Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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Mein Gegner gewann wieder Muth. Du missest nicht mit einerley Maß, sagte er: du nimmst einen Tyrannen an, der immer nach Grundsätzen handelt, sich nie seinen Launen oder Leidenschaften überläßt, immer sein wahres Interesse kennt und vor den Augen hat, mit Einem Worte, der die Weisheit und Klugheit selbst ist. Das Volk in der Demokratie hingegen ist, nach deiner Voraussetzung, ein blindes, vernunftloses und unbändiges Ungeheuer, das nicht weiß was ihm gut ist, das immer mit dem Maulkorb vor der Schnauze an der Kette gehen muß, und immer das Unglück hat, von Thoren oder Schelmen geführt zu werden. Sey, wenn ich bitten darf, nur so billig gegen die Demokratie, als du großmüthig gegen die Tyrannie und das Königthum bist. Wenn ich dir die Möglichkeit eines Alleinherrschers zugebe, der das höchste Gesetz der allgemeinen Wohlfahrt nie aus den Augen setzt, sich seiner Allgewalt immer mit Klugheit und Mäßigung bedient, und seine höchste Selbstbefriedigung im Wohlstande seiner Unterthanen findet; wenn ich dir die Möglichkeit zugebe, daß ein solcher Fönix nicht platterdings ein bloßes Hirngespenst sey: so wirst du mir auch die Möglichkeit einer Republik, worin ein freyes, edeldenkendes und zu jeder sittlichen und bürgerlichen Tugend erzogenes Volk sich von den Weisesten und Besten aus seinem Mittel nach guten Gesetzen freywillig regieren läßt, zugeben, und zugleich bekennen müssen, daß eine solche Republik jeder andern Staatsverfassung unendlich vorzuziehen ist.

Alle anwesenden Syrakusaner klatschten, nickten, oder lächelten ihrem edeln Mitbürger Beyfall zu, und schienen zu erwarten, daß ich billig oder wenigstens urban genug seyn würde mich überwunden zu geben. Aber so ganz leicht wollt' ich ihnen den vermeinten Sieg doch auch nicht machen. Ich sehe nur ein einziges hierbey zu bedenken, sagte ich, und hielt ein. Und was wäre das, wenn man fragen darf? sagte mein Antagonist. – Nichts, versetzte ich, als »daß ein so verständiges und tugendhaftes Volk, wie es mein edler Gegner voraussetzt, ganz und gar keiner Regierung bedürfte. Laßt uns so ehrlich seyn, einander zu gestehen, daß die Unentbehrlichkeit aller bürgerlichen Verfassungen und Regierungen keinen andern Grund hat, als die Schwäche und Verkehrtheit des armen Menschengeschlechts. Sie sind ein nothwendiges Übel, das einem ungleich größern abhilft oder vorbeugt, und bloß dadurch zum Gut wird. Indessen, da die Regierer nicht weniger Menschen sind als die Regierungsbedürftigen, so wäre wohl nichts billiger, als daß wir unsre Forderungen nicht allzu hoch spannten, und niemand dafür büßen ließen, daß er eben so wenig vollkommen ist als wir. Warum wollten wir uns das Gute, das wir haben, dadurch verkümmern, daß es uns nicht gut genug ist? Jede Regierungsart hat ihre eigene Vorzüge und Gebrechen; wiegt man sie gehörig gegen einander, so gleichen sich, wechselsweise, diese durch jene und jene durch diese aus, und was übrig bleibt, ist so unendlich wenig, daß es die Mühe nicht verlohnt, darum zu hadern. Die Mehrheit der Stimmen erklärte sich für meinen Vorschlag zur Güte, und alle schienen sich zuletzt in der Meinung zu vereinigen: daß ein Volk, das sich bey der politischen Freyheit nie recht wohl befunden, durch den Verlust derselben wenig verloren habe, und bey einem klugen und tapfern Alleinherrscher wahrscheinlich noch gewinnen würde, wenn es weise genug seyn könnte, das Bestreben des Regenten, sich seines, wiewohl gesetzwidriger Weise, errungenen Platzes würdig zu beweisen, durch Zutrauen und guten Willen aufzumuntern, anstatt ihn durch Mißtrauen, Unzufriedenheit und heimliche Anschläge gegen seine Person zu tyrannischen Maßregeln zu zwingen, die ihm, als zu seiner Sicherheit nothwendig, endlich zur Gewohnheit werden, und das Verderben des Fürsten und des Volks zugleich zur Folge haben könnten.

Ich bin etwas ausführlich in Erzählung dieser politischen Konversazion gewesen, edler Learchus, weil ich dein Verlangen, die gegenwärtige Stimmung der Syrakusaner zu kennen, besser dadurch zu befriedigen hoffe, als durch allgemeine Bemerkungen, die bey einem so kurzen Aufenthalt ohnehin wenig Zuverlässigkeit haben könnten. Unsre Gesellschaft bestand größten Theils aus Männern der ersten aristokratischen Familien zu Syrakus, und ich glaube, daß man von ihnen, mit ziemlicher Sicherheit nicht zu irren, auf die übrigen schließen könne. Es war sehr natürlich, daß sie, so oft des Tyrannen erwähnt oder auf ihn angespielt wurde, eine gewisse Gleichgültigkeit und Zurückhaltung affektierten, die einen ganz unkundigen Fremden ungewiß lassen konnte, ob sie seine Freunde oder Feinde wären: mir aber, der von ihren Angelegenheiten hinlänglich unterrichtet ist, war es leicht ihre wahre Gesinnung durch die übel passende Larve durchscheinen zu sehen. Nie werden sie zu dem Tyrannen, nie der Tyrann zu ihnen Vertrauen fassen; beide Theile haben einander zu viel Leides gethan, als daß jemahls eine aufrichtige Aussöhnung möglich wäre; auch wissen beide sehr wohl, wessen sie sich zu einander zu versehen haben, und nehmen ihre Maßregeln darnach. Aber stärker als alles dieß fiel mir eine andere Bemerkung auf, die ich an diesem Abend zu machen Gelegenheit hatte. Unter allen diesen eifrigen Republikanern und Patrioten, solltest du es denken, lieber Learchus? war nicht Einer, der sich auch nur den Schein zu geben gesucht hätte, als ob ihm das wahre Interesse Siciliens, oder auch nur seiner eigenen Vaterstadt und des Syrakusischen Volkes am Herzen liege. Ein Blinder hätte sehen müssen, daß weder dieses noch jenes bey ihren Gesinnungen gegen den Tyrannen in die mindeste Betrachtung kam. Sie hatten eine gewichtigere und ihnen näher liegende Ursache ihn zu hassen; und ich halte mich überzeugt, keiner von ihnen würde das geringste Bedenken tragen, sich selbst noch heute auf den Thron des Dionysius zu setzen, wenn er es möglich zu machen wüßte. – Und doch muß ich hintennach über mich selbst lachen, daß mir so etwas auffallen konnte. Verstand sichs nicht von selbst? Was für einen Grund hatte ich, etwas anders zu erwarten?

Mein Reisegefährte Hippias wurde, bald nach unsrer Ankunft, von seinem Freunde Filistus bey Hofe aufgeführt, und gefällt dem Tyrannen so wohl, daß er ihm fast immer zur Seite seyn muß. Dionysius sieht sehr gut, was ihm ein Mann wie Hippias seyn könnte, und scheint große Lust zu haben ihn mit goldenen Ketten an sich zu fesseln: aber Hippias hat zu wenig Ehrgeitz und liebt seine Ruhe und Unabhängigkeit zu sehr, als daß er sich nur einen Augenblick versucht fühlen sollte, sie um die unzuverlässige Gunst eines Fürsten zu vertauschen, mit welchem er den öffentlichen Haß und die Gefahren eines immer schwankenden Thrones theilen müßte. Dionysius hat sich auch nach mir erkundigt, und ich soll ihm an einem der nächsten Tage vorgestellt werden.


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