Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Erster Band. Lehrjahre
Max Eyth

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118.

Neuorleans, den 29. Dezember 1867.

Vor ein paar Tagen habe ich auf eine Eisenbahnkarte meine amerikanischen Kreuz- und Querzüge in Farben eingetragen. Das Bild sieht auf dem Papier bunt genug aus, in Wirklichkeit ist es fast aschgrau. Süden und Norden, Osten und Westen dieses unermeßlichen Landes sind nur durch leise Schattierungen in Neutraltinte voneinander zu unterscheiden, und der tote Wasserspiegel seiner Menschheit wird trotz der Stürme und Strömungen, welche mit der unvernünftigen Gewalt der Natur ihn bewegen, kaum da und dort merklich gestört. Es ist sicher die wunderlichste Erscheinung der Welt: die bunten Charakterfarben, die von allen Nationen der Erde in diesen Riesentopf geworfen werden, lösen sich nach wenigen Jahren auf in dem allgemeinen, trüblichgelben Grau. Nichts bleibt original, nichts individuell, und die erste Eigentümlichkeit des fertigen Yankees ist der Mangel eines persönlichen Charakterzugs. Was er tut und denkt, ist Zweck. Des Menschen Leib und Seele sind eine Maschine zur Gewinnung von Welschkorn, Eisenbahnaktien und Geld, vor allem Geld. Jeder hat genau dasselbe Ziel, jeder fast genau dieselben Mittel. Die Spuren andrer Gedanken, die hier und da auftauchen, sind importiert, und wenn sie je in dem seichten Boden Wurzel fassen, sind sie nach wenigen Wochen von dem grauen Staub des amerikanischen Lebens fast zur Unkenntlichkeit entstellt.

Das ist der Eindruck, der mir bleibt, nachdem ich das Land ein Jahr lang fast in allen Richtungen durchkreuzt habe.

Verloren ist deshalb dieses Jahr nicht. In einer Wüste wachsen keine Blumen; trotzdem ist es interessant, durch eine Wüste zu reiten. Ein Glas Wasser ist eine triviale Erscheinung; trotzdem ist der Atlantische Ozean sehenswert. Ungeachtet der allgemeinen Nüchternheit und ertötenden Farblosigkeit bietet das amerikanische Leben mit seinen einfacheren, aber gewaltigen Bewegungen des Studierenswerten übergenug, zerstört emsig alte Vorurteile und zertrümmert gründlich junge Ideale. Nur muß man sich hüten, was man hier gelernt und gesehen hat, drüben anwenden zu wollen.

Und das Sichdaheimfühlen für einen Menschen, der nicht die Brücke hinter sich abgebrochen weiß, der nicht den amerikanischen Boden mit dem festen Willen betritt, ihn zur Heimat zu machen, ist sicherlich eine geistige Unmöglichkeit. Ich war in den Bergen von Beirut und am Ufer des Nils mehr daheim, als ich es hier jemals sein werde.

Im allgemeinen sind die Aussichten und Verhältnisse zurzeit schlechter als je zuvor. Die riesige Schuldenlast des Landes, die zerrütteten Eigentums- und Arbeiterverhältnisse, die Rassenfrage und die entsetzliche Wirtschaft der Berufspolitiker scheinen dem Volk im Süden alle Hoffnung auf Rettung genommen zu haben. Im besonderen bin ich besser daran als vor einem Jahr. Mr. Lawrence, einer der reichsten und angesehensten Zuckerpflanzer des Staates, Besitzer von drei prachtvollen Plantagen, ist voll Feuer für meine Dampfpflüge. Dies gibt mir einen Stützpunkt, von welchem aus trotz aller Schwierigkeiten das Land ohne größere Geldopfer erobert werden könnte. Am 7. Januar beginnt der sogenannte Statesfair, eine landwirtschaftliche Ausstellung, an der ich mich heute entschloß teilzunehmen, obgleich ich nicht weiß, ob noch alles an einem Pflug in Ordnung ist, der seit drei Jahren in Neuyork stand, ohne gebraucht zu werden, und ob ich ihn rechtzeitig hierher bekommen kann. Aber ohne Wetten und Wagen geht's nun einmal nicht.

Ein großer Hemmschuh, der mir die Hälfte der Schaffensfreude nimmt, ist die verzweifelte Zollfrage. Nächsten Juli wird für uns das allgemeine Zollgesetz wieder in Kraft treten und alle weitere Mühe nutzlos machen. Doch auch in dieser Richtung ist noch nicht alles verloren. In den letzten Wochen habe ich einen Pflug für Zuckerkultur konstruiert, dem man hier eine große Bedeutung beilegt. Lawrence hat ihn sogleich bestellt, und Longstreet behauptet, Luisiana sei ohne dieses Gerät nicht zu retten. Der General soll in wenigen Tagen begnadigt werden, und geht dann nach Washington, um den Präsidenten und andre Würdenträger des Nordens zu besuchen. Mit einer Zeichnung meines Zuckerpfluges glaubt er bestimmt, eine Verlängerung der Zollfreiheit auf zwei oder drei Jahre erwirken zu können. Das wäre so übel nicht, selbst wenn der Zuckerpflug Luisiana schließlich auch nicht rettet.

So geht es auf und ab, und wird so gehen im neuen wie im alten Jahr. Das Ergebnis des alten, in Dollar und Cents ausgedrückt, war kein glänzendes. Wie konnte es unter den Verhältnissen, mit denen ich zu kämpfen hatte, anders sein? Aber an technischer und namentlich an allgemein menschlicher Weisheit habe ich ein rundes, wohlgefülltes Säckchen auf die Seite gebracht. Lehrzeit! Wäre es nicht unrecht, mich zu beklagen?


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