Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Erster Band. Lehrjahre
Max Eyth

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6.

Steinen, den 31. Dezember 1859.

Schon seit einer Woche fühlte ich, daß die Last der Verantwortung, die seit zwei Monaten auf mir lag, lächelnd nicht mehr viel weitergeschleppt werden konnte. Und lächeln mußte ich, sonst war alles verloren. So kam mir endlich auf meine dringende Bitte unser Bureauchef und Oberingenieur besuchsweise zu Hilfe. Not schweißt groß und klein zusammen. Unsre heimlichen Beratungen boten ein Bild rührender Eintracht. Wenn wir allein waren, jammerten wir mit vereinten Kräften über den Oberst, über uns, das Wiesental und die ganze Welt. Standen wir unsern Gegnern gegenüber, so machten wir ein möglichst keckes Gesicht, als ob alles so sein müßte. Drei bis vier Tage blieb er da, machte mit dem Hauptmann, seinem Landsmann und Busenfreund, ein paar Ausflüge, tröstete mich, so gut er konnte, und fuhr wieder ab.

Der Christabend, der erste, den ich in der kühlen Fremde verlebte, war die Wehmut selbst. Ich sah Weihnachtsbäume mit ihren Lichtern durch Türspalten und durch halbgeöffnete Läden, als ich aus der Fabrik kam. Während man in der Frühe bei Euch das Fest einläutete, stand ich am öden Maschinenhaus und traf Vorbereitungen für das widerwärtigste aller Geschäfte. Man feiert Weihnachten in der Schweiz und ihrer Umgegend nicht wie bei uns, und so hatte der Magistrat von Steinen das Arbeiten selbst am Festtag erlaubt, das sich unter den obwaltenden Umständen kaum vermeiden ließ. Die dröhnenden Hammerschläge klangen hoffentlich in der Ferne wie ein etwas wunderliches Glockengeläute. Jedenfalls ist noch nie das ora et labora so verwirrt durch ein Schneegestöber geschmettert worden wie von uns an diesem trübsten aller Christtagsmorgen.

Und doch scheint der Segen des Himmels darauf zu ruhen. Der letzte Versuch einer Radikalkur hat den Nagel auf den Kopf getroffen. Damit liegt das alte Jahr mit seinen Freuden und Leiden hinter uns. Nun muß sich alles wenden.


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