Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

V.
An Eurybates.

Das sind nun eure so hoch gepriesnen Freystaaten, Eurybates! So geht es in euern Demokratien zu! Bey allen Göttern der Rache! eine solche Abscheulichkeit war nur in einer Ochlokratie wie die eurige möglich! Ihr schimpft auf das, was ihr Tyrannie nennt? Wahrlich unter dem Tyrannen Dionysius hätte Sokrates so lange leben mögen als Nestor; alle Gerber, Rhetoren und Versemacher von ganz Sicilien sollten ihm kein Haar gekrümmt haben! – Im Grunde dauren mich deine Athener. Was können sie dafür, daß die Regiersucht solcher ehrgeitzigen Aristokraten und Demagogen wie Klisthenes und Perikles ihnen in ihre schwindlichten Köpfe gesetzt hat, ein Wurstmacher, Kleiderwalker oder Lampenhändler verstehe sich so gut aufs Regieren und Urtheil sprechen, als einer der dazu erzogen worden ist? Der Tag, da Athen von der edeln und weislich abgewogenen Solonischen Aristodemokratie zu einer reinen Ochlokratie herabgewürdigt wurde, war der unseligste von allen, die ihr seit Cekrops und Theseus mit schwarzer Kreide bezeichnet habt. Alles Elend, das in den letzten dreyßig Jahren über euere Stadt gekommen ist, alles Unheil das ihr über Griechenland gebracht habt, alle die Schandmahle, die ihr, durch so viele Handlungen des gefühllosesten Undanks gegen eure verdienstvollesten Bürger, eurem Nahmen auf ewig eingebrannt habt, schreiben sich von diesem Tage her. – Wie? Die dreyßig Tyrannen selbst, denen euch Lysander Preis gab, die gewaltthätigsten und verruchtesten aller Menschen, wagten es nicht sich an Sokrates zu vergreifen, als er ihnen mit spottender Verachtung die derbsten Wahrheiten ins Gesicht sagte: und euere Heliasten, Leute, die für drey Obolen des Tags, je nachdem sie einem wohl oder übel wollen, Recht oder Unrecht sprechen, verurtheilen ihn zum Tode, weil er sie nicht um eine gnädige Strafe bitten will; verurtheilen ihn bloß, um ihm zu zeigen daß sein Leben von ihrer Willkühr abhange? Die Elenden! – Aber noch einmahl, nicht sie, sondern die Urheber einer Verfassung, welche die Macht über Leben und Tod in die Hände solcher Wichte legt, sind verwünschenswerth.

Doch wozu dieser Eifer? Und was berechtigt mich, meine Galle über dich, der an diesem Gräuel unschuldig ist, auszugießen? Verzeih, Eurybates! Ich fühle daß es mich noch viel Arbeit an mir selbst kosten wird, bis ich es so weit gebracht habe, alles an den Menschen natürlich zu finden, was sie zu thun fähig sind, und mich mit einer solchen Natur zu vertragen. Ich schmeichelte mir sonst es schon ziemlich weit in diesem eben so schweren als unentbehrlichen Theile der Lebenskunst gebracht zu haben; – zu früh, wie ich sehe: aber freylich auf ein solches Ungeheuer der schandbarsten Narrheit und Verkehrtheit, wie dieser justizmäßige Sokratesmord, war ich nicht gefaßt.

In drey Tagen schiffe ich mich nach Ägina ein, und gedenke von dort aus eine Reise nach den vornehmsten Städten Ioniens zu unternehmen, und mich in jeder so lange aufzuhalten, als ich etwas zu sehen, zu hören und zu lernen finde, das in meinen Plan taugt. Athen wieder zu sehen, bin ich noch unfähig; der Anblick eines Heliasten würde mich wahnsinnig machen.

Lebe wohl, Eurybates, und stelle, wenn du kannst, die Zeiten wieder her, da die Minervenstadt noch von lebenslänglichen Archonten regiert wurde. Euere TriobolenzünftlerTriobolenzünftler. Anspielung an die φρατορας τριοβολου des Aristofanes in den Rittern. S. Attisches Museum. 2. B. haben mich mit der Aristokratie auf immer ausgesöhnt. Es ist zwar, im Durchschnitt genommen, nicht viel gutes von euch zu rühmen, ihr andern Eupatriden: aber das bleibt doch wahr, daß der schlechteste von euch nicht fähig gewesen wäre, weder Ankläger eines Sokrates zu seyn, noch ihm Schierlingssaft zu trinken zu geben.


 << zurück weiter >>