Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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XLIV.
Aristipp an Lais.

Darf ich dir, im Vertrauen auf die Rechte einer zehnjährigen Freundschaft, gestehen, schöne Lais, wie mir deine jetzige Lebensweise vorkommt? Betrachte ich sie als einen bloßen Übergang von der Glorie einer unumschränkten Gebieterin über die Person und die Schätze eines Persischen Großen, zu der glücklichern aber weniger schimmernden und prunkenden Lebensart, die einer Einwohnerin von Korinth geziemt, so wünsche ich bloß, daß du dich entschließen mögest, zwar nicht gar zu hastig, aber doch lieber zu schnell als zu langsam, von der Höhe herabzusteigen, die du mit der freyesten Besonnenheit verlassen hast. Was die stolzen Korinthier in die Laune setzt, dir, wie einer fremden Fürstin, welche sich eine Zeit lang unter ihnen aufhalten wollte, eine Art von glänzendem Hof zu machen, ist (außer dem Reitz, den die Neuheit der Sache für sie hat) hauptsächlich die Hoffnung, womit jeder sich schmeichelt, den Vorzug endlich bey dir zu erringen, nach welchem sie alle trachten. Da du nicht sehr geneigt scheinst so viel Glückseligkeit um dich her zu verbreiten, so würde es deiner Ruhe schwerlich zuträglich seyn, wenn du den süßen Wahn einer so großen Menge von Aspiranten allzu lange nähren wolltest. Das Rathsamste wäre also, dich selbst von der hohen Lydischen Tonart allmählich zu der gewohnten Dorischen herabzustimmen; und dazu, däucht mich, würden deine kleinen Abendgesellschaften ein sehr gutes Mittel seyn, wenn du ihnen so viel Geschmack abgewinnen könntest, deine gesellschaftliche Mittheilung allein, oder doch beynahe allein auf diese den Musen vorzüglich geheiligten Orgyen einzuschränken, an welchen ich nichts auszusetzen habe, als daß ich durch eine Entfernung von dritthalb tausend Stadien davon ausgeschlossen bin. Doch, du willst mir ja Gelegenheit geben auch abwesend an ihnen Theil zu nehmen, da du mich aufforderst, dir meine Gedanken über euer neuliches Tischgespräch mitzutheilen. Ich bin nicht eitel genug mir einzubilden, daß ich über diesen Gegenstand etwas zu sagen hätte, das für Dich neu wäre; und überhaupt gehört, meiner Meinung nach, das Schöne unter die unaussprechlichen Dinge – der Natur, und läßt sich besser fühlen und genießen, als zergliedern und erklären. – »Aber (wirst du sagen) diese unaussprechlichen Dinge sind ja eben was uns am stärksten anmuthet, und worüber wir am liebsten vernünfteln – oder irre reden mögen.« – Ich füge mich also sowohl deinem Willen als meinem eigenen Naturtriebe, und wenn ich dir nichts unbegreifliches und unerhörtes offenbare, so schreib' es meiner zur andern Natur gewordenen Maxime zu: im Filosofieren immer verständlich zu bleiben, und vor allem mich immer selbst zu verstehen.

Epigenes hatte Recht, mit der Frage, »was nennen die Menschen schön?« den Anfang der Untersuchung zu machen; nur hätte er dem Einwurf Speusipps zuvor kommen, und sogleich antworten sollen: wir Griechen pflegen alles schön zu nennen, was uns, ohne Rücksicht auf seine Nützlichkeit, gefällt. Das Wohlgefallen ist immer nothwendig mit einem angenehmen Gefühl verbunden, und umgekehrt; aber dieses Gefühl ist nicht der Grund warum uns das Schöne gefällt, sondern die natürliche Wirkung des Schönen auf unsern Sinn. – »Warum gefällt uns denn aber das Schöne?« – Mit der Antwort: weil es schön ist, wäre nichts gesagt; indessen habe Ich keine andere Antwort als, weil wir so organisiert sind, daß es uns, wofern ihm nicht nachtheilige Umstände von außen oder innen im Lichte stehen, nothwendig gefallen muß. – »Aber muß denn alles, was gefällt, schön seyn? Gefallen uns nicht viele Dinge bloß darum, weil sie zweckmäßig und nützlich sind?« – Allerdings werden, unserm Sprachgebrauch zu Folge, auch solche Dinge öfters schön genannt; nur hat der Sprachgebrauch Unrecht, wenn er schön und gut vermengt. Das Schöne ist zwar, in so fern es schön ist, immer etwas Gutes; aber das Gute ist nicht, in so fern es gut ist, nothwendig auch schön; und dieß macht einen großen Unterschied. – »Damit ist für den Begriff des Schönen nichts gewonnen,« sagt Speusipp; das Räthsel, dessen Auflösung wir suchen, die Frage: was ist das Schöne an sich? bleibt noch immer ungelöst und unbeantwortet.« – Aus einem sehr einfältigen Grunde; bloß weil wir keine Antwort auf diese Frage haben. Das Schöne oder die Idee des Schönen, in Platons Sinne, ist, wie Speusipp selbst gesteht, kein Gegenstand unsres Anschauens. Wir sehen nur einzelne schöne Dinge, und auch diese sind nur schön durch ihr Verhältniß gegen die Organe unsrer Sinne; und wenn wir von schönen Dingen sprechen, so ist die Rede nur von dem, was dem Menschen, nicht was an sich schön ist. »Diesemnach könnten wir von keinem Dinge sagen es sey schön; denn wie wollten wir die Stimmen aller Menschen, die jemahls gelebt haben, jetzt leben, und künftig leben werden, darüber sammeln?« – Auch ist dieß sehr unnöthig. Mir genügt daran, daß etwas mir schön ist; erscheint es auch andern so, desto besser; zuweilen auch nicht desto besser: denn man ist öfters in dem Falle, etwas Schönes gern allein besitzen zu wollen. Wie dem aber auch sey, genug daß es nun einmahl nicht anders ist noch seyn kann, und daß wir von sehr vielen Dingen keinen andern Grund, warum wir sie für schön halten, anzugeben haben, als weil sie uns schön vorkommen, oder, genauer zu reden, weil sie uns gefallen. – »Ein Ding kann also zugleich schön und nicht schön seyn?« – Nicht seyn, aber scheinen, so wie z. B. dem Gelbsüchtigen die Lilie, die allen gesunden Augen weiß ist, gelb zu seyn scheint. Was ich schön finde, kann allerdings andern, aus mancherley Ursachen, mit Recht oder Unrecht, gleichgültig oder gar mißfällig seyn; denn Vorurtheil oder Leidenschaft kann mich oder sie verblenden. Die Liebe verschönert und hat für jeden Fehler des Geliebten ein milderndes Wörtchen, das ihn bedeckt oder gar in einen Reitz verwandelt; der Haß thut das Gegentheil. Mangel an Bildung und klimatische oder andere lokale Angewohnheiten haben vielen Einfluß auf die Urtheile der Menschen über Schönheit und Häßlichkeit. Kurz, das Wort schön, welchem Gegenstand es beygelegt werden mag, bezeichnet bloß ein gewisses angenehmes Verhältniß desselben, besonders des Sichtbaren, Hörbaren und Tastbaren, zu einem in Beziehung mit demselben stehenden äußern oder innern Sinn; weiter hinaus reicht unsre Erkenntniß nicht, oder verliert sich in dunkle Vorstellungen und leere Worte.

Ein solches Wort scheint mir die angeborne Idee zu seyn, welche der Neffe des großen Aerobaten Plato für den Kanon des Schönen, und Plato selbst (wenn ich ihn anders verstehe) für einen in unsre Seele fallenden Widerschein eines ihm und uns unbegreiflichen Urbildes des Schönen ausgiebt, welchem er in den überhimmlischen Räumen einen Platz unter den übrigen Ideen anweiset. Da diese Platonischen Offenbarungen auch mir (wie dem wackern Eufranor) nichts klärer machen, so halte ich mich an das, was ich, auf dem Wege der Beobachtung, der Natur im Geschäfte der Entwicklung und Ausbildung unsres Schönheitssinnes abgelauscht zu haben glaube.

Ich nehme als etwas allgemein Wahres an, daß ein gewisser Grad von Licht, und die gänzliche Abwesenheit desselben, eine ganz lichtlose Finsterniß, die entgegengesetzten äußersten Grenzen bezeichnen, innerhalb welcher das Licht allen gesunden menschlichen Augen schön ist. Innerhalb dieser Grenzen ließen sich, wenn wir ein Werkzeug das Licht zu messen hätten, eine Menge Abstufungen andeuten, welche die Grade unsers Vergnügens am Licht, oder (was eben dasselbe sagt) die Grade seiner Schönheit bezeichnen würden. Indessen lehrt die Erfahrung, daß eine gewisse Abwechselung und Mischung der höhern Grade des Lichts mit dem niedrigsten dasjenige ist, was in dem großen Gemählde der Natur die angenehmsten Eindrücke auf uns macht. Der Grund hiervon liegt ohne Zweifel in der organischen Beschaffenheit unsers Auges, und mich dünkt, wir können uns dabey beruhigen, ohne tiefer in das Geheimniß der Natur eindringen zu wollen als sie uns erlaubt. Mit den Farben hat es eben dieselbe Bewandtniß. Der Anblick einer in tausendfältige Schattierungen von Grün gekleideten und von einem azurnen Himmel umflossenen Landschaft vergnügt unser Auge und däucht uns schön; noch schöner der Himmel, wenn eine Menge leichter goldverbrämter Rosenwölkchen, wie schwimmende Inseln in einem hellblauen Meere, von Abend gegen Morgen langsam an ihm daherschweben; am schönsten, wenn die Abendsonne durch ein dünnes Dunstgewölk in eine Glorie von zusammengefloßnen Regenbogen zu zerschmelzen scheint. Eine ähnliche Wirkung würde der Anblick der Erde thun, wenn Bäume, Gras und Kräuter, gleich einem mit den buntesten Blumen aller Art besetzten Gartenstück, einen unaufhörlichen Wechsel der lebhaftesten Farben in unsre Augen spielten. Wie entzückend aber auch ein solcher Anblick wäre, so sind doch unsre Gesichtswerkzeuge nicht dazu eingerichtet, so viel Schimmer und so lebhafte Farben in die Länge zu ertragen. Indessen erklärt sich daraus, warum uns die Natur im Frühling am schönsten erscheint; weil nehmlich die Färbung des magischen Gemähldes, das sie uns in dieser lieblichsten der Horen darstellt, zwischen dem einförmigen Blau und Grün, und einem allzu bunten und feurigen Farbenspiel gleichsam in der Mitte schwebt.

Eben so, wie die Ursache der mehr oder minder angenehmen Wirkung des Lichts und der Farben in der Organisazion unsers Auges zu suchen ist, scheint auch die allgemeine Erfahrung, daß gewisse Linien, Figuren und Körper dem Auge und der tastenden Hand angenehmer sind als andere, hauptsächlich in der natürlichen Beschaffenheit dieser Organe gegründet zu seyn. Warum gefällt uns eine sanftwallende Linie besser als eine gerade? warum ein Zirkelbogen besser als ein Winkel? Die Kreislinie mehr als das Eyrund? Wie man diese Fragen auch beantworte, am Ende müssen wir immer gestehen, die Einrichtung unsrer Gesichts- und Gefühls-Werkzeuge bringe es nun einmahl so mit sich. Eine gerade fortlaufende Linie, eine ebene ununterbrochene Fläche gefällt einen Augenblick, wird aber bald durch ihre Einförmigkeit langweilig; das Winklige beleidigt Gesicht und Gefühl; ein sanfter Übergang vom Ebenen zum Gebogenen schmeichelt beiden. Daher, daß uns das leichte Wallen eines sanftbewegten Wassers schöner däucht, als die schroffen in einander berstenden Wogen des empörten Meeres; daher, daß unsre Töpfer und Bildner gewisse zwischen der Kugel und dem Ey mehr oder weniger in der Mitte schwebende Formen als die schönsten zu Urnen und Prachtgefäßen wählen.

Was ich von Licht und Schatten, Farben und Linien als den Elementen des sichtbaren Schönen gesagt habe, gilt in seiner Art auch von den verschiedenen Schwingungen der Luft, wodurch der Schall in unserm Ohr und vermittelst dieses Organs in unserm innern Sinne gewisse angenehme Gefühle erregt; von dem majestätischen Rollen des Donners bis zum leisen Geflüster der Pappel und Birke; vom klappernden Tosen eines entfernten Wasserfalls, bis zum einschläfernden Murmeln einer über glatte Kiesel hin rieselnden Quelle; vom fröhlichen Geschwirr der Lerche bis zum eintönigen Klingklang der Cikade. Alle diese einfachern Schälle und Töne, durch welche die Natur unser Ohr als ein zu ihr stimmendes lebendiges Saiteninstrument anspricht, betrachte ich als die Elemente des hörbaren Schönen, welches, gleich dem sichtbaren, in der Mitte zwischen zwey Äußersten schwebt, und also eben demselben Gesetz unterworfen ist, wodurch die dem Auge gefälligen Töne des Lichts und der Farben, und die dem Gefühle schmeichelnden Formen der Körper bestimmt werden, dem Gesetze der Harmonie der sinnlichen Eindrücke von außen mit der Einrichtung der ihnen entsprechenden Organe.


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