Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Erster Band. Lehrjahre
Max Eyth

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84.

Schubra, den 19. November 1865.

Nun sitze ich wieder fest im gepriesenen Land der Fleischtöpfe. Aber zerfallene Tempel und Hundemumien allein machen nicht glücklich, und eine Junggesellenwirtschaft, die auf eignen Füßen stehen muß, ist auch hier kein Paradies. Ich habe Rheinwein und Champagner im Haus, aber es gibt Tage, in denen nicht bloß das tägliche Brot, sondern sogar das tägliche Wasser in Frage steht. Ich habe einen Leibkoch, aber der Kerl ist unter dem dritten Breitegrad auf die Welt gekommen, und ein sanfter Kannibalismus drückt sich nur zu deutlich in seinem Können aus. Es glänzt entschieden nicht alles, was Gold ist, und verwöhnt kommt nicht leicht ein Europäer aus dem weichlichen Orient zurück, wenigstens kein Ingenieur.

Auch im übrigen geht's schlecht. Die Baumwollenernte dieses Jahres ist mißraten. Ein kleiner, fast mikroskopischer Wurm hat die Knospen angefressen, die nun von den sonst prachtvollen Stöcken halbreif abfallen. Der Vizekönig schickt die Leute schiffsladungsweise nach Europa zurück und läßt Fabriken und Maschinen verrosten. Auch dieses Fieber ist ansteckend. Es hat mich ernsthafte Auseinandersetzungen selbst bei Halim-Pascha gekostet, wenigstens das Angefangene vollenden und das im Gang Befindliche erhalten zu dürfen. Doch hat Halim das Gute, mit sich reden zu lassen, was bei seinem Neffen, dem Vizekönig, nicht der Fall sein soll.

Seit drei Wochen ist mein Pascha in Gata, einem Jagdschlößchen in der Wüste, dreißig Meilen nördlich von Schubra. Geschäftshalber mußte ich ihn dort aufsuchen. Nach einem Duett in Moll über den Stand der Baumwolle hatte ich zum erstenmal die Ehre, mit Seiner Hoheit Schach zuspielen und schlug ihn zu meinem unverhohlenen Jubel – er gilt für eine Kraft auf dem Brett – im ersten Spiel, wurde aber im zweiten meinerseits glücklicherweise glänzend geschlagen. Ich schreibe dies nur als Beweis, daß nach drei Jahren mannigfacher Leiden und Freuden das gegenseitige Verhältnis nicht viel zu wünschen übrigläßt, namentlich da Halim trotz allem nie vergißt, daß er ein Prinz ist, und ich nach jedem derartigen Zusammensein mit erneuter Gewalt fühle, daß ich à la Marquis Posa außerstande wäre, ein Fürstendiener zu werden.

Eine andre Frage tritt allmählich in den Vordergrund. In drei Monaten ist mein Vertrag abgelaufen. Was tun?

Halim-Pascha – das weiß ich – wünscht das Verhältnis nicht zu lösen. Ich glaube sogar, daß diese Lösung ihn sachlich in keine kleine Verlegenheit setzen würde und daß er dies weiß.

Nun sind aber, seitdem das Baumwollenfieber vorbei ist und eine verunglückte Ernte schwer auf dem Land lastet, die Aussichten für männiglich weit weniger günstig als vor einigen Jahren. Soll ich nun trotzdem den Bogen straffer zu spannen suchen und bleiben, wenn dies gelingt?

Soll ich, wie ein rücksichtsvoller, arbeitslustiger Mensch, unter den alten Bedingungen bleiben, die an sich immerhin nicht schlecht sind?

Soll ich fortlaufen und in einem andern Teil der Welt eine ähnliche Fieberzeit aufsuchen, wie ich sie hier erlebt und genossen habe?

Das sind wieder einmal Lebensfragen!


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