Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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»An dem possierlich läppischen und nicht sehr züchtigen Mährchen von den ursprünglichen Doppelmenschen einerley und beiderley Geschlechts, und ihrem Übermuth gegen die Götter, und dem glücklichen Einfall Jupiters sie in der Mitte von einander zu spalten, mit der Bedrohung, wenn sie noch nicht gut thun wollten, sie noch einmahl zu spalten, so daß sie alle nur auf Einem Beine herum hinken müßten, u. s. w. an dieser Posse, sage ich, ist schwerlich etwas anders zu rühmen, als daß sie (nebst der daraus abgeleiteten witzelnden Erklärung der verschiedenen Fänomene der Liebe, in der niedrigsten Bedeutung dieses Wortes) mit vieler Schicklichkeit dem Aristofanes in den Mund gelegt wird; wiewohl wir nicht die mindeste Ursache haben, dem Plato die Ehre der Erfindung abzusprechen. Jedes ernsthafte Wort, das ich über diesen symposischen Spaß verlieren wollte, wäre zu viel; als Spaß mag er indessen bey einem Trinkgelag und unter lauter Männern von Athen, d. i. (nach der Behauptung des Aristofanischen Adikos Logos) unter lauter Euryprokten, an seinen Ort gestellt bleiben.

»Bey dem prosaischen Lobgesang, welchen der Dichter und Gastmahlgeber Agathon nunmehr dem Liebesgott zu Ehren anstimmt, kann Plato schwerlich eine andere Absicht gehabt haben, als den Sofisten Gorgias durch eine bis zur Karikatur (wiewohl von der feinern Art) getriebene Nachahmung seiner Manier lächerlich zu machen; und daß er diese Absicht wirklich hatte, läßt das ironische Lob, welches Sokrates der so zierlich gedrechselten und prächtig heraus geputzten Puppe ertheilt, nicht bezweifeln.

»Dieser, nachdem er seine Bedingungen mit den übrigen Symposiasten gemacht hat, nimmt nun das Wort, und verwandelt den ganzen, mit so schwärmerischem Beyfall aufgenommenen Agathonischen Päan auf Einmahl in Rauch und Dampf, indem er ihm beweist, daß an allen den Tugenden, die er seinem Eros, als dem schönsten, gerechtesten, tapfersten, weisesten und besten aller Götter, nachgerühmt habe, kein wahres Wort sey. Denn Eros sey weder schön, noch gut, noch tapfer, noch weise, noch ein Gott, sondern ein bloßer Dämon, den seine Mutter Penia (eine von Plato erschaffene Göttin der Dürftigkeit) im Drang des Bedürfnisses von dem nektartrunknen Gott der Betriebsamkeit Poros im Göttergarten aufgelesen; der, vermöge dieser Abstammung, alle guten und schlimmen Eigenschaften seiner Erzeuger in sich vereinige, und an welchem noch das Beste sey, daß er, von einem unwiderstehlichen Trieb zum Schönen und Guten hingerissen, weder Rast noch Ruhe habe, bis er sich mit demselben vereinige, und dadurch hinwieder der Erzeuger von schönen und guten Kindern, nehmlich edeln Gesinnungen, Thaten und Bestrebungen, werde. Plato scheint sehr gut gefühlt zu haben, daß es sich nicht wohl geziemt hätte, einen Mann wie Sokrates diese schönen Dinge, zu deren Kenntniß ein Sterblicher mit bloßer Hülfe seiner fünf Sinne und seiner Vernunft nicht gelangen kann, in seiner eigenen Person vorbringen zu lassen. Er macht also, mit eben dem feinen Sinn für das Schickliche, womit er die komische Hypothese von den Doppelmenschen dem Aristofanes beylegt, den Sokrates zum bloßen Erzähler einiger zwischen ihm und einer gewissen Seherin Diotima vorgefallener Gespräche über die wahre Natur der Liebe, und die Art und Weise, wie dieser Dämon die Seelen auf der Leiter des materiellen Schönen zum Wissenschaftlichen und Sittlichen, und von diesem zum bloß Intelligibeln emporführe; denn das Meiste, was er diese Diotima (als seine vorgebliche Lehrmeisterin in Erotischen Dingen) vorbringen läßt, konnte mit Wahrscheinlichkeit und Füglichkeit keiner andern Person als einer Enthusiastin, die an übernatürliche Kenntnisse der göttlichen Dinge Anspruch machte, in den Mund gelegt werden. Schade nur, daß wir in dem Unterricht, den diese Mystagogin ihrem gelehrigen Schüler ertheilt, eben denselben Doppelsinn wieder finden, worin (wie Aristipp bereits bemerkt hat) die Wörter Eros und erân in diesem ganzen Dialog zwischen den zwey sehr heterogenen Bedeutungen der reinen Liebe und des bloßen Begehrens immer hin und her schwanken; ein Doppelsinn, wodurch alles Wahre und Praktische, was sie uns zu lehren scheint, indem wir es erfassen wollen, uns unvermerkt wieder durch die Finger schlüpft. Das allerschlimmste indessen ist, daß nachdem die Seherin, die so viel sieht was sonst niemand sehen kann, uns zu Erwartung der herrlichsten Offenbarungen über das selbstständige Urschöne berechtigt hat, – zu welchem wir von einer ganz neuen Art von idealischer Päderastie, als der untersten Stufe, durch die ganze materielle und intellektuelle Welt emporsteigen sollen, – uns gleichwohl am Ende nichts geoffenbaret wird, als daß dieses Urschöne (welches Diotima doch für den eigentlichen Gegenstand und das höchste Ziel der Liebe ausgiebt) weder mehr noch weniger als das Parmenideische Eins und All, das Platonische Wirklichwirkliche, der Hermetische Zirkel, dessen Mittelpunkt überall, und dessen Umkreis nirgends ist, mit Einem Worte, das Unendliche sey; welches aber erstens, da es keine Form hat, eben so wenig das Urschöne als der Urzirkel oder das Urdreyeck seyn kann; und zweytens, da es (ihrem eigenen ehrlichen Geständniß nach) weder von den Sinnen erfaßt, noch von der Einbildungskraft dargestellt, noch vom Verstande begriffen werden kann, gänzlich außer unserm Gesichtskreise liegt, und also für uns eben so viel ist als ob es gar nicht wäre.«

»Ich will es nun euerm eigenen Scharfsinn und Urtheil überlassen, setzte Praxagoras hinzu, was für einen Zweck der göttliche Plato mit diesem geistigen Gastmahl beabsichtigt haben könne, und ob ihm großes Unrecht geschähe, wenn man es mit einem Zaubermahl vergliche, wo die Gäste, nachdem sie ihre Kinnbacken ein paar Stunden lang weidlich spielen ließen, und von einer Menge der köstlichsten Schüsseln gesättigt zu seyn glaubten, am Ende die Entdeckung machen, daß sie nichts als Luft gegessen haben, und hungriger von der prächtigen Tafel aufstehen, als sie sich um dieselbe gelagert hatten.

Wenn dem so ist, wie ich selbst zu besorgen anfange, sagte Lais lächelnd, so hätte der Zauberer wohl verdient, daß wir eine kleine Rache an ihm nähmen. Wie wenn wir unser heutiges Symposion zu einem Gegenstück des seinigen machten, und anstatt dem leidigen Amor Lobreden zu halten, uns vereinigten, ihm der Reihe nach alles Böse nachzusagen, was sich, ohne ihm das kleinste Unrecht zu thun, von ihm sagen läßt? Was meinst du, Eufranor?

EUFRANOR. Es hieße, däucht mich, die Rache, anstatt an Plato, an dem armen Amor nehmen, der eine so unfreundliche Behandlung am Ende doch weder an dir, schöne Lais, noch (wie ich hoffen will) an irgend einem von uns andern verschuldet hat.

LAIS. Wie, Eufranor? Wenn nun auch wir für unsre Person uns nicht über ihn zu beklagen hätten, sollen wir so selbstsüchtig seyn, ihm alles tragische Unheil und Elend zu verzeihen, das er seit dem Trojanischen Kriege, und lange vorher, da wir arme sterbliche Weiber noch so viel von den Nachstellungen und Gewaltthätigkeiten der Götter auszustehen hatten, im Himmel und auf Erden angerichtet hat?

NEOKLES. Dafür legen wir alles Gute, Schöne, Angenehme, Fröhliche, Komische und Possierliche, wovon er ebenfalls von jeher der Urheber und Anstifter war, in die andere Wagschale, so wird sie, wenn auch das Übergewicht nicht auf dieser Seite seyn sollte, allem Unheil, das die schöne Lais so sehr zu Herzen nimmt, wenigstens das Gegengewicht halten. Und rechnest du die vielen herrlichen Tragödien für nichts, die wir noch nebenher damit gewonnen haben?

ANTIPATER. Auch ohne dieß ist ja schon Platons Pausanias allen fernern Beschwerden und Wehklagen über die Liebe durch die glückliche Entdeckung zuvorgekommen, daß es, so wie zweyerley Afroditen, auch zweyerley Amorn gebe. Alles Tragische und Komische, was der Liebe nachgesagt werden kann, kommt auf Rechnung des Eros Pandemos und seiner Mutter der Muse Polymnia; beide hat uns Plato selbst schon Preis gegeben, und das Böse, was sich von ihnen sagen ließe, würde weder neu, noch angenehm zu hören, noch von irgend einem Nutzen seyn.

LAIS. Das käme auf eine Probe an, mein junger Freund. Von dir selbst mag was du sagst immerhin gelten; denn in der That scheint dir weder der himmlische noch der Allerwelts-Amor, noch irgend ein anderer wofern es ihrer noch mehrere giebt, bisher weder eine Stunde von deinem Schlaf, noch eine Rose von deinen Wangen gestohlen zu haben. – Antipater erröthete, und schien ein wenig verlegen; ich mußte ihm also zu Hülfe kommen.

ARISTIPP. Mir däucht, schöne Lais, du hast ein Wort gesprochen, das uns über die Liebe auf einmahl ins Klare und dich selbst außer aller Gefahr setzt, für undankbar gehalten zu werden, wenn du etwa Lust hättest, eine Schmachrede auf sie zu halten.

LAIS. Diese Lust hat mir dein junger Landsmann schon vertrieben, Aristipp; und ich bin ihm Dank dafür schuldig. Denn meine Schmachrede würde am Ende doch schwerlich viel anders ausgefallen seyn als Agathons Lobrede; und da hättest du mir im Nahmen deines Sokrates eben denselben Vorwurf machen können, den er dem Agathon macht; nehmlich, daß wir beide, nach Art der Sofisten und Rhetorn, gelobt und gescholten hätten, ohne uns zu bekümmern, wie viel oder wenig Wahres an unsern Deklamazionen sey. – Aber, welches ist das glückliche Wort, das mir unversehens entwischt ist, und, wie du sagst, so viel Licht über den vielgestaltigen Stoff unsers Gespräches verbreitet?

ARISTIPP. »Wenn es noch mehrere Amorn giebt,« sagtest du, und konntest damit nichts anders sagen wollen, als daß es ihrer wirklich nicht nur viele, sondern unzählige giebt, für welche man, wenn jemahls die Erotik zu einer vollständigen Wissenschaft erwachsen sollte, eben so viele besondere Nahmen erfinden müßte.

LAIS. Die gute Diotima käme also mit ihrem einzigen aus lauter Widersprüchen, Negazionen und bloßen Tendenzen zusammengesetzten Dämon-Amor übel zu kurz, – und das ist mir, die Wahrheit zu sagen, leid. Denn ich kann mich nicht erwehren, diesem Amor, der so leer wie eine zusammengeschrumpfte Blase, und so dünn wie eine verhungerte Cikade ist, wegen seiner allgemeinen Liebe zu allem Schönen, seiner beständigen Unbeständigkeit, und hauptsächlich seines unersättlichen Hungers wegen, gut zu seyn, den, nachdem er alles was auf und zwischen und in und über Erde und Himmel ist, verschlungen hat, nichts als das Unendliche selbst ersättigen kann. Es ist etwas so sublim Ungeheures in dieser Idee, daß man, in eben dem Augenblick, da man laut über sie auslachen möchte, sich ich weiß nicht wie zurückgehalten und gezwungen fühlt, Respekt vor ihr zu haben.

ARISTIPP. Da hast du schon wieder ein herrliches Wort gesagt, schöne Lais.

LAIS. Wundert dich das? Als ob es mir so selten begegnete, etwas zu sagen das ich selbst nicht recht verstehe.

ARISTIPP. Wenn in dem, was du sagtest, ein so tiefer Sinn liegt, als ich zu glauben versucht bin, so ist Plato auf Einmahl gerechtfertigt, und wir haben ihn durch die schmähliche Vermuthung, daß er keinen festen Zweck bey dem vollkommensten seiner Werke gehabt habe, großes Unrecht gethan. Alles in seinem Symposion wäre dann sehr verständig und absichtlich zusammengeordnet; die Reden des Fädrus, Pausanias, Eryximachus, Aristofanes und Agathon hätten dann, außer den bereits berührten Nebenzwecken, zur Absicht, die gemeinen Begriffe von der Liebe, die bey den Griechen von Alters her im Schwange gehen, in verschiedenem Lichte von verschiedenen Seiten aufzustellen und zu berichtigen, und die gewöhnlichsten Erscheinungen und Wirkungen dieser Leidenschaft zu erklären; sie selbst aber dienten dem Gespräch des Sokrates und der Diotima bloß als heraushebende Schattenmassen, und der große Zweck des Symposions wäre, uns mit der Theorie einer von aller gröbern Sinnlichkeit und Leidenschaft gereinigten geistigen Liebe zu beschenken; einer Liebe, welche eben darum, weil sie bloß das vollkommenste Schöne zum Gegenstand hat, durch nichts geringeres als das ewige, unwandelbare, unbegreifliche, unendliche Selbstständigschöne befriedigt werden kann.


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