Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Erster Band. Lehrjahre
Max Eyth

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9.

Köln, den 22. April 1861.

Bis Heidelberg kennt Ihr mein odysseisches Geschick. Von dort bis Mainz führte mich die Bahn in einer aus Neugier und Wehmut gemischten Stimmung. Sie hielt an, während ich auf dem höchsten Punkte der Festung einen herrlichen Abend genoß, unter mir den Dom und den stolzen Rhein, hinter mir die Heimat, und vor mir die blaue Zukunft. Schließlich wurde ich von meinem unanfechtbaren Posten, den ich, ohne es zu ahnen, ungebührlicherweise eingenommen hatte, durch einen österreichischen Feldwebel hinuntergemaßregelt – in den »Schwarzen Bären«, wo ich wohnte. Dort stärkte eine deutsche Gouvernante, die, ohne ein Wort Englisch zu sprechen, nach Glasgow reist, meinen etwas gesunkenen Heldenmut. Ein würdiger Schluß des ersten Tages.

Blau und freundlich wie der Frühling kam der zweite und mit ihm die Fahrt nach Bonn. Wozu soll ich Euch beschreiben, was unbeschreiblich ist? Ich verstehe jetzt die ewig jungen Lieder vom »deutschen Rhein«.

Der Besuch der Friedrich-Wilhelmshütte bei Siegburg, von Bonn aus, war die erste vorbereitende Lektion, die mir die Industrie gab. In Köln, das von Deutz aus auf der herrlich gelegenen Rheingitterbrücke erreicht wird, faßte ich in einem schlichten Kneipchen »Zu den vier Jahreszeiten« Posto und hatte noch Zeit genug, die halbe Stadt zu durchlaufen und im Dom eine Messe anzuhören. Köln ist eine prächtige Stadt. Die innige Verschmelzung des froh-geschäftigen Geistes der Gegenwart mit dem ruhigen Ernst der großen Vergangenheit – das bringen nur die Deutschen zustande, wenn sie sind und werden, wie sie sein sollen. – Abends zeigte es sich, daß ich in das bescheidene Absteigequartier der Frommen des Landes geraten war. Ein Herr P. aus Düsseldorf äußerte alsbald ein ungeheucheltes Vergnügen, in mir einen Bekannten und gar ein Patenkind Albert Knapps zu finden, und rasch war die Freundschaft fertig. Übrigens war es ein herzensguter Mann, der mich einen halben Tag lang in Köln umherführte und mit einer Unzahl Adressen versah, die ich nicht brauchte.

Der folgende Tag war der »Maschinenfabrik Köln« gewidmet. Gegen Abend führte mich der Zufall in die Hände eines junges Mannes, der hier auf eigne Faust kalorische Maschinen baut und meine Kenntnisse über diesen kitzligen Punkt wesentlich bereicherte. Am Samstag gelang es mir, in die sonst nicht zugängliche Spinnerei und Weberei der Kölner Aktiengesellschaft einzudringen. Der Sonntag galt dem Dom, den ich vom Wirbel bis zur Zehe gründlich durchforschte, wobei mir ein Ingenieur, der das eiserne Dach des Riesenbaus aufgestellt hatte, schätzbare Führerdienste leistete.

Endlich am Montag ging's weiter, einer anstrengenden Woche entgegen, die durch einen Besuch von Düsseldorf freundlich eingeleitet wurde.

Hütten und Hochöfen in Hochdahl sowie eine Marmorschleiferei im Neandertal hielten mich einige Stunden auf. Erst in tiefer Nacht kam ich in Elberfeld an. Dort war trotz der entwickelten Weberei-, Spinnerei- und Tuchindustrie wenig für mich zu holen. Auf den Rat eines Freundes gab ich auch den Ausflug nach Solingen, Remscheid und Lennep auf und fuhr nach Hagen, wo ich noch in später Stunde einen Landsmann auftrieb. Hier befindet man sich nun in einem wahren Nest der Eisenindustrie, und mein freundlicher Führer ließ sich 's nicht verdrießen, mit mir zwei Tage herumzustreifen. Nachdem Hagen erledigt war, besuchten wir mittags noch das herrlich gelegene Limburg, Schloß und Blechwalzwerk. Gegen Abend trennten wir uns in Mitten. Ich fuhr nach Dortmund, um mich von dort zu Fuß nach Hörde auf den Weg zu machen. Dies ist eine der großartigsten Anlagen in Deutschland. Mit achtungsvollem Staunen näherte ich mich den vier qualmenden Hochöfen, dem tosenden, sausenden, klopfenden Puddel- und Walzwerk. Denket Euch aber mein Vergnügen, als ich erfuhr, daß ein alter Schulkamerad sich zur Übernahme württembergischer Eisenbahnschienen seit einem Monat hier aufhalte! Er war rasch gefunden, worauf wir uns in den weitläufigen Werken der Hermannshütte gewissenhaft die Beine müde liefen. Natürlich übernachtete ich in Hörde und zog erst des andern Morgens nach Dortmund zurück.

Nachdem ich hier zwei große, traurig stillstehende Werke gesehen – warnende Beweise, wie schlecht die Zeiten sind –, besuchte ich einen Zivilingenieur, an den ich von Elberfeld aus empfohlen war. Dieser war elf Jahre in Amerika gewesen und stand im Begriffe, dorthin zurückzukehren. Er sprach mir lebhaft zu, ihm zu folgen: ein Schreckschuß für Euch, meine Lieben!

Dann ging's – an Essen vorbei; denn die Geschichtchen, wie unmöglich es sei, die Kruppschen Werke zu Gesicht zu bekommen, hatten mich auf jeder Station verfolgt und mir alle Lust benommen, auch nur einen Versuch zu machen.

Am Abend war ich in Oberhausen. Ein fast unheimlicher Ort! Mitten in öder Heide eine Anzahl weit zerstreuter palastähnlicher Gebäude mit himmelhohen Schornsteinen, Zechen, Zinkfabriken, Eisenwerken. Es war zu spät, um noch etwas Nützliches zu unternehmen. Ein Gang bei wunderbar klarem Himmel über Heidekraut, das in allen Richtungen von Schienen durchschnitten ist, durch Eichenwälder, hinter denen die Hochöfen sausen, war mir für eine Stunde wenigstens ebensoviel wert.

Andern Tags fuhr ich nach Sterkrade. Empfehlungsbriefe von der Saline Friedrichshall verschafften mir die beste Aufnahme. In der Maschinenfabrik lernte ich eine Großartigkeit der Verhältnisse kennen, die man bei uns in Schwaben umsonst sucht. Mit einer Empfehlung für Oberhausen ausgestattet, besichtigte ich nachmittags auch die dortigen Hochöfen und Puddelwerke sowie ein prachtvolles neues Walzwerk.

Dann war's wieder Sonntag. Morgens fuhr ich nach Ruhrort, wo die großartige Hütte der Gesellschaft Phönix in voller Tätigkeit war und mit Hilfe meiner allmählich erstarkenden Unverfrorenheit gründlich durchstöbert wurde. Noch abends erreichte ich Köln, herzlich müde, denn Ihr könnt Euch vorstellen, daß mir bei allem, was ich sah, fast keine Minute übrigblieb, um an Ruhe zu denken. War ich nicht in Fabriken selbst, so mußte notiert und skizziert werden. Dabei blieb vieles in der Feder stecken, das ich jetzt noch nachzuholen suche, ehe ich den nächsten Schritt mache.

Von Euch werde ich vor Lüttich keine Nachrichten erwarten dürfen; vielleicht nicht, ehe ich in London den müden Kopf aufs Pflaster lege, obgleich Ihr mir zu erzählen hättet, wie der Mai in Euer stilles Tal einzog. Bei mir zieht sich vielleicht der April tief in den Herbst hinein mit seinen Stürmen, seinen Nebeln und, wie ich hoffe, auch mit seinen Sonnenblicken!


Des bloß beschaulichen Wanderlebens war ich an der deutschen Grenze schon halb müde. Ich wollte mitarbeiten, wo ich andre schaffen sah. In den wimmelnden Berg- und Hüttenwerken um Lüttich, den weltberühmten Werkstätten von Seraing reifte dieser Wunsch zum Entschluß. Mit dem Wollen aber war ich natürlich noch lange nicht am Ziel. Ein Aufenthalt von mehreren Wochen in Belgien, wo ich Lüttich, Brüssel, Gent, Brügge und Antwerpen be- und absuchte, gab mir hierüber die erste, etwas bittere Belehrung. Doch ließ ich's mich nicht verdrießen. Selbst der Weg von Tür zu Tür der großen und kleinen Fabriken, an denen ich anklopfte, bot so viel des Herrlichen aus einer großen und reichen Vergangenheit und des mir Neuen aus der Gegenwart, daß ich die Enttäuschungen des Augenblicks leichten Herzens ertrug. Lag ja auch noch eine ganze Welt vor und nur erst die eigne Heimat hinter mir. Dabei schien der Horizont immer weiter zu werden; immer mehr zog mich jener unerklärliche Naturtrieb des Schwaben in die blaue Ferne. Auch wurde mir mit jedem Tage klarer, daß ich mich nicht auf einer Studienreise, sondern auf einer Lebensreise befand. Ein Umkehren aber gibt es bekanntlich auf Lebensreisen nicht.


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