Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Erster Band. Lehrjahre
Max Eyth

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81.

Beirut (im Lande der Philister), den 10. September 1865.

Durch Fährlichkeiten zu Wasser und zu Land, durch Hitze und Kälte, Hunger und viel Durst, über Berge und Täler, durch Wüsten und Sümpfe habe ich mich in den letzten Wochen geschlagen und noch ist mein syrischer Feldzug nicht zu Ende. Ich benutze einen der seltenen Abende, an denen ich auf zivilisiertem Stuhle vor einem gebildeten Tische sitze, Euch wenigstens ein Lebenszeichen zukommen zu lassen.

Am 19. August brach mein Expeditionskorps von Kairo auf: »Partant pour la Syrie!« Es bestand aus sechs Köpfen: einem Griechen, Mr. Zucco, der das kaufmännische und diplomatische Element vertrat, mir, dem technischen Oberhaupt, und Sadik-Efendi, einem in Paris erzogenen ägyptischen Ingenieur, der mir als Assistent beigegeben war. Jeder von uns dreien hatte sich einen Chaddam oder Leibdiener beigelegt: macht die achtunggebietende Zahl von sechs Mann.

In Alexandrien begaben wir uns sofort an Bord des Lloyddampfers »Afrika«, der den folgenden Morgen, mit dem Deck voll Araber, Zigeuner und Türken, in der ersten Kajüte aber nur mit uns und einer Diakonissin, bei Sonnenaufgang auslief. Herrliches Wetter; gnädige Seekrankheit. Am folgenden Morgen schon legten wir in Jaffa an, das, ameisenhaufenartig aufgebaut, nicht sonderlich verlockend aussieht. Den Nachmittag ging's an der Küste von Palästina hinauf, deren gelbe Hügel, allmählich höher ansteigend, gegen Sonnenuntergang gegenüber von Akka und dem Berge Karmel einen malerischen Anblick bieten. Dort legte das Schiff abermals an, etliche Reisende waren verhindert auszusteigen, da der ganzen Küste entlang die Choleraangst auf eine lächerliche Weise grassierte. In der Nacht ging's weiter, und morgens befanden wir uns ruhig vor unserm Ziel, auf der Reede von Beirut.

Ich übergehe einen Anstandsbesuch bei dem staatlich beglaubigten Spitzbuben und Gouverneur der Stadt. Die Regierung und das Beamtentum in Syrien sind sichtlich schlechter als in Ägypten. Es dreht einem wirklich das Herz im Leibe um, diese Wirtschaft mitansehen zu müssen. Die Geschichtchen, die über amtliche Schwindeleien erzählt werden, überschreiten das Unglaubliche. Alles, was wir von der Regierung erhalten konnten und wollten, war das Versprechen, uns keine Hindernisse in den Weg zu legen, das mit vielen »Salaams« gegeben wurde. Ja sogar Zelte und Soldaten wurden uns zur Verfügung gestellt, die wir später benutzten.

Die Lage Beiruts ist herrlich. Auf einem mit Gärten und Maulbeerpflanzungen bedeckten Doppelhügel, der, vom Gebirg getrennt, durch das Tal des Nahr el Berut sich ins Meer vorschiebt, liegt die Stadt mit ihren mittelalterlichen Türmen und Festungswerken, ein Bild malerischer Verwirrung. Den Hintergrund bilden die massigen Berge des Libanon, die, nach unten mit spärlichem Grün bedeckt, oben ihre goldgelben Felsenkämme dreitausend Meter über den blaugrünen Meeresspiegel erheben.

Unser erster Entdeckungsritt ging zur Quelle des Nahr el kelb (des Lykus der Alten), der sich etwa zweieinhalb Stunden nördlich von Beirut ins Meer ergießt. Bis an seine Mündung geht es am Fuß des Gebirgs dem Meer entlang; ein heißer, wenn auch überaus lieblicher Ritt. Ein felsiges, wildromantisches Vorgebirge verdeckt den Eingang des Flußtals. In die Felsen dieses Berges haben die Eroberer Syriens von Ramses II. bis auf Napoleon III. Gedenktafeln eingegraben. Dann geht es zwischen zwei Felsbergen, die kaum dem Flüßchen Raum lassen sich durchzudrängen, in das Innere des Gebirgs.

Das Tal ist tief und kühl. Eine üppig wilde Vegetation von Binsen, wilden Reben, Lorbeer und Buchsbaum bedeckt den Fuß der Berge, während jedes Fleckchen der Talsohle mit Maulbeerbäumen bepflanzt ist. In regelmäßigen Entfernungen trifft man Mühlen, in welche das Wasser zum Dach eintritt und eine primitive Turbine treibt, an deren Schaft der Mühlstein steckt. Die Kanäle für diese Mühlen schmiegen sich lange Strecken weit an die Wände des Tals an, und die Mauerzinne dieser Kanäle, die oft zehn Meter hoch über der Talsohle fortlaufen, ist manchmal der einzig gangbare, schwindelnde Weg. Weiter oben, mehrere Stunden von der Mündung, werden die Schwierigkeiten in der Tat groß, und auf Händen und Füßen erreichten Sadik und ich endlich eine Felsgrotte, aus der kühl und gewaltig die Quelle des Flusses hervorbricht. Ein wildes Bild! Hinter uns türmten sich Felsen über Felsen – vor uns, mit Pinien bewachsen, schossen die Berge in die Höhe – hoch oben, kaum erkennbar, ein Kloster, und da und dort an den felsigen Berghängen weiter unten ein kleines Maronitendörfchen.

Den Heimweg machten wir über das Gebirge. Nichts ist erstaunlicher als die ziegenhafte Gewandtheit dieser syrischen Pferde. Auf- und Absteigen ist freilich das Geschäft des Tags, und häufig kriecht man, den Zügel um den Arm geschlungen, dem treuen Tiere auf allen Vieren voran, während es sozusagen auf den Hinterbeinen hintendran kommt, ein Bildchen, das die umgekehrte Welt plastisch verwirklicht. Auch kommt es vor, daß man sich, wenn man geschickt genug ist, plötzlich auf dem Bauch des Pferdes sitzend findet anstatt auf dem Rücken, und einmal fiel uns eines der Tiere in einen kleinen Abgrund hinunter, aus dem wir es nur durch Zusammenbinden sämtlicher Sattelgurten und Zügel und mit dem Beistand etlicher Hirten herausziehen konnten. Worauf es sich schüttelte, das Loch aufmerksam betrachtete und ruhig seinen Weg fortsetzte.

Die nächsten Tagen vergingen mit ähnlichen Forschungsausflügen nach andern Flußquellen (Nahr Antelias, Nahr el Berut, Ain Hamanah), und dann begann die eigentliche Arbeit des Nivellierens und Vermessens.

Hierzu wurden zwei große Zelte, unsre ägyptischen Diener und fünf Mann der türkischen Armee requiriert. Ein sechster Soldat hatte täglich in die Stadt zu reiten, um uns den nötigen Mundvorrat zuzuführen. Die erforderlichen Instrumente hatte ich natürlich mitgebracht. Mein arabischer Efendi erwies sich in hohem Grade brauchbar. Daneben ist er ein guter Kamerad und ein gebildeter Mensch, der mir nicht wenig über die Vor- und Nachteile von zwei Frauen zu erzählen weiß, die bis auf weiteres sein Harem zieren. Im übrigen läßt er sich gern in theologische und soziale Streitfragen ein, bei denen der nüchterne Rationalismus des Islam einem gläubigen Christen nicht wenig zu schaffen macht.

Nun ist aber Nivellieren im August in Syrien kein Spaß. Schlucht auf und ab, an den kahlen, glühenden Bergwänden des Libanon hin, durch die dumpfig brütenden, naßheißen Talgründe, mittags unter halbverdorrten Bäumen und Felsen einen Quadratfuß Schatten suchen, abends stundenlang nach den Zelten den Weg zurückklettern, die Instrumente an Punkten aufstellen, auf denen man kaum selbst Platz zum Stehen hat, stundenlang in Flußbetten von Stein zu Stein springen und jede halbe Stunde doch wenigstens einmal bis an die Knie ins Wasser fallen: es hat mich buchstäblich alle zwei Tage ein paar Stiefel gekostet, von der eignen Haut gar nicht zu sprechen!

Übrigens wurde am zweiten Tag bereits mein Diener Ali fieberkrank und blieb im Zelte liegen. Am vierten, gegen Mittag, nachdem ich schon den Abend zuvor ein eigentümliches Vorgefühl verspürt, blieb ich vor einer gewaltigen Schlucht ebenfalls stehen. Den Berg hinunter ging es noch; dort aber hatte meine Kraft ein Ende, und ein nach einiger Zeit vorüberziehender mitleidiger Esel brachte mich vollends zu unsern Zelten. Ein Bote ging ab, um Pferde herbeizuholen, die nach ein paar Stunden, welche ich von Kopfweh halbbetäubt und vom Fieber geschüttelt auf Kamelstaschen zubrachte, ankamen. Sadik-Efendi, dem angst wurde, trieb zur Rückkehr, und ich setzte mich, sogut es ging, aufs Pferd. Den Ritt dem glühenden Meeresufer entlang will ich sobald nicht vergessen. Ich war kaum imstande, mich im Sattel zu halten, und Pferd und Meer, Sand und Sonne drehten sich mit mir im Kreise. Doch nahm auch das ein Ende. Nach dritthalb Stunden lag ich im Bett, und ein junger preußischer Arzt mit einer vertrauenerweckenden silbernen Brille sagte mir, was ich nur zu wohl wußte, daß ich Fieber habe und wahrscheinlich an einem kleinen Sonnenstich leide! –

Fünf Tage später konnte ich in der Schlucht weiterarbeiten, vor der ich stehen geblieben war. Nun aber ging alles aufs beste. Ich zerreiße mein Paar Stiefeln in der von Allah bestimmten Zeit, erfreue mich der herrlichen Natur mit ihren Felsen, Palmen und Lorbeeren, der einsamen Mondnächte in den wilden Schluchten, mit dem Geheul eines Wolfs in dem gegenüberliegenden Berghang oder der fernen Brandung des Meeres in den Ohren, und führe ein wahres Zigeunerleben, in dem, wie in den bezauberndsten Kindermärchen, auch der mittelalterliche Mönch nicht fehlt, der uns den verlorenen Weg zeigt oder einen Trunk Wasser anbietet.

Heute abend werden wir abermals das Zelt gegen das allerdings behaglichere Hotel de l'Europe vertauschen, um sodann die letzte Möglichkeit, den Nahr el Berut, zu untersuchen. Drei Tage sollten hierzu hinreichen, und dann geht's auf dem Rückweg zur Erholung wahrscheinlich nach Jerusalem und an das Tote Meer. Denn ich weiß, was mich in Schubra erwartet. Dort wie hier bin ich nicht auf Rosen gebettet; aber es wäre mir auch nicht wohl, wenn es anders wäre.

Die Pferde sind eben angekommen. Ich lege ein Lorbeerblatt vom Libanon bei. Wenn ich es nicht verdient habe, erbeutet habe ich's jedenfalls.


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