Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Erster Band. Lehrjahre
Max Eyth

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106.

Buffalo, den 20. Mai 1867.

Die Ankunft der neuen Schleppmaschine, welche nach meinen Zeichnungen in Leeds gebaut wurde und im Modell noch glücklich in die Pariser Weltausstellung gelangte, brachte mich gestern abend wieder nach Buffalo, wo ich morgen die Vorbereitungen zu einer weiteren Reihe von Versuchen beginne. Es scheint fast, als sollte ich auf amerikanischen Wassern festeren Fuß fassen als auf amerikanischem Land.

Die Landfrage hat mich inzwischen auf vierzehn Tage nach Philadelphia, Washington und Neuyork geführt.

Washington fand ich nicht nach meinem Geschmack. Das Abc der Straßen, dessen Trostlosigkeit fast in allen andern Städten des Ostens wenigstens durch ein paar alte Viertel gemildert ist, in welchen die Vorfahren des jetzigen Geschlechts ihrem Freiheitssinn in der Gestalt krummer Gassen Ausdruck verliehen, ist in Washington in seiner ganzen entsetzlichen Blüte zu genießen: Eine Linie durch das Kapitol von Ost nach West; eine zweite von Süd nach Nord. Von der ersten gerechnet: Straße 1, 2, 3 und so weiter bis 27 West, und Straße 1, 2, 3 bis 27 Ost. Von der zweiten an: A, B, C, bis W Nord und A, B, C bis W Süd. X, Y, Z fällt in den Potomak, ist aber auf dem Stadtplan auspunktiert für künftige Pfahlbauern. Nun aber kommt das Schlaue! Nachdem der große Washington oder sein Stadtbaumeister diesen geistreichen Plan so weit fertig hatte, muß ihm doch der Gedanke gekommen sein, daß das System sich zwar bequem, aber langweilig mache. Er zog deshalb diagonal durch das Kapitol vier weitere Linien, die unbarmherzig durch die schönen Quadrate schneiden; und dann eine Reihe Parallelen mit denselben in Entfernungen von sechs Häuserquadraten des Urplans. Auf diese Weise bildet das Kapitol den Mittelpunkt einer wunderbaren Straßensonne, die Schnittpunkte der wage- und senkrechten mit den diagonalen Linien aber eine Anzahl völlig gleichartiger Straßensterne zur vollständigen Verwirrung etwaiger Feinde des Landes. Es ist Mannheim in Karlsruhe hineingebaut. Trotz des Abc und 1, 2, 3 findet kein Mensch seinen Weg, und ist man je so glücklich, West-H-Straße erreicht zu haben, die man seit einer Stunde gesucht hat: der nächste Stern ist sicher, den aus Ärger analphabetisch gewordenen Wanderer nach M oder D hinauszustrahlen!

Nächst den Straßen umfaßt die Stadt ein halbes Monument, fünf Gebäude, eine Unzahl von backsteinernen Wohnkästen und eine große Menge Lehmgruben. Da sie von hinten angefangen wurde und erst halbfertig ist, so existiert die vordere, schönere Hälfte im Osten des Kapitols noch gar nicht. In gerechtem Grimm kehrt das Kapitol der bewohnten Hälfte den Rücken zu, was jedoch die unbewohnte nicht lebendiger macht. Washington ist die einzige amerikanische Stadt, die nicht wachsen will. Es ist dies eine merkwürdige Tatsache, wenn man vom Gipfel des Kapitols die herrliche Lage betrachtet, die wie gemacht scheint für eine Weltstadt.

Das Kapitol ist unstreitig schön. Die Summen, die es gekostet, hätten vielleicht mit größerem Vorteil verwendet werden können; die weiße Riesenkuppel, von einer Statue der Freiheit gekrönt, mag für den Unterbau zu hoch sein; die Verschwendung von Gold im Innern macht nicht den Eindruck, als sei besonders viel geschehen für Kunst und Geschmack; immerhin bietet der Bau mit seinen korinthischen Pilastern und seinem schimmernden Marmor einen stolzen, prächtigen Anblick dar.

Das zweite Gebäude von Bedeutung ist ein Marmorhaus in ionischem Stil, das Schatzhaus (treasury), worin sehr unklassische Greenbacks verfertigt werden.

Zwischen beiden befindet sich ein dorischer Marmorbau, das Patentoffice, das schönste und reinste von den dreien, und für mich, seines Inhalts wegen, das anziehendste.

Das Postoffice in korinthischem Stil ist das vierte, und das Haus des Präsidenten in einem einfachen Grasgarten und in keinerlei Stil das fünfte der Gebäude.

Das halbe Monument endlich ist ein aufgemauerter Obelisk von künftig sechshundert Fuß Höhe, der jetzt vielleicht zweihundert Fuß hoch ist, das Washingtonmonument heißt und das Scheußlichste zu werden verspricht, was bis jetzt in monumentalen Bauten geleistet wurde. ›Gehe hin nach Ägypten, du Fauler, und lerne, was ein Obelisk ist,‹ sollte auf jedem Backstein eingebrannt sein, aus dem dieses Denkmal der Gedankenarmut und Scheingröße erbaut wird.

Fast hätte ich das Smithsonium vergessen, ein in rotem Sandstein und romanischem Stil ausgeführtes klösterliches Schloß oder burgartiges Kloster, eine architektonische Mißgeburt amerikanischen Geschmacks. Es enthält neben Naturalien aller Art die Beamten und Gelehrten eines wissenschaftlichen Instituts, das noch berühmt werden kann; hübsch für Amerika, aber vorläufig kaum zu vergleichen mit den großen staatlichen Sammlungen der Alten Welt.

Und das ist nun wirklich alles, was zu sehen ist. Das Treiben auf den Straßen hat etwas von der Schläfrigkeit, die überall auf dem Bureauleben des Beamtentums lastet. Und doch konnte ich mich fünf Tage lang nicht losreißen. Das Patentmuseum ist in der Tat einzig in seiner Art, und jeden Morgen eilte ich mit frischem Mut in dieses Schauerbad von mühevoll ausgearbeiteten und kühn gedachten, von genialen und wahnwitzigen Ideen, obgleich ich sicher war, am Abend wie ein Blödsinniger herauszukommen. Ich dankte meinem Geschick, das mich zwang, hier eine Woche lang auf meinen famosen Freund Olcott zu warten.

Es ist derselbe etwas allzu geschickte Parlamentarier, der um eine runde Summe Geldes die Aufhebung des Zolls auf Dampfpflüge für uns durchgebracht hatte. Ein ähnliches Gesetz für die Maschinen zur Seilschiffahrt wäre höchst wünschenswert. Ich fragte deshalb an, nicht etwa verblümt und in zarten poetischen Umschreibungen, sondern ganz offen und einfach: »Sagen Sie mal, Oberst, wie hoch würde uns ein solches Gesetz kommen?« – »Well, das kann ich Ihnen in der Tat im Augenblick nicht sagen. Würden Sie vorziehen, die Sache mit einer runden, festen Summe abzumachen? Oder wollen Sie mir vielleicht Prozente auf eingeführte Maschinen zusichern?« – »Das ist uns im ganzen gleichgültig.« – »Schön! Sehr gut! Lassen Sie mir eine Woche Zeit. Dann werde ich in der Lage sein, Ihnen über die Möglichkeit, die Schwierigkeiten und den Preis eines solchen Gesetzes bestimmte Angaben zu machen!« – Das sind die Gesetzgeber einer Republik! Ich hatte als Junge einmal eine Zeit, wo ich um eine Republik betete. Aber »Peter in der Fremde« sieht so manches, was »Peter zu Haus« nicht ahnen kann. Die Tyrannei eines einzelnen oder einer durch die Geburt privilegierten Klasse ist schlimm; die Tyrannei des Besitzes ist schlimmer, obgleich vielleicht berechtigt in der Welt, in welcher wir leben; aber die Tyrannei der Masse, die nach Besitz ringt, ist das Schlimmste. Sie hat und sie kennt kein Recht.


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