Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Erster Band. Lehrjahre
Max Eyth

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125.

Neuyork, den 6. Mai 1868.

Nur ein paar Worte, im Sturm der Abreise!

Hättet Ihr's gedacht, daß ich auf den indianischen Grabhügeln für immer vom amerikanischen Süden Abschied genommen, daß ich in den Swamps von Luisiana auch dem Norden der großen Republik mein Schwanenlied gesungen habe? Ich nicht!

Und doch war es so. Als unsre kleine Truppe am Abend müd und hungrig Magnolia wieder erreichte, lag ein Telegramm aus London auf meinem Teller, das mich eines Besseren belehrte.

Seit gestern bin ich wieder im kühlen Norden, auf dem Weg nach dem alten Osten, und habe seit einer Stunde meinen Fahrschein für London in der Tasche.

Morgen liegt Neuyork und ein halber Weltteil und, trotz allem und allem, ein schönes Stück meines Lebens hinter mir.

Manchem, der heute in jugendlicher Frische Amerika betritt, manchem andern, der in den Vereinigten Staaten eine neue Heimat gefunden, allen, die auf kurze Wochen die bestrickende Gastfreundschaft des reichen Landes genossen haben, mögen die Stimmungsbilder, welche sie in den obigen Briefen fanden, zu düster erscheinen. Den reiferen Mann muß die Schilderung von Zuständen, die mir am Schluß der sechziger Jahre entgegentraten, da und dort an die Schillerschen Worte erinnern: »Schnell fertig ist die Jugend mit dem Wort.« Diese Schilderungen haben auch zu jener Zeit, in der namentlich in Deutschland die große Republik noch vielfach das Ideal politischer und gesellschaftlicher Träume war, unangenehm überrascht und da und dort lebhaften Widerspruch gefunden. Später, als sich auch bei uns die Stimmen mehrten, welche aus eigner Erfahrung sprachen, wurde vieles als wahr erkannt, das anfänglich unglaublich erschienen war.

Auch heute wieder haben solche Zweifel an der Richtigkeit des Mitgeteilten eine gewisse Berechtigung. Die Jahre nach dem langwierigen und blutigen Bürgerkrieg hatten Verhältnisse geschaffen, die nicht als normal gelten dürfen. Das Volk war in breiten Schichten verroht, das politische Leben, namentlich im Süden, wo die Rassenfrage alles ruhige Urteil verwirrte, aus Rand und Band; der alte Wohlstand vernichtet, Neues noch nicht geschaffen; das Land blutete aus offenen Wunden, die da und dort brandig zu werden drohten. Kein Wunder, daß all dies dem Neuling, der dem friedlichen Pflug wieder Bahn zu brechen suchte, Eindrücke hinterließ, die eine unbefangene Beurteilung von Land und Leuten, und vor allem den Blick in die Zukunft erschwerten.

Ein Menschenalter ist seitdem über jene Zustände hingegangen. Wir wissen jetzt besser, was fünfunddreißig Jahre bei einem mitten im Dampfgetrieb unsrer Zeit stehenden Volk schaffen und verwischen können. Unendlich vieles hat sich geändert, und vieles ist besser geworden. Die Verzweiflung, welcher die Hälfte des wieder vereinigten Freistaats zu erliegen schien, ist vergessen. Eine Sinneswandlung, die damals Millionen für undenkbar erklärten, hat sich wie von selbst vollzogen, und auch äußerlich verfolgen andre Kräfte andre Ziele. Was die Lebenskraft eines Volkes selbst am Rande des Abgrunds zu schaffen vermag, läßt sich nie ermessen, nie voraussehen. Um dieser Wahrheit willen, in der so viel Hoffnungsvolles liegt, mögen auch die obigen Skizzen aus dem amerikanischen Leben der sechziger Jahre in ihrer ursprünglichen Form heute noch für sich sprechen.


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