Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Erster Band. Lehrjahre
Max Eyth

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104.

Buffalo, den 17. April 1867.

Wieder auf dem Wasser! Der Niagara rauscht in der Nähe, wird aber übertönt von dem Dollargelispel der Yankees, das mir tagaus, tagein in die Ohren summt. Anfangs nächster Woche werde ich große Vorstellung geben, wenn alles gut geht. Im übrigen sehe ich wieder eher einem Schmied, Taucher und Bootsmann ähnlich als einem Ingenieur der Alten Welt.

Euch von Chikago und meinen letzten Reiseabenteuern, die keine waren, zu erzählen, lohnt sich nicht. Wenn man jemand den unwiderstehlichen Drang in die Ferne austreiben will, so setze man ihn in einen amerikanischen Eisenbahnwagen und lasse ihn die Union in allen Richtungen durchkreuzen. Hilft dies nicht, so stecke man ihn in ein Narrenhaus. Eine Stadt genau wie die andre, ein Gasthof wie der andre, dieselben Speisekarten, dieselben Bergrücken, das heißt gewöhnlich keine, dieselben Ebenen, Wälder, Flüsse und Bäche, man mag hingehen, wohin man will. Überall Neues, Unfertiges; möglicherweise eine aufkeimende Kultur, jedenfalls eine zerstörte Natur. Die Prärien –?! Ich habe den Präriestaat von einem Ende zum andern gesehen und bin seiner unbeschreiblichen Trostlosigkeit in wenigen Tagen fast erlegen. Chikago ist allerdings eine Stadt voll des merkwürdigsten Lebens. Das ist ein Wogen und Treiben, Keimen und Wachsen, das in der Alten Welt undenkbar wäre. Aber alles nur Massenbewegung, nur Stoffwechsel; der Geist in dem Riesenjungen will so gar nicht Schritt halten mit der strotzenden Entwicklung seiner Glieder! Und die äußere Natur selbst, die in der Alten Welt mitten im geschäftigen Treiben der Menge an ihren träumerischen poetischen Überlieferungen festhält und den Frühling begrüßt und mit dem Herbst trauert, scheint hier den Kampf gegen den trockensten Realismus aufgegeben zu haben und sieht vom Golf von Mexiko bis an den Erie, von den Alleghanis bis an die Felsenberge Dakotas, so verzweifelt geschäftsmäßig langweilig, welschkorn- und bohnenartig aus, daß man's dem Geschlecht, das auf diesem Grund und Boden aufwächst, kaum verargen kann, wenn Geborenwerden, Geldmachen und Sterben ihre ganze Geschichte bildet.

Wenn das Obige ein Stimmungsbild geworden ist, so hat es meine Verstimmung richtig getroffen.


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