Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Erster Band. Lehrjahre
Max Eyth

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14.

London, den 26. Juni 1861.

Die Johnsoniade nimmt ihren Fortgang. Ihr Held erschien schließlich, nachdem ich in der Zwischenzeit drei Projekte ausgeklügelt und aufgezeichnet hatte, welche dem etwas verschwommenen Grundgedanken Johnsons eine einigermaßen praktische Form gaben. Ein Tag verging mit der Auseinandersetzung meiner Auffassung der Sache, zu der ich ihn schließlich bekehrte, wogegen sich zur Besprechung meiner Privatangelegenheiten keine Zeit mehr fand.

In deutscher Weise mit meinem Siege befriedigt, kam ich mit dem Vorsatz und Auftrag nach Hause, aus meinen verschiedenen Vorschlägen einen neuen Plan herauszugestalten, was im Sturm unternommen und ausgeführt wurde. Damit verging die Woche. Nun aber rückte ich Johnson entschieden zu Leibe, weil ich wegen einer so zweifelhaften Geschichte meine Abreise nach Manchester nicht länger verschieben wollte. Er verlangte zweierlei Vorschläge – einen für eine Anstellung bis zur Ausstellung in Manchester, und einen zweiten für ein ganzes Jahr. Im ersten Falle verlangte ich zwanzig Pfund, im andern sechzehn Pfund monatlich und die nötige Sicherstellung gegen eine einseitige Auflösung des Vertrags. Johnson erklärte, daß er den Geldpunkt durchaus nicht als hinderlich betrachte. Nur sei er noch nicht entschlossen, ob er in seinem Alter überhaupt mit dem großen Werk vorangehen solle; im Lauf des Tages erwarte er gewisse Modelle, welche diese Frage entscheiden würden. Ich möchte deshalb abends acht Uhr wieder anfragen. Das tat ich denn. Statt Johnson fand ich aber nur einen Brief, mit welchem er ohne Angabe eines Grundes erklärte: »Daß er bedauere, meine Anträge nicht annehmen zu können. Montag, um fünf Uhr nachmittags, werde er bei Elliot Brothers sein, um meine Rechnung zu begleichen.«

Ich hatte ihm am Morgen die letzte meiner Zeichnungen übergeben. War der gute alte Herr am Ende doch schlauer, als er aussah? Mit einer Spannung, als ob ich ein neues Blatt in dem ergreifendsten Roman aufzuschneiden hätte, sah ich der weiteren Entwicklung entgegen.

Johnson gibt es in London mehr als Müller in Berlin. Zur Stunde weiß ich noch nicht, wer und was der meinige ist. Es ist deshalb natürlich, daß ich nicht bis fünf Uhr warte, um am Ende das leere Nest zu finden, sondern nach dem Frühstück ohne Verzug das Great-Western-Hotel aufsuchte. Mit Befriedigung entdeckte ich den alten Herrn an seinem gewohnten Kaffeetischchen, wo er heute vor drei Wochen sein und mein Geduldspiel ausgekramt hatte. Zum Abschluß, selbst zu einer Erklärung war er aber nicht zu bewegen, sondern vertröstete mich hartnäckig auf heute abend bei Elliot.

Ich schreibe diese Zeilen, um mir die Zeit zu kürzen, aber es ist, als ob es heute nicht Abend werden wolle.

Ganz unterkriegen soll mich dieser Kampf ums Dasein nicht. Neben demselben lief doch auch manches her, das Auge und Ohr, Kopf und Herz erfreute: ein Ausflug nach Hastings, wo ich zwischen Hummern, Muscheln und toten Fischen das Glück eines Seekrebses kostete, ein Besuch im Deutschen Nationalverein, wo ich Kinkel schön und wirkungslos über die deutsche Kleinstaaterei auf der kommenden Weltausstellung sprechen hörte, der Riesenbrand der Cotton Wharfs in Tooley Street, der heute, nach acht Tagen, noch nicht gelöscht ist. Bei dieser Gelegenheit genoß ich zum erstenmal das Vergnügen, in einem Londoner »Mob« mitzuwirken, indem ich im Flammenschein von einem Dutzend brennender Riesengebäude nachts um ein Uhr zweimal die von Zuschauern überfüllte Londonbrücke passierte. Man macht sich keinen Begriff davon, wenn man's nicht an den halbgebrochenen Rippen selbst gespürt hat, wenn Menschen sich zu erdrücken suchen.

Alles, was ich bis jetzt von England gesehen habe, geht ins Riesenhafte. Es lohnt sich deshalb wohl auch, eine riesenhafte Geduld zu pflegen, um hier an ein Ziel zu kommen. Das, meine Lieben, sei zum Schluß mir und Euch empfohlen.


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