Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XIII.
Antipater an Kleonidas.

Ich befinde mich seit Anfang des Munychions mit Aristipp und dem schönen Kleofron, einem Schüler Platons und Geliebten seines Neffen Speusippus, zu Ägina: Kleofron auf einem Landgute des Eurybates von Athen, Aristipp und ich bey der berühmten Lais, deren prächtiger Landsitz dir ohne Zweifel noch wohl erinnerlich seyn wird. So klein diese Insel ist, so reich ist sie an Merkwürdigkeiten. Unter andern habe ich bereits sieben, an den großen Panegyrischen Spielen Griechenlands gekrönte Athleten gesehen, von welchen Einer, dessen Rücken neun und achtzig Jahre nicht zu krümmen vermochten, sich rühmen kann, daß sein Sieg noch von Pindar selbst besungen wurde. Das außerordentlichste indessen, was Ägina dermahlen besitzt, ist unleugbar die Gebieterin des Hauses, worin ich als dein und Aristipps Freund aufgenommen bin, und mit ausgezeichnetem Wohlwollen behandelt werde. Ihre Schönheit ist so weit über alles, was man zu sehen gewohnt ist, erhoben, daß mir eine geraume Zeit lang bey ihrem Anblick nicht anders zu Muthe war, als mir (wie ich glaube) seyn müßte, wenn ich eine elfenbeinerne Liebesgöttin von Fidias oder Alkamenes wie lebendig vor meinen Augen herum wandeln sähe. Ich betrachtete sie mit immer neuer Bewunderung, ich hätte sie anbeten mögen; aber wie ein Mensch sich unterfangen könne sie zu lieben, oder hoffen könne von ihr geliebt zu werden, war mir unbegreiflich. Dieses seltsame Gefühl war vielleicht die Ursache, warum die besondere Aufmerksamkeit und Herablassung, deren Sie mich, nach den ersten acht oder zehen Tagen zu würdigen schien, eine wunderliche Art von Scheu, oder wie soll ich es nennen? bey mir erregte, die mir das Ansehen eines kalten gefühllosen Menschen geben mochte, und um so auffallender seyn mußte, weil sie in eben dem Verhältniß zunahm, wie Lais ihre Bemühung, mir Muth und Zutrauen einzuflößen, verdoppelte. Da ich mir selbst lächerlich gewesen wäre, wenn ich mir auch nur im Traume mit der Liebe dieser Königin der Weiber hätte schmeicheln wollen, so gebehrdete ich mich nun desto seltsamer, je mehr ich zu fühlen anfing, daß ich von so verführerischen Anlockungen nur zu leicht getäuscht und unvermerkt in eine hoffnungslose Leidenschaft verstrickt werden könnte. Ich unterließ nichts, was Sie in der Meinung bestärken mußte, daß der junge Antipater von Cyrene der einzige Sterbliche sey, an welchem ihre Reitze die gewohnte Macht verlören. Ich glaubte zu meiner eigenen Sicherheit um so mehr dazu genöthiget zu seyn, weil ich in ihrem immer gefälligern und einnehmendern Betragen gegen mich nicht die mindeste Spur von Mißvergnügen oder Unwillen bemerken konnte: denn ich legte ihr dieß als einen planmäßigen Anschlag aus, der mit dem Vorsatz verbunden sey, wenn sie ihre Absicht erreicht haben würde, mich desto empfindlicher für meine Vermessenheit zu züchtigen.

In dieser nicht sehr natürlichen, und, die Wahrheit zu sagen, peinvollen Lage befand ich mich, als gegen Ende des Monats mein Freund Speusippus in einen Sklaven verkleidet anlangte, um, seinem Vorgeben nach, den jungen Kleofron, den Sohn seines Herren, eilends nach Sicyon abzuhohlen. Aber der wahre Zweck seiner Herüberkunft war, nachdem die nöthigen Vorkehrungen getroffen worden, daß die Sache allen andern, außer Lais, Aristipp, mir, und den vertrautern Hausgenossen, ein Geheimniß bleiben mußte, den schönen Kleofron spät in der Nacht nach einer kleinen durch Gebüsche und Bäume verborgenen Wohnung abzuführen, die in einem abgesonderten Theil des an die Gärten der Lais stoßenden Lustwaldes liegt, und wozu sie allein den Schlüssel hat. Hier ereignete sich ein paar Tage darauf ein natürliches Wunder, wovon gleichwohl niemand von denen, die um die geheime Entführung wußten, überrascht zu werden schien; der schöne Kleofron beschenkte nehmlich seinen Platonischen Liebhaber mit – einem wunderschönen Knäblein, dem zu einem kleinen Amor nichts als die Flügel fehlten, und verwandelte sich selbst, um die Rolle der Mutter mit desto besserm Anstand zu spielen, wieder in die zärtliche Lasthenia, eine von Lais erzogene junge Person, welche, vor geraumer Zeit, von einer gleich heftigen Leidenschaft für Platons Filosofie und für seinen Neffen nach Athen gezogen worden war, in männlicher Verkleidung die Akademie besucht hatte, und dort für den Sohn eines Sicyonischen Bildhauers galt. Lais, die sich mir bey dieser Gelegenheit von einer sehr liebenswürdigen Seite zeigte, übernahm die Vorsorge für Mutter und Kind, und Speusipp kehrte, eben so geheimnisvoll als er gekommen war, nach Athen zurück, um von Zeit zu Zeit, bald in dieser bald in jener Gestalt wieder zu kommen, und im Genuß der Vaterfreuden die Beschämung zu ersticken, der Lehre seines Oheims und Meisters durch die Liebe zu – einem Mädchen ungetreu geworden zu seyn.

Diese Begebenheit hatte Folgen für mich, lieber Kleonidas, die ich dir nicht verhehlen kann noch will. Die Schönheit des kleinen Speusippides, und die Scenen des menschlichsten und süßesten aller natürlichen Gefühle, wovon ich mehr als Einmahl Zeuge war, weckten das Verlangen, auch Vater eines so holdseligen Geschöpfs zu werden, mit solcher Macht in mir auf, daß ich mich nicht entbrechen konnte, mein Anliegen einer jungen Dirne zu entdecken, die ich öfters auf einem an unsern Wald angelehnten Hügel, neben den Schafen die sie hütete, in mädchenhafter Träumerey den Gesang der Waldvögel belauschen sah. Sie gehört dem Eurybates, auf dessen Gute sie geboren ist, an, und schien mir von der Natur mit besonderm Wohlgefallen zur Mutter eines kleinen Herkules gebildet zu seyn. – Es war wirklich hohe Zeit, daß ich sie fand: denn ich kann nicht sagen, wie lange ich es noch gegen die Circe dieser Insel ausgehalten hätte, welcher, wenn sie ihre ganze Zaubermacht gebrauchen will, ohne eine solche Gegenanstalt, in die Länge schwerlich zu widerstehen ist. Ich vertraue dir hier etwas, das ich sogar vor Aristipp verberge, wiewohl nur so lange als es vor Lais ein Geheimniß bleiben muß. Du begreifst nun, daß ich unter diesen Umständen keiner außerordentlichen Weisheit noch Festigkeit des Willens nöthig habe, um meine Hippolytus-Rolle, während der kurzen Zeit, da wir noch zu Ägina verweilen werden, glücklich fort zu spielen: aber ich will auch in Aristipps Augen, so wenig als in den deinigen, kein größerer Held scheinen als ich wirklich bin. Der Allherrscherin Lais kann diese kleine Demüthigung nicht schaden. Sie ist von einer so großen Menge von Sklaven und Anbetern aller Art umgeben, daß es für die Ehre unsers Geschlechtes allerdings nöthig scheint, daß wenigstens Einer sie fühlen lasse, es sey nicht unmöglich die Berührung ihres Zauberstabs unverwandelt auszuhalten.

So eben ist Eurybates auf etliche wenige Tage herüber gekommen. Da er mir sehr gewogen ist, werde ich ihm mein kleines Abenteuer mit der ländlichen Deianira vertrauen, und wegen der Folgen das Nöthige mit ihm verabreden.

Aristipp scheint an dem allzugroßen und täglich zunehmenden Gedränge von Fremden, die unsre schöne Wirthin nach Ägina lockt, so wenig Gefallen zu haben, daß er mit Eurybates nach Athen zurückzukehren entschlossen ist. Daß ich ihn begleiten werde, versteht sich von selbst; ich habe die Freuden der Natur, der Jugend, und des geselligen Lebens diesen Frühling über lange und rein genug genossen, um mit freyer Seele, und sogar mit einiger Ungeduld, zu meinen gewohnten Beschäftigungen zurück zu kehren.


 << zurück weiter >>