Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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XXXV.
An Ebendieselbe.

Ist es wahr, meine Laiska, daß ich dich gesehen, drey Göttertage mit dir gelebt, unsern ewigen, am Altar der Freundschaft zu Ägina beschwornen Bund erneuert, und den Sokratischen Grazien und dem Götter und Menschen Herrscher Amor in deinem eigenen Tempel zu Korinth geopfert habe? Wie die Stunden in einem schönen Traum, einem einzigen langen untheilbaren Augenblick ähnlich, schwanden sie vorüber, diese Wonnetage; aber noch immer meinem innersten Sinne gegenwärtig, auch in der geistigen Gestalt der bloßen Erinnerung, löschen sie alles aus, was sich mir als gegenwärtig darstellen will: alles Wirkliche scheint mir Traum; ich sehe nur dich, höre nur den Sirenenton deiner süßen Rede, sauge den allmächtigen Geist der Liebe aus deinen Lippen, und fühle deinen göttlichen Busen auf meinem Herzen wallen. Schon bin ich drey volle Tage (sagen die Leute) in Syrakus, in der größten, prächtigsten, schönsten Stadt des ganzen Erdbodens; und wenn du mich fragtest, wo der weltberühmte Tempel der Tyche stehe, und ob er auf Dorischen oder Ionischen Säulen ruhe, so wüßt' ich dir nicht zu antworten. Lais, Lais! Was hast du aus mir gemacht? aus mir, der sich auf die Kälte seines Kopfs so viel zu gute that? O du, mächtiger als Circe und Medea, gieb mir meine Sinne wieder! Löse den Zauber, den du auf mich geworfen hast! Was wolltest du mit einem Wahnsinnigen anfangen? – Wunderbar, daß ich deine Gegenwart mit ihrer ganzen Allgewalt ertragen konnte, und entfernt von dir der bloßen Erinnerung unterliege! Beynahe möcht' ich mit dir hadern, daß du so unendlich liebenswürdig bist. – Ich rede im Fieber, Liebe, nicht wahr? – Es ist hohe Zeit, daß ich aufhöre.


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