewissermaßen zu rechtfertigen, und er gern oder ungern den Tyrannen spielen mußte, weil man ihm nicht erlauben wollte ein guter Völkerhirt zu seyn: ist der Geschichtschreiber, der seinen Talenten und Verdiensten Gerechtigkeit wiederfahren läßt, nicht vielmehr Lobes als Tadels werth? Und wenn er auch das volle Licht nur auf die schöne Seite seines Helden fallen läßt, wenn er dem Zweydeutigen die vortheilhafteste Wendung giebt, und wie ein geschickter Bildnißmahler, alles was sein Bild nur verunzieren würde, entweder ganz verbirgt, oder wenigstens nach den Regeln seiner Kunst mit schwächern oder stärkern Schatten bedeckt: kann man dem Bildniß darum alle Ähnlichkeit absprechen? und hat der Geschichtschreiber darum allen Glauben verwirkt, weil er uns von einem der merkwürdigsten Männer unsrer Zeit, von welchem seine Feinde lauter grausenhafte und mit der schwärzesten Galle übersudelte Zerrbilder in der Welt verbreitet haben, bloß die glänzende Seite zeigt? Eine vollkommen unparteyische, weder verschönerte noch absichtlich oder leidenschaftlich verfälschte Geschichte dieses Mannes dürfen wir von keinem Zeitgenossen erwarten: aber die Nachwelt wird das Wahre (wenn es ihr anders darum zu thun ist) desto gewisser zwischen dem, der zu viel Gutes, und denen, die zu viel Böses von ihm gesagt, in der Mitte finden können.

Da Filist mir von Zeit zu Zeit ein Stück der Fortsetzung, an welcher er arbeitet, vorliest, so fehlte es nicht an Gelegenheit, aus seinem eignen Munde zu hören, was er zu seiner Rechtfertigung gegen die ihm sehr wohl bekannten Vorwürfe, die man seiner Geschichte macht, vorzubringen hat.

»Glaubst du (sagte er mir einsmahls) an eine ganz unparteyische und durchaus wahre Geschichte von Begebenheiten, deren Augenzeugen wir gewesen sind und an denen wir selbst unmittelbaren Antheil genommen haben? Ich nicht. Gesetzt auch, was doch selten der Fall ist, der Erzähler habe von Verschweigung oder Verfälschung der Wahrheit weder Vortheil zu hoffen noch Schaden zu befürchten, und sey fest entschlossen alle Wahrheit und nichts als Wahrheit zu schreiben; gesetzt (was wenigstens eben so selten ist) er habe alles, was er erzählt, selbst gesehen oder selbst gethan und gelitten, oder doch von vollkommen glaubwürdigen Personen (dergleichen es vielleicht noch nie gegeben hat) selbst aufs genaueste erkundiget; gesetzt endlich er sey (was ich geradezu für unmöglich erkläre) in dem, was er von sich selbst zu berichten hat, von allem Einfluß der Eigenliebe und Eitelkeit so frey und rein wie ein noch ungebornes Kind – Alle diese unerläßlichen und doch kaum irgend einem Sterblichen zugeständlichen Voraussetzungen als richtig angenommen, stehen uns doch noch zwey schlechterdings nicht wegzuräumende Hindernisse im Wege, um derentwillen es ewig unmöglich bleiben wird, eine ganz wahre, ganz zuverlässige Geschichte einer Reihe von Begebenheiten und Handlungen, die wir selbst gesehen haben, zu schreiben. Das erste dieser Hindernisse ist, daß es kein Mittel giebt, unmittelbar in das Innerste der Menschen zu schauen, und die Entstehung ihrer Gesinnungen und Leidenschaften, Entwürfe und Absichten, und alles was sie sich selbst von den Beweggründen und Tendenzen ihrer Handlungen bewußt sind, ohne ein verfälschendes Medium in ihrer Seele zu lesen. Aus Mangel eines solchen Sinnes bleiben die wahren Ursachen der Begebenheiten in ihren reinen Verhältnissen mit den Wirkungen immer zweydeutig und ungewiß; das äußerlich Geschehene liegt wie ein unaufgelöstes Räthsel vor uns, und der Geschichtschreiben, der den Verstand seiner Leser zu befriedigen wünscht, sieht sich genöthigt zu den Künsten des Wahrsagers, Dichters und Mahlers seine Zuflucht zu nehmen. Aber auch ohne dieses Hinderniß wird es ihm schon allein dadurch unmöglich ganz wahr zu seyn, daß er, unvermögend sich selbst aus dem festen Punkt seiner Individualität heraus zu rücken, Personen, Handlungen und Ereignisse niemahls sehen kann wie sie sind, sondern nur wie sie ihm, aus dem Gesichtspunkt woraus er sie ansieht, erscheinen. Überzeugt von allem diesem, sagte ich, als ich mich entschloß die Geschichte des Dionysius zu schreiben, zu mir selbst: da du keine Milesische Fabel, sondern Dinge, die unter deinen Augen geschahen und bey denen du selbst keine unbedeutende Rolle spieltest, erzählen willst, so ist es allerdings deine Pflicht, so wahrhaft zu seyn als dir nur immer möglich ist; aber zum Unmöglichen bist du nicht verbunden. Du konntest nicht Alles sehen, nicht allenthalben seyn; und wie ernstlich du auch unparteyisch seyn wolltest, du kannst es nicht seyn! Du bist weder ein Gott noch ein Platonischer Mensch, sondern Filistus, Archomenides Sohn, ein Verwandter, Freund und Gehülfe des Mannes, dessen Geschichte du erzählen willst, und es geziemt dir, die Personen und Begebenheiten so darzustellen, wie sie dir unter allen den Verhältnissen, worin du mit ihnen standest, erschienen und erscheinen mußten. Nur so kannst du wahr und mit dir selbst einig seyn, gesetzt auch daß du öfters getäuscht wurdest. Der unfehlbarste Weg, die Welt mit einer ungetreuen und verschrobenen Erzählung zu belügen, wäre, wenn du aus dir selbst heraus gehen, und, unter dem Vorwand desto unparteyischer zu seyn, einen Gesichtspunkt, aus welchem du die Dinge nicht gesehen hättest, aber gesehen zu haben schienest, erdichten wolltest. Dieß, Aristipp, ist der Kanon, nach welchem ich die Geschichte, über die so viel schiefes und leidenschaftliches zu Syrakus und Athen gesprochen wird, gearbeitet habe, und nach welchen allein ich mit Billigkeit beurtheilt werden kann. Auch keiner meiner Richter ist unparteyisch; er ist, seiner eigenen Sinnesart und Vorstellung zu Folge, mehr oder weniger geneigt, den Dionysius und seinen Geschichtschreiber in einem günstigen oder ungünstigen Lichte zu sehen; und diese uns selbst oft verborgene, von den Sachen ganz unabhängige Zu- oder Abneigung besticht unser Urtheil viel öfter als der große Haufe glaubt. Mein Wille war, gerecht gegen Dionysius zu seyn; aber da ich ihn liebte und seine Erhebung zum Theil mein Werk war, so wär' es Vermessenheit, wenn ich läugnen wollte, daß dieser zweyfache Umstand gar keinen Einfluß auf die Zeichnung, Färbung und Haltung meines Gemähldes gehabt habe: denn wenn ich alles, was in seinem Karakter und in seinen Handlungen zweydeutig ist, zu seinem Vortheil deutete, glaubte ich auch hierin bloß gerecht zu seyn. Übrigens gestehe ich zwar, daß mir im Schreiben der Gedanke öfters kam: »Dionysius, wenn er in meiner Geschichte auch nicht die leiseste Spur einer durch sein hartes Verfahren gegen mich gereitzten Empfindlichkeit entdecken könnte, würde sich desto eher bewogen finden, mir seine Gunst und sein Vertrauen wieder zu schenken: »aber wenn ich das Gegentheil auch voraus gesehen hätte, würde ich doch, um meiner Selbst willen, nicht das Geringste geändert oder weggelassen haben.«

Mich däucht, Learch, es ist in dieser Erklärung Filists etwas offenherziges, das für eine Art Ersatz dessen, was seiner Rechtfertigung abgehen mag, gelten kann. Übrigens ist, wie gesagt, sein ganzes Betragen so beschaffen, daß ich nichts zu wagen glaube, wenn ich mich, Falls es gefordert würde, dafür verbürgte, daß er mit nichts umgeht, was zu dem mindesten Argwohn Ursache geben könnte. Wär' es anders, so hätte er zu Bearbeitung irgend eines dem Dionysius unangenehmen Anschlags keinen ungeschicktern Ort als Cyrene wählen können. Er wird, ungeachtet des guten Zutrauens so man ihm zeigt, sehr genau beobachtet, und es ist den Cyrenern zu viel an ihren Handlungsverhältnissen mit Syrakus gelegen, als daß sie die Gunst eines Fürsten, den noch niemand ungestraft beleidigt hat, um des Filistus willen verscherzen sollten.


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